zum Hauptinhalt

Berlin: „Wir brauchen keine neue Gedenkstätte“

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit: Berlin hat sich 1990 bewusst entschieden, die Mauer abzureißen – und wird sie nicht wieder errichten.

Die SPD ist wieder auf dem aufsteigenden Ast. Sogar in Berlin.

Das sind Momentaufnahmen. So wie die schlechten Umfragewerte vorher auch nur Momentaufnahmen waren.

Welchen Anteil an der momentanen Trendwende rechnen Sie sich denn zu?

Es wäre vermessen, mir selbst irgendwelche Prozentwerte zuzusprechen. Mein Rezept ist: Eine Politik, die man für richtig hält, muss man auch gegen Widerstände durchsetzen.

Sie machen den Eindruck, weit weg von Ihrer Partei zu regieren. Was gilt Wowereits Wort in der SPD?

Das gilt sehr viel. Und die Garantie dafür, dass der Regierende Bürgermeister und die SPD zusammenfinden, ist mein absolut vertrauensvolles Verhältnis zum Landes- und Fraktionschef Michael Müller. Er hält mir den Rücken frei.

Was gilt Ihr Wort in der Bundespartei?

Als Regierungschef und Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sitze ich in allen wichtigen Gremien. Auch in der Föderalismuskommission. Dort wird Berlin nicht nur wahrgenommen, sondern findet zunehmend Gehör.

In der Föderalismuskommission versucht der Bund offenbar, die Länder gegeneinander auszuspielen.

Da ist es wichtig, die Länder zusammenzuhalten. Natürlich gibt es Interessenskonflikte zwischen großen und kleinen, armen und reichen, CDU- und SPD-geführten Ländern. Die Föderalismuskommission hat es aber geschafft, diese Interessen auszutarieren. An den Ländern wird die Reform nicht scheitern.

Fallen die Lebensverhältnisse in Deutschland nicht noch weiter auseinander, wenn die Länder in vielen Bereichen ihre Gesetze künftig selber machen?

Diese Ängste gibt es. Aber ich sehe die Gefahr nicht. Nehmen wir zum Beispiel die Besoldung. In den Bundesministerien, in Nordrhein-Westfalen oder in Brandenburg verdienen die Beamten mehr als in Berlin. Trotzdem laufen uns nicht die Mitarbeiter weg. Wenn doch, sollten wir selbst entscheiden können, was zu tun ist. Die Zuständigkeit des Bundes hat in der Vergangenheit auch zu hohen Tarifabschlüssen geführt, weil der Personalkostenanteil im Bundesetat nur bei 10 Prozent liegt.

Jedes Land macht also künftig seine eigene Besoldungs-, Bildungs- oder Steuerpolitik?

Das wird ein Geben und Nehmen. Über die Förderung des Hochschulbaus wollen die Länder selber entscheiden. Oder über den Ladenschluss. Wenn aber der Bundesinnenminister sagt, er brauche für die Terrorismusbekämpfung mehr Rechte für das Bundeskriminalamt, muss man auch darüber diskutieren. Die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern müssen klar abgegrenzt werden. Nur wenige Gesetze sollen im Bundesrat zustimmungspflichtig bleiben. Dann können Reformen wie Hartz IV nicht mehr blockiert und verwässert werden.

Was hat Berlin von der Reform?

Das Abgeordnetenhaus bekäme, wie alle Länderparlamente, neue Rechte. Es könnte Gesetze machen, die bisher Sache des Bundes waren, obwohl die Länder näher an den Problemen dran sind. Ein besonderer Erfolg für Berlin ist natürlich die Hauptstadtklausel, die im Grundgesetz verankert werden soll. Der Bund übernimmt dann die Zuständigkeit für die gesamtstaatliche Repräsentation in seiner Hauptstadt.

Wie wird das im Detail geregelt?

In einem Vertrag oder einem Bundesgesetz. Vielleicht auch im Haushaltsgesetz des Bundes. Es wird harter Verhandlungen bedürfen, um die Beziehung des Bundes zu seiner Hauptstadt festzuklopfen. Da wird es im Geldbeutel Berlins bestimmt nicht sofort klingeln.

Wann gibt es ein Hauptstadtgesetz?

Erst einmal muss die neue Klausel im Grundgesetz stehen. Danach streben wir eine langfristige Regelung der gesamten Hauptstadtfinanzierung an. Der Senat muss 2005 ohnehin mit dem Bund über mehr Geld für die innere Sicherheit in der Hauptstadt verhandeln. Berlin macht 100 Millionen Euro geltend. Zurzeit erhalten wir nur 38,4 Millionen Euro.

Ein anderes hauptstädtisches Projekt ist der Flughafen Schönefeld. Haben Sie ein Alternativkonzept in der Tasche, sollte das Planfeststellungsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht scheitern?

Das ist mal wieder eine typisch Berliner Diskussion. Der Großflughafen Schönefeld ist das größte Infrastrukturprojekt für ganz Ostdeutschland, und wir werden alles tun, um dieses Projekt bis 2010 zu verwirklichen.

Die Pläne für Sperenberg werden nicht wieder aus der Schublade geholt?

Nein. Als ich Regierender Bürgermeister wurde, habe ich die Grundsatzentscheidung für Schönefeld vorgefunden. Ich hatte vorher selbst eine andere Auffassung, aber jetzt muss den Standort Schönefeld jeder akzeptieren, der das Vorhaben nicht infrage stellen will.

Was wird der Großflughafen kosten?

Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft wird das Finanzierungskonzept im Dezember beschließen. Nach dem Urteils des Oberverwaltungsgerichts – gegen die Schließung von Tempelhof – muss es überarbeitet werden. Wegen der Verluste, die in Tempelhof weiterhin anfallen, müssen Berlin, Brandenburg und der Bund zusätzlich Geld in die Hand nehmen. Aber auch das ist zu bewältigen. Es wird einen Eigenkapitalanteil der drei Gesellschafter geben. Außerdem finanzieren die Europäische Investitionsbank, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und private Geldinstitute das Projekt mit.

Wir fragten nach der Summe.

Ich nenne keine Summen, die noch nicht belastbar sind. Aber an der Finanzierung wird der Bau des Großflughafens gewiss nicht scheitern.

Die abrupte Kehrtwende in Sachen Tempelhof erhöht nicht gerade das Vertrauen in die Flughafenpolitik des Senats.

Es gab keinen Kurswechsel. Wie kommen Sie auf die Idee? Was es gab, war ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das die Schließung von Tempelhof zum 1. November verhindert hat. Was ich aus betriebswirtschaftlichen, ökologischen und Sicherheitsgründen für richtig gehalten hätte. Ich mache aber jetzt keine Schikane oder versuche mit Tricks, das Gerichtsurteil zu konterkarieren.

Tempelhof bleibt also bis 2010 offen?

Nein; das haben Sie vielleicht in der Zeitung geschrieben. Aber von mir haben Sie es nie gehört. Sobald die Planfeststellung für Schönefeld rechtskräftig ist, geben wir Tempelhof auf. Wobei ich davon ausgehe, dass auch dieser Schließungsbeschluss juristisch bekämpft wird.

Was stört Sie an Tempelhof?

Die nostalgischen Gefühle kann ich gut nachvollziehen. Die Vorstellung, gleich Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann zu sehen, wenn man in Tempelhof landet. Und wer sich einen Privatjet leisten kann, freut sich natürlich, 15 Minuten eher im Adlon zu sein. Aber ich will nicht, dass der Steuerzahler auf den Bau einer Kindertagesstätte verzichten muss, weil Berlin jährlich 15 Millionen Euro für Tempelhof zuschießt.

Wo bleibt das Positive?

Die Passagierzahlen in Berlin steigen kräftig. Die Verluste in Schönefeld verringern sich radikal. Und Delta Air und Continental haben entschieden, ab 2005 täglich zwei Direktverbindungen nach New York anzubieten. Berlin wird allmählich besser angebunden.

Auch kleine Projekte machen Probleme. Zum Beispiel das Mauermahnmal am Checkpoint Charlie.

Ach, das ist eine schwierige Situation. Die Stadt hatte sich 1990 bewusst entschieden, die Mauer abzureißen und nicht als Denkmal stehen zu lassen. Dafür haben die Berliner schließlich jahrzehntelang gekämpft. Nur exemplarische Teile wurden öffentlich dokumentiert. Dafür ist die Gedenkstätte an der Bernauer Straße da; obwohl die Schreckensdimension der Mauer, das damit verbundene Elend heute kaum noch emotional darstellbar sind. Aber was Frau Hildebrandt am Checkpoint Charlie in privater Initiative inszeniert, die weiß getünchte Begrenzung eines Grundstücks, wird der historischen Dimension der Mauer überhaupt nicht gerecht. Die Inszenierung kann aus meiner Sicht nicht den Anspruch einer Gedenkstätte erheben.

Diese Installation zieht mehr Leute an als das eher sterile Mahnmal an der Bernauer Straße, das nicht so gut funktioniert.

Wieso funktioniert die Bernauer Straße nicht? Viