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Berlin: Willkommen im Paradies

Lüsterne Gestalten, knappe Tiger-Tops, Lärm wie auf der Rollbahn eines Flughafens. Die Suche nach Erfüllung in einer Berliner Nacht / Von Louise Jacobs

Ich gönne dieser Stadt Berlin einen Spleen. So, wie dem Studio 54 im Traum der Ruf des räumlich gewordenen Aphrodisiakums nachhängt, sehnt sich Berlin nach dem Duft in den Kleidern von Schweiß und durchtanzter Nacht. Dass in der glamourösen Wüste der deutschen Hauptstadt eine Oase der Schrecklichkeit als Spleen bezeichnet wird, beschreibt die Moderne, in der ich lebe.

Es ist schon pink-schwarze Nacht über Berlin im Oktober um acht Uhr.

Vor uns liegt die Köpenicker Straße. Neben uns liegt Josis Sex Paradies, erleuchtet mit zitternden, grünen und roten Lämpchen, gut versperrt mit einer Bunkertür. Ich würde schon gerne wissen, was hinter den Fenstern und Türen so vor sich geht. Doch dazu komme ich nicht, denn wir sind angekommen. Direkt gegenüber von Josis Paradies liegt Berlins Paradies. Das „Spindler & Klatt“, eine Institution für glamouröses Kuscheln. An der Fassade hängt überlebensgroß das Unterteil einer ultraleicht bekleideten Frau. Ein knackiger Arsch, muskulöse Beine, goldene High Heels, die töten könnten: Das will man heute von einem Sex Beast sehen. Das ist Spindler & Klatt. Ich will mir nicht vorstellen, was da hinter den Fenstern und Türen so vor sich geht.

Ein imposantes Eisentor versperrt den Wartenden den Weg auf das Fabrikareal. Um Punkt 20 Uhr öffnet von innen eine schemenhafte Gestalt die dicke, rostige Eisenkette und drückt den Flügel des Tores einen Spalt weit auf. Cool! Der Thrill ist, als ginge man um Mitternacht auf den Friedhof.

Da wir eingeladen sind, warten wir noch die Minuten auf unseren Gastgeber, der sogleich in Begleitung im Kegel des gelben Scheinwerfers auftaucht.

Die Begrüßung ist kurz und herzlich. Die Begleitung heißt Cathrin.

Der Gang über das wilde Kopfsteinpflaster gleicht einer Schifffahrt durch aufgewühlte See. Schon hier wird man versklavt, Turnschuhe zu tragen. Hier und da liegen zerplatzte Flaschen, deren Splittern man ausweichen muss – vor uns liegt wie eine Öllache die Spree.

Von weitem dringt Musik durch die Nacht, heute nennt man sie Electronic Glam. Wir betreten einen Holzsteg, der uns an einem steinernen Buddha vorbei ins Innere der ehemaligen Containerhalle führt. Ich beneide den Buddha nicht, dass er hier zu sitzen hat. Er muss herhalten für das Asian-Fusion-Image des neuen Berliner Kults.

Wir gehen durch den Flur. Das Spindler & Klatt erfüllt hier seine erste Aufgabe: Verzauberung durch Sinneseindrücke. Man taucht ein in diesen Pool sentimentaler Klänge, aphrodisischer Farben, liebestoller Einrichtung und „schöner“ Kellnerinnen. Inmitten der riesigen Halle sind, umringt von überdimensionalen Betten, Tische aufgestellt. Es wurde gedeckt mit weißen Servietten, Besteck und Gläsern.

Absolut trendig!

Jetzt sind wir Teil eines ausgeklügelten Konzeptes.

Wir dürfen uns einen Tisch aussuchen, wir entscheiden uns für jenen, der näher an der Bar liegt.

Die Bänke sind hart, das Licht ist soft und fast zum Küssen. In den Ecken stehen arabische Gottheiten wie stumme Krieger, von der Decke hängen lange, weiße Stoffbahnen, die der Halle ein Raumgefühl vermitteln sollen. Natürlich bestellt man zuallererst Getränke. Nicht nur Wasser, sondern ein Tropical Champagne muss es sein. Die Musik fällt wie Kälte von oben herab zwischen das Gemäuer, welches sich sehr zügig mit merkwürdigem Publikum füllt. Die Karte bietet uns gerösteten Kürbis mit Vanille-Haselnuss- Dressing, Wildschaumsuppe, Hühnersaté und Tomatenconsomee. Als Hauptgang gibt es Tofu, Lamm, Tunfisch und Risotto. Es ist vorgesorgt, dass jeder Weltenbürger hier sein Glück finden soll: Der Asiate und der Bayer, der Italiener, der Los Angelikaner und der gläubige Vegetarier.

Schon zehn Minuten nachdem alle Tische besetzt sind, ist der Service überfordert. Die jungen Frauen werden zu kühlen, unfreundlichen Herrscherinnen. Was auf den Tisch kommt, wird auf den Tisch geknallt. Die Art und Weise, wie die Runde gefragt wird, wer hier verdammt noch mal jetzt den Reis als Beilage bestellt hat, ist befremdlich. Doch zum Glück sind ihre Stimmen dem Electronic Glam völlig unterlegen und nur die halbe Hässlichkeit der Verachtung, dass man hier Gast ist, dringt als Laute durch die Musik. Und so geht es uns auch mit unseren lieben, guten Freunden, die wir eigentlich sehr gerne mögen, aber mit denen wir uns leider kaum unterhalten können, weil die Musik konsequent alle zwanzig Minuten aufgedreht wird. Ich presse mir die Tischkante in den Bauch, weil ich an den Lippen von Cathrin hänge, die vom vielen Reisen und den üblichen Schmuckstücken einer steilen Karriere erzählt: New York, Mailand, Paris und London.

