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Verdreht. Die Tricks von Artist Fleeky wirken surreal – ganz ohne den Einfluss von Substanzen.

© promo

Wintergarten-Varieté: „Woodstock“-Premiere mit Liebe, Frieden und Akrobatik

Tricks wie auf einem Acid-Trip: Die neue Show will den Geist des legendären Festivals im Jahr 1969 wiederbeleben.

Auch unausgesprochen ist der Dresscode für die Feier des Woodstock-Festivals ziemlich klar: Stirnband, Fransenjacke, Jeans. An den hielten sich auch viele Gäste der festlichen Premiere von „The Woodstock Variety Show“, die nach einigen Vorabvorstellungen am Donnerstagabend im Wintergarten über die Bühne ging. Man sollte denken, es sei gar nicht leicht, einen gigantischen Mythos so heraufzubeschwören, dass er einen 50 Jahre alten Spirit von unbändiger Lebenslust, Musikversessenheit, Idealismus, Rebellion und Zukunftsfreude transferiert und doch auch für die heutige Wahrnehmung spritzig wirkt, unterhaltsam und kurzweilig daherkommt.

In dieser Show wirkt die Transformation leicht, so leicht wie die Künste der Akrobaten, wie die irre hohen Sprünge des Duos Ikai am Teeterboard, einer Art Wippe mit knallroten Enden, oder wie der Diabolo-Tanz von Guillaume Karpowicz. Um das hinzubekommen, muss man eine Menge richtig machen.

"Make Love Not War" in der Luft

Vor allem darf man den Zuschauer der Jetzt-Zeit nicht aus den Augen verlieren, der verwöhnt ist von zahllosen Best-of-Musicals, in denen nur die allergrößten Ohrwürmer aneinandergereiht werden. Der will die musikalischen Highlights der Ära und des Festivals hören, das zu einem Fundament moderner Popkultur wurde. In der knapp dreistündigen Show wird nicht einfach der originale Soundtrack der legendären Tage voller Liebe und Frieden gespielt. Es kommen auch Songs vor von Woodstock-Künstlern, die nicht gespielt wurden beim Festival, Janis Joplins „Mercedes Benz“ zum Beispiel oder „The Night They Drove Old Dixie Down“.

Selbst die Akrobatik-Einlagen transportieren den Geist der Legende. Ganz offensichtlich ist das bei Valerie Inerty, die zu „Spinning Wheel“ in einer Art gigantischem Hula-Hoop-Reifen in so aufregenden Positionen über die Bühne wirbelt, als habe sie gerade die Hauptrolle in einem Acid-Trip übernommen. Simone Al Ani lässt zu „As Tears Go By“ Kristallkugeln gemächlich über seinen Körper tanzen, als handele es sich um gigantische Tränen aus einem surrealen Gemälde. Wirklichkeitsenthoben wirken auch die Biegsamkeiten des Schlangenmenschen Fleeky mit den lila Haaren. Der starke Diego und die zarte Elena inszenieren zu „If I Were A Carpenter“ in der Luft an Strapaten schwebend eine innig verschlungene Form von „Make Love Not War“. Ähnlich stark schafft es das Duo Waz’O zu „I Love You More Than You’ll Ever Know“ am Trapez, erotische Figuren so zu turnen, dass man fast vergisst, wie herausfordernd das ist – so wie ja auch das Chaos und der Schlamm und die Wolkenbrüche von Woodstock weit zurückstanden hinter dem ekstatischen Gemeinschaftserlebnis.

Gezeigt werden auch Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg

Besonders im ersten Teil zeigen die großen Bildschirme an den Seiten der Bühne, wie es wirklich war vor 50 Jahren, die Endlos-Staus, in denen Teenager lässig auf Motorhauben liegen, die Gesichter der Künstler, farblich verfremdet, das Matschen im Dreck, die Befreiung von allen Konventionen. Einmal flackern schwarz-weiße Szenen aus dem Vietnamkrieg auf, ein kleines Dorf, das von Brandbomben zerstört wird, zunächst scheinbar verstörend im Varieté, wo getafelt und getrunken wird. Und doch ist es ein mutiger Einfall, weil auch die historische Einordnung zum Hintergrund des Festivals notwendig ist.

Als Muse für die ganze Konzeption wirkte Bob Dylans Song von 1964: „The Times They Are A-Changing“. Die wilde Hymne „My Generation“ von The Who mündet in ein fröhlich farbenfrohes Finale mit fluoreszierender Keulenjonglage, mit irrlichternden Sternen und Herzen, mit leuchtenden Diabolos und der ganzen Lichtkunst, die einen Eindruck gibt von den psychedelischen Erfahrungswelten, die so eine große Rolle spielten, damals: „With A Little Help From My Friends“. Die Bildschirme bauen schließlich eine Brücke in die Gegenwart, zeigen Demos für Homosexuellen-Rechte, gegen Waffen und für den Klimaschutz.

Noch bis zum 27. Oktober kann man sich diese wunderbar gelungene akrobatisch-musikalische Hommage an Woodstock anschauen.

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