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Wintergarten: Rockvarieté – Voll auf die Ketten

Wo jetzt Wintergarten dran steht, war mal das Quartier Latin: Hier spielten Größten wie die Scorpions und Nina Hagen. Die neue Varieté-Show „Forever Young“ erinnert an den alten Konzertschuppen in der Potsdamer Straße.

Duster ist es, duster wie im Sack. Eine schwarz gestrichene Höhle, trotz der Größe, trotz der Holzbänke, die Wände gebeizt von Zigarettenrauch, Bierdunst und Schweiß. Und cool ist es, cooler geht’s Mitte der Achtziger gar nicht in West-Berlin. Leute wie die Scorpions, Nina Hagen, Kraan oder Ina Deter sind von hier – vom Quartier Latin in der Potsdamer Straße – in die Welt hinausgezogen und umgekehrt der New Yorker Underground rein: Bands wie die Lounge Lizards von Saxofonist John Lurie – der Typ, der durch Jim Jarmuschs Filme groß rauskam – oder die Slickaphonics von Jazztrompeter Ray Anderson. Super Nächte sind das in dem hässlichen Konzertschuppen an der hässlichen Potse.

Und jetzt? Ist in dem 1913 als Lichtspieltheater eröffneten Bau seit 1992 das Wintergarten Varieté drin. Das erinnert sich mit seiner am heutigen Freitag startenden Show an die wilde Hausgeschichte. „Forever Young“ ist eine Kombination aus Popsplits und Zirkus, aus Rocknummern und Artistik. Und verglichen mit der vorherigen Show „Peppermint Club“, die den Rock ’n’ Roll der Fünfziger als musikalische Folie nutzte, rückt die Musik noch stärker in den Vordergrund. Artisten, die am Vertikaltuch hoch- und runterklettern, habe die Welt genug gesehen, sagt Regisseur Hartmut Müller. „Aber wenn sie es zu ,Stairway to Heaven‘ tun und Akrobatik und Musik eine Einheit bilden, dann wird’s interessant.“ Lohnt leider nicht, Led Zeppelin für eine Nummer einzufliegen. Also covert die Band von Andreas Marius-Weitersagen diesen und alle anderen Rockklassiker der Show, egal ob Stones, Beatles, Bowie, Clapton, Metallica, Queen oder Police.

An die 100 Songs habe die Band drauf, sächselt Weitersagen frohgemut. Der Mann heißt natürlich nicht wirklich so. Geboren wurde er in Freiberg ganz unauffällig als Andreas Graumnitz und gelebt hat der Profimusiker bis vor drei Jahren in Weimar. Dann folgte der Umzug nach Berlin-Tiergarten. „Alles für den Rock ’n’ Roll“, sagt er und grinst. Und überhaupt: „An meinem Elend ist die Band Silly schuld“, sagt er und meint nicht die Varietéshow, sondern den Job, den er seit zehn Jahren sehr erfolgreich aber künstlerisch ziemlich festgelegt betreibt: Double von Marius Müller-Westernhagen sein. „Und zwar die lustige Ausgabe.“ Silly habe ihn nämlich bei einem Zufallstreff in den Hansa-Studios erst auf seine Ähnlichkeit mit Westernhagen gebracht. Und wie er da im Wintergarten bei der Probe so im Bühnenbild auf der Metallbrücke steht und „Sexy“ ins Mikro röhrt, nimmt man ihm das Original durchaus ab.

Pech nur, dass seine eigenen Lieblingssongs von Chicago oder der Steve Miller Band in der nach Bob Dylans Song „Forever Young“ benannten Show gar nicht vorkommen. Vom Ruhm der legendären Konzerthalle Quartier Latin immerhin, hat Weitersagen früher auch in Freiberg in Sachsen gehört. „Aus dem Radio, da haben einfach alle gespielt.“

Regisseur Müller, ein Berliner, war früher selbst gelegentlich drin. „Beim Senatsrockwettbewerb.“ Die Lieder der Bands, die im Quartier einst spielten, sind aber nicht eins zu eins in die Hitauswahl der Show, zu der mit Bällen und Diabolos jongliert, auf Rädern geturnt oder an Ketten über die Bühne geschwebt wird, gewandert. „Ist ja kein Volkshochschulkurs“, sagt Wintergarten-Chef Georg Strecker. Er und Müller hätten einfach ihre Lieblingsmucke zusammengerührt. Und Weitersagen muss seine in den nächsten Wochen dann nach Feierabend singen.

Wintergarten, ab Fr 12.8., Mi–Sa 20 Uhr, So 18 Uhr, Karten ab 29,50 Euro

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