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Berlin: Winnetou Kampmann, geb. 1927

Angenommen, er hätte zweimal am Tag die Herkunft seines Namens erklären müssen, und es hätte immer eine halbe Minute gedauert, dann wären in jedem Jahr seines Lebens sechs Stunden Erklärung zusammengekommen. Bis zu seinem Tod hätte Winnetou Kampmann insgesamt zweieinhalb Wochen und einen Tag damit verbracht, Menschen, denen er sich gerade vorgestellt hatte, zu schildern, warum er so heißt wie er heißt.

Angenommen, er hätte zweimal am Tag die Herkunft seines Namens erklären müssen, und es hätte immer eine halbe Minute gedauert, dann wären in jedem Jahr seines Lebens sechs Stunden Erklärung zusammengekommen. Bis zu seinem Tod hätte Winnetou Kampmann insgesamt zweieinhalb Wochen und einen Tag damit verbracht, Menschen, denen er sich gerade vorgestellt hatte, zu schildern, warum er so heißt wie er heißt.

Es ist irritierend, sich selbst immer wieder beim Sagen der gleichen Sätze zuzuhören. Weil das so ist, denken sich die Menschen gerne neue aus. Doch es ist auch anstrengend, ständig originell sein zu müssen. Also bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu fügen und gar nicht mehr zu antworten. Oder man bleibt bei der einen Erklärung, die man ohne nachzudenken wegplappern kann. Winnetou Kampmann beschränkte sich auf zwei Versionen seiner Geschichte. Die erste: Seine Mutter war Karl-May-Leserin. Die zweite, die er seinem Freund Reiner Güntzer erzählt hat, und die auch Kampmanns Sohn für wahrscheinlicher hält: Der Familienrat tagte, als Winnetous Geburt bevorstand. Wie soll das Kind heißen, wenn es ein Junge wird? "Na, Winnetou soll er heißen", sagte der künftige Bruder, mit 12 Jahren selbst im besten Indianeralter. Weil die Familie eine Kindereien duldende Künstlerfamilie war, blieb es dabei.

Güntzer und Kampmann begegneten sich zum ersten Mal am Ende der sechziger Jahre. Güntzer war Referent bei der Berliner Kunstverwaltung und zuständig für den Umbau des Alten Kammergerichtes in der Kreuzberger Lindenstraße zum Berlin-Museum. Kampmann war Bauleiter. Eines Tages rief er den Referenten an, es gebe Streit mit dem Architekten. "Schauen sie mal", sagte er zu dem eintreffenden Güntzer und fuhr mit dem Zeigefinger über einen Plan, "die Leute rennen hier gegen eine Wand." Eine Mauer war auf dem Grundrissplan eingezeichnet, die dem Museumspublikum mitten im Weg gestanden hätte. Der Architekt bestand auf der Mauer an dieser Stelle, weil sie die Grundrissgrafik gefälliger mache. Güntzer als Vertreter des Bauherrn dagegen erschien es sinnvoller, die Schönheit der Bauzeichnung zu vernachlässigen und stattdessen Kampmann Recht zu geben. Die Mauer wurde an anderer Stelle aufgebaut. Die Nummer Zwei, Kampmann der Bauleiter, hatte sich gegen die Nummer Eins, den Architekten, durchgesetzt.

Kampmann und Güntzer wurden Freunde, und ein Jahrzehnt später zogen sie durch Berlin, um sich Gebäude anzuschauen, die für die Unterbringung einer Kunsthalle taugten. Eines der Häuser, das sie sich ansahen, war die Ruine des früheren Kunstgewerbemuseums nahe dem Potsdamer Platz. Nach seinem Architekten hieß das Haus Martin-Gropius-Bau. Östlich davon, Richtung Kochstraße, betrieb ein Mann, den sie Straps-Harry nannten, ein Autodrom, ein Fahren-ohne-Führerschein-Vergnügen. Mit grünen Strickstrümpfen unter den kurzen Hosen und langen weißen Haaren auf dem Kopf saß Straps-Harry unter den Birken am Pistenrand und beobachtete die Fahrschüler. Vorm Nordeingang der Ruine stand die Berliner Mauer, ganz dicht. An einer der Eingangstüren zum Haus war mit weißer Kreide "Zum Knabenpuff" geschrieben.

Dieses Gebäude sollte es sein. Hier und nirgendwo anders gehörte ein Museum hin oder eine Galerie. Eigentlich hätte das Haus schon nicht mehr stehen sollen, der Abriss war beschlossen, damit eine Autobahnzufahrt an seiner Stelle entstehen konnte. Doch der Landeskonservator hatte einen Urlaub des Bausenators ausgenutzt und die Ruine unter Denkmalschutz gestellt.

An einem Sommertag Mitte der siebziger Jahre vor dem Loch in der Fassade, das jetzt der Westeingang ist, trafen sich Kampmann, diesmal als Architekt, der Finanz- und der Kultursenator. Die beiden Politiker fragten, was es denn kosten würde, die Ruine wieder aufzubauen. Kampmann sagte, 96 Millionen. Die Senatoren hörten es, wussten, dass man das dem Parlament nicht zumuten konnte und begannen darüber zu streiten, ob der Bau nun weniger als 50 Millionen Mark kosten dürfe oder etwas mehr. Dem Finanzsenator gefiel die Zahl 47 Millionen sehr gut, dem Kultursenator 56 Millionen. Sie einigten sich in der Mitte. Kampmanns Schätzung stimmte, wie sich zeigen sollte. Die Differenz zum anfangs bewilligten Geld musste mühsam beschafft werden. Ihm war das nicht geheuer, er wusste, dass man ihn bei Bedarf zum Sündenbock für die planmäßig ungeplante Kostensteigerung machen könnte. Güntzer riet ihm, "mach das aktenkundig". Er hat dann wohl einen Brief an die Verwaltung geschrieben, sagt Güntzer.

Kampmann und seine Frau, auch eine Architektin, bauten recht lang am Gropius-Bau, bis 1986, einschließlich der Planung waren das zehn Jahre. Vielleicht lag das daran, dass Herr Kampmann ein sehr gründlicher, ordentlicher Architekt war. Als er eines Tages im Frühjahr 1979 auf das Dach ging, kam er im Dachgeschoss an einem Maurer vorbei, der eine Mauer mauerte. Er tat das ohne Richtschnur, und er hatte schon drei Ziegelreihen übereinander gestapelt. Mach das anders, sagte Kampmann, nimm die Schnur. Tat er nicht. Als Kampmann vom Dach herunterstieg, war die schiefe Mauer, die hier oben im abgesperrten Dachgeschoss nie ein Besucher zu Gesicht bekommen hätte, einen Meter hoch. Er hat gebrüllt wie ein Stier, sich den nächsten Hammer gegriffen und sie damit eingerissen.

Zweieinhalb Wochen und einen Tag lang den Namen erklären, das ist die Spanne, die, wäre das Leben ein Tag, einer Minute dieses Lebens entspräche. Winnetou Kampmann muss sie gemocht haben, diese Zeit. Denn seinen Sohn hat er auch Winnetou genannt. Wenn der das heute erklären muss und bei der Wahrheit bleiben will, hat er es leichter als Winnetou I. Er kann sagen: Familientradition.

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