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Berlin: Wieder mal ’ne Zwangsräumung

„Wie sieht’s hier denn aus?“ fragt der Tagesspiegel jeden Montag und stellt die Treffer vor. Heute: das autonome Wohnprojekt in der Rigaer Straße in Friedrichshain

Von den Balkonen des DDR-Plattenbaus an der Ecke zur Zellestraße blättert die Farbe. Nebenan, in der Rigaer Straße werden die Altbauten saniert. Vor dem Kiosk auf der anderen Straßenseite stehen zwei Bauarbeiter und trinken Kaffee. Am Verkaufstresen liegt ein Stapel Flugblätter aus: „Für eine politische Lösung! Keine Räumung der Rigaer Straße 94!“

Das Haus steht gleich schräg gegenüber, grau und etwas heruntergekommen sieht es aus neben den frisch gestrichenen Fassaden der Nachbarhäuser. Der Durchgang zum Hof ist tapeziert mit Plakaten und Aufklebern. Am bunt bemalten Seitenflügel hängt ein Transparent mit der Aufschrift: „Freisein heißt keine Angst haben“. Auf einer Stahltür klebt der Aufruf: „Die revolutionären Gefangenen sind unsere Würde – unterstützt das Todesfasten in den türkischen Gefängnissen.“

Auf das Klingelzeichen erscheint der Kopf eines jungen Mannes am Fenster im dritten Stock. „Moment“, sagt er und verschwindet wieder. Dann schaut ein anderer aus dem zweiten Stock und verspricht, herunterzukommen. Kurz darauf öffnet sich die Stahltür. Martin Schulz stellt sich vor. Seit fünf Jahren wohnt der 26-jährige Student in dem ehemals besetzten Haus in der Rigaer Straße. Seit zehn Jahren gibt es einen Rahmenmietvertrag für das „autonome Wohn-Kulturprojekt“, doch droht schon wieder eine Zwangsräumung. Jede Wohnung ist inzwischen etwa sechs Mal fristlos gekündigt worden. Die Bewohner haben zwar etliche Prozesse gewonnen, aber der Eigentümer bleibt hart. Die Hausgemeinschaft soll raus. Inzwischen sucht der Senat nach einem Ersatzhaus für das Projekt – bisher ohne Erfolg.

Im Treppenhaus öffnet Martin Schulz eine zweite Stahltür. Hinter einer Gittersperre beginnt der „offene Wohnbereich“. Die Türen zu den einzelnen Wohnungen haben Klinken statt Knäufe und stehen allen Bewohnern offen. Bäder und Küchen werden gemeinschaftlich genutzt. Etwa 30 Menschen im Alter zwischen vier Monaten und 45 Jahren leben hier unter einem Dach, sie arbeiten als Taxifahrer und Ärzte, Möbelpacker, Handwerker, Künstler oder sind Studenten und Schüler. Es gibt eine offene Werkstatt und Räume für Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und politische Veranstaltungen. Einmal im Jahr organisieren die Bewohner ein Konzert-Festival mit Bands aus der linken Subkultur in Hellersdorf. „Zusammen leben und zusammen kämpfen“ wollen sie, sagt der 25-jährige Stefan – solidarisch und basisdemokratisch gegen „die Profit-Interessen der Hauseigentümer“, für eine „gerechte Gesellschaft“ und ein „herrschaftsfreies Leben“. Wie lange ihre Ziele noch Platz haben in der Rigaer Straße, wissen sie nicht. Stephan Wiehler

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