Wir bekommen bald Tischnachbarn. Es ist heute so üblich, gerade in Prenzlauer Berg und Kreuzberg, dass wir alle Freunde oder Kumpels sind. Wir können alle beisammensitzen, „Projekte“ besprechen, Kaffee oder Bier trinken und uns an dem Sozialstaat freuen. Es lebe die Kommune, es lebe die Gesellschaft.

Unsere neuen Freunde des heutigen Abends sind zwei ältere Ehepaare. Das eine ist aus Zehlendorf, das andere aus dem Stuttgarter Raum. Sie sind auch Teil dieser wilden Safari in die abtrünnige, verruchte Ecke Berlins. Sie sind auch Teil eines neuen Trends: Essen, Trinken, Tanzen, Kuscheln.

Sowie der Tunfisch und der Tofu auf unserem Tisch landen, betritt ein Saxofonspieler die Bühne. Er macht den Eindruck, als sei er dort angekettet und müsste nun für den Rest des Abends die Gäste mit sphärischen Klängen berauschen. Er selbst scheint berauscht, ob von bewusstseinsverändernden Mitteln oder von seiner Musik, ist schwer zu sagen. Zuweilen schreien und klagen die hohen Töne des Instrumentes durch das schlecht eingestellte Mikrofon. Ich neige fast dazu, mir die Ohren zuzuhalten, doch das wäre absolut uncool. Es liegt nahe, dass man sich fühlt, wie auf einem Flugfeld unter einer startenden Boeing 747. Eine Unterhaltung ist unmöglich geworden und man übt sich in der Kunst des Lippenlesens. Cathrin lese ich von den Lippen, dass sie Karriere im Produktmarketing mit Parfums einer Luxusmarke macht. Ich sehe ihr den Sex, der in diesem Business unverzichtbar ist, an, ihre Gestik ist gut einstudiert und kokettiert, als sei ich ein gelacktes, männliches Gucci-Model. Sie hat sich einen italienischen Akzent angeeignet und spricht ihren Namen französisch aus, obwohl sie in Köpenick geboren ist.

Dann kommt der Nachtisch. Wir löffeln lüstern mit langstieligen Löffeln die Mousse au Chocolat. Die rote Himbeersauce erinnert an Liebessaft. Ich gleite ab in die Unterwelt puren Gefühls, purer Lust – das ist Teil des Konzeptes. Die Stimme ist mir schon auf halbem Wege durch den Abend abhanden gekommen. Doch wer will schon reden. Die Leute sollen fressen, saufen und dann tanzen. Um elf Uhr werden die Tische weggeräumt, bis dahin muss jeder Einzelne bis oben hin mit Beats und Bässen voll sein, um so richtig in Stimmung zu kommen. Die Bänke erweisen sich als ausgesprochen hart. Man könnte gar nicht länger als zwei Stunden darauf sitzen. Damit steigt das Verlangen automatisch, sich nach dem Speisen auf eines der Bettnester zu begeben, welche die Wände der Halle säumen.

Eine Landschaft aus Beinen und Körpern. Eine Landschaft, um sich „näher“ zu kommen.

Wie die Römer fläzen sich die Gäste auf den Betten und in den Kissen. Was damals die Sklavinnen mit den Palmenwedeln, die Trauben und die ganzen Schweine am Spieß waren, sind heute der „Sex on the Beach“, der Moët und das Finger Food, ist heute die Blonde mit dem String auf den Hüftknochen und dem Tiger-Top. Wenn man auf diesen Betten anständig sitzen will, ist es noch unbequemer als auf den Bänken. Ich bereue wieder einmal, dass ich einfach zu gut erzogen worden bin. Doch mir ist weder nach Kuscheln noch nach Grölen und Hüftenkreisen. Meine „Anmache“ würde hier nicht funktionieren, das ist schon wieder beruhigend. Der Whisky Sour hilft mir noch über die nächsten Minuten, tröstet mich über die blassen Jünglinge in Khakihosen und Polohemden hinweg. Dann bin ich am Ende.

Beim Verlassen der um uns scheinbar kochenden Leidenschaft, die sich in ungeahnten Ausbrüchen von Grölen und Johlen äußert, muss man sich den Weg durch hunderte von abgelegten Schuhen suchen. Dann geht man zehn Schritte und findet sich in der herrlich stillen Nacht.

Schweigend gehen wir über das Pflaster zurück zum Auto. Irgendwelche Typen schmeißen leere Bierflaschen gegen die Mauer und freuen sich an dieser männlichen Kunst, etwas zu tun, worüber sie selbst entscheiden können: Bierflasche gegen Mauer.

Beim Abschied sagt man das, was man eigentlich schon den ganzen Abend sagen wollte und weshalb man sich wahrscheinlich auch getroffen hat. Mein Blick fällt ein letztes Mal auf den halbnackten Po der Sexbombe auf dem Plakat. Ich denke daran, wie praktisch sich Versprechungen vermarkten lassen, denn jede Erfüllung ist nur die Vorstellung eines jeden einzelnen Besuchers des Spindler & Klatt. Meine Erfüllung ist es nicht.

Louise Jacobs, 24, lebt in Berlin und hat das Buch „Cafe Heimat. Die Geschichte meiner Familie“ geschrieben. Sie ist die Enkelin von Walther Jacobs, der die Kaffeemarke Jacobs gründete.

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