zum Hauptinhalt

Berlin: Wiederwahl Diepgens und eine Generalaussprache mit Benotung der alten Senatoren

Unten im Foyer dreht sich die Weihnachtspyramide. Oben im Plenarsaal hält sich die Erwartungsfreude in Grenzen.

Unten im Foyer dreht sich die Weihnachtspyramide. Oben im Plenarsaal hält sich die Erwartungsfreude in Grenzen. Was heißt hier Spannung vor der Senatswahl? 117 Stimmen der Koalition (eine SPD-Abgeordnete liegt im Krankenhaus) und 51 Stimmen der Opposition: dann kann doch nichts schiefgehen. Trotzdem sind vorsichtshalber alle alten Senatoren da, noch sind sie im Amt.

Die Senatsbank ist leer, nur Ingrid Stahmer und Jürgen Klemann zieht es noch einmal zum Abschiedssitzen dorthin. Die andren Senatoren und Kandidaten sitzen im Plenum. Nur Christa Thoben nimmt in feierlichem schwarz bei Gerd Wartenberg auf der Staatssekretärsbank platz. Eberhard Diepgen trägt die gewohnte Arbeitskleidung: dunkler Anzug, hellblaues Hemd. Mit gekrümmten Rücken sitzt er in der ersten Reihe neben seinem Freund und CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky und korrigiert ungerührt in Akten herum. Er erwartet mittlerweile seine fünfte Wahl zum regierenden Bürgermeister seit 1984.

Um 16.27 Uhr ist es soweit. Parlamentspräsident Reinhard Führer (CDU) klingelt mit der Glocke, die hat er aus der Mottenkiste geholt. Diepgen stützt den Kopf in die Hand und nickt, als Führer das Wahlergebnis bekannt gibt: 110 von 168 abgegebenen Stimmen für ihn, 55 Nein-Stimmen, drei Enthaltungen. Beifall brandet auf. Sieben Stimmen fehlen Diepgen aus der Koalition. Männerhändedruck von Freund Landowsky, und Diepgen sagt: "Herr Präsident, ich nehme die Wahl an." Volker Liepelt (CDU) und Klaus Böger (SPD) gratulieren mit Blumen, aber auch Renate Künast, Wolfgang Wieland (beide Grüne) und Harald Wolf von der PDS kommen zum kleinen Glückwunschdefilee.

Ein paar Worte ist Diepgen dem Plenum schuldig, er bedankt sich für das Vertrauen, bietet auch der Opposition die Zusammenarbeit an und bekundet seinen Willen, "der Stadt zu dienen". Dann kommen die anderen dran. Sehr schnell kann Klaus Böger strahlen, der neue Bürgermeister und Schulsenator. Auch er erhält 110 von 168 Stimmen, bei 56 Nein-Stimmen.

Die schmalbrüstige Opposition will an diesem Tag aber auch etwas vom Leben haben. Und so hat sie vor der Wahl eine Generalaussprache durchgesetzt. Folglich werden die alten Senatoren benotet und die künftigen im voraus beschimpft. Die Debatte gerät prompt zum Klamauk, gar nicht adventlich gesammelt. Im Plenarsaal und auf Zuschauertribünen darf über wenig originelle kaberettistische Einlagen gelacht werden, an denen sich nun auch Landowsky als warmherziger Verteidiger der Alten und Neuen beteiligt, selbst das hohe Lied auf die scheidende Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing fällt ihm auf einmal ein. Diepgen blättert und schreibt in Akten, Walter Momper liest gelangweilt Zeitung.

"Jämmerlich" findet Harald Wolf die dritte Neuauflage der Koalition seit 1991 nur Christa Thoben verspricht er eine "faire 100-Tagefrist", wo sie doch den Mut hat, nach Berlin zu kommen. Wolf macht sich zum letzten Protagonisten des strengen Finanzkurses und beschimpft die SPD, dass sie ihn verlassen hat. Auch Wieland findet den "dritten Aufguss ungenießbar". Und beschimpft sogar seinen Freund Klaus Böger, wegen der Abkehr vom Finanzkurs, und weil die Finanzsenatorin "rausgekegelt" wurde. Den neuen Senat nennt er "Diepgen und die sieben Politzwerge". Da muss Landowsy kräftig gegen halten. Auch er beweist wieder einmal, dass er komisch werden kann. Alles verspricht er - Arbeitsplätze und neue Betriebe und Steuerzahlerinvestitionen, einen soliden Haushalt, die innere Einhalt: "Wir gestalten die Zukunft der Menschen dieser Stadt."

Nur die SPD hat wieder einmal ein Problem. Der neue Fraktionschef ist noch nicht da, Klaus Böger und Parteichef Peter Strieder kommen als Redner nicht in Frage, weil sie ja Senatskandidaten sind. Also muss der scheidende Senator Erhart Körting in die Bütt. Er zieht sich aus der Affäre, indem er die ganze Deabatte stillos findet, jedenfalls nicht sinnvoll vor der Senatswahl. Recht hat er. Den Gegenentwurf eines Gesellschaftsbildes hat die Opposition schließlich auch nicht vorgetragen, wie Körting bemängelt. Er sagt nur noch ein Wort zur Übernahme des Justizressorts durch den regierenden Bürgermeister: Rechtlich kann man es so machen, politisch sei ein eigenständiges Ressour "langfristig unverzichtbar". Aber die SPD ist laut Körting guten Mutes, die Stadt steckt voller Risiken und Chancen, die Chancen sollen genutzt werden. Dann dürfen die Wahlkabinen aufgestellt werden. Die Senatswahl nimmt ihren Lauf. Vizepräsident Momper darf mal leiten, als erstes den Wahlgang des Genossen Böger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false