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Berlin: Wiederbelebung eines Auslaufmodells

Nach der Wende wurden Polikliniken durch Einzelpraxen abgelöst. Jetzt befördert ein neues Gesetz wieder das billigere DDR-Modell

Von Ingo Bach

Den Polikliniken steht ein Comeback bevor. Der Bundesrat verabschiedete eine Gesetzesänderung, mit der die Beschränkungen für die ambulanten Gesundheitszentren aufgehoben wurden. Die Novelle wirkt sich besonders stark auf Berlin und Brandenburg aus, denn hier existieren noch viele dieser einstigen Vorzeigeinstitutionen der DDR, in denen die Mediziner Angestellte und nicht Inhaber der Praxen sind. Seit einem Monat gilt die neue Regelung, die die Kliniken in Aufbruchstimmung versetzt. Ab sofort können sie neue Standorte eröffnen und mehr Ärzte einstellen.

Krankenkassen und Politiker sehen in den Polikliniken eine Chance, die Kosten der Krankenversorgung zu reduzieren. Bisher führten die Kliniken ein Mauerblümchendasein. Die meisten der nur im Ostteil der Stadt bestehenden Zentren wurden nach der Wende in Ärztehäuser umgewandelt, in denen niedergelassene Medizinier vom Land ihre Praxisräume mieteten. Für die wenigen Einrichtungen mit angestellten Ärzten, die bis zum Stichtag 3. Oktober 1992 überlebt hatten, gewährte der Gesetzgeber zwar einen Bestandsschutz, doch war dieser verbunden mit so strengen Restriktionen, dass ihr Ende nur eine Frage der Zeit zu sein schien. So war etwa verboten, Standorte zu verlegen oder neue Fachärzte einzustellen.

Im Gegensatz zu Brandenburg, wo die Landesregierung die Polikliniken massiv förderte, setzte die Berliner Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Beschränkungen strikt durch, vor allem das Umzugsverbot. „Ein echtes Handicap für uns", sagt Bernd Köppl, Ärztlicher Direktor der Berliner Gesundheitszentrum GmbH (BGZ) , deren Träger – der Paritätische Wohlfahrtsverband – alle acht in der Stadt noch verbliebenen Polikliniken betreibt. Denn viele von ihnen hat die DDR-Regierung inmitten großer Industrieareale angesiedelt, um die „Werktätigen" quasi direkt an ihrem Arbeitsplatz zu versorgen.

Auch jetzt noch kommen die Polikliniken bei den Patienten gut an. Vom Zahnarzt über einen Neurologen und Rheumatologen bis hin zum ambulanten Operationszentrum reicht die Palette. Jedes Quartal kommen rund 30 000 Patienten in die 70 Einzel- und Gemeinschaftspraxen der BGZ. Viele Räumlichkeiten müssen dringend saniert werden. Die BGZ-Leitung hofft nun darauf, dass ein Teil der vom Land bis 2004 zugesagten Investitionshilfe von 12 Millionen Euro nach der Gesetzesänderung überwiesen wird. Die Unterstützung war Teil der Vereinbarung, mit der der Paritätische Wohlfahrtsverband 1996 die verbliebenen Berliner Polikliniken samt den bis dato öffentlich angestellten Ärzten übernahm und die BGZ gründete.

Insgesamt 110 Ärzte arbeiten für die BGZ. Sie erhalten ein festes Grundgehalt und umsatzorientierte Zuschläge. Es sind vor allem Männer über 50 und Frauen, die sich auf diese Bedingungen einließen. „85 Prozent unserer Mediziner sind weiblich", sagt Klinikleiter Köppl. Sie seien zwar gut qualifiziert, doch fehle ihnen oft das Kapital, um sich eine eigene Praxis einzurichten. Dafür ernten sie auch scheele Blicke von niedergelassenen Kollegen. Denn da gilt: Freiberuflich ist gut, angestellt ist schlecht. Dabei bringt die Poliklinik auch den Ärzten eine Menge Vorteile. Die Investitions-Risiken schultert der Träger, durch die zentrale Verwaltung sind die Mediziner vom Papierkram entlastet, das Einkommen unterliegt geringeren Schwankungen als bei den Niedergelassenen, und der Draht für den fachlichen Austausch mit den Kollegen ist kurz.

Auch für das Gesundheitssystem insgesamt bietet das alte DDR-Modell Pluspunkte. Experten haben ausgerechnet, dass die Ambulatorien 20 Prozent preiswerter behandeln. Das liegt zum Teil daran, dass die Ärzte keine Konkurrenten sind, die darauf achten müssen, ihre eigenen teuren Geräte um jeden Preis auszulasten. „Das ist ein guter Weg, die Kosten in der medizinischen Versorgung ohne Qualitätsverlust zu senken", sagt Andreas Kniesche, Sprecher des Berliner Ersatzkassenverbandes. Neue Polikliniken wird es aber nicht geben, die Gesetzesänderung gilt nur für die bestehenden Häuser.

Das könnte sich ändern. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will die Polikliniken stärken. Damit erleichtere man es jungen Ärzten, selbstständig zu arbeiten, ohne sich zu verschulden. Auch der Berliner Gesundheitsstaatssekretär Hermann Schulte-Sasse hält „eine Ausweitung der Zahl der Polikliniken für die Modernisierung des Gesundheitssystems" für wünschenswert. Eine Konkurrenz der niedergelassenen Ärzte mit den angestellten Kollegen in den Polikliniken täte der Versorgungsqualität gut. „Bisher sind Polikliniken ausschließlich aus ideologischen Gründen behindert worden", sagt Schulte-Sasse. Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin kündigte bereits Widerstand gegen eine Ausweitung des Poliklinik-Modells an. „Dafür werden wir uns nicht öffnen“, sagt ihr Geschäftsführer Dusan Tesic.

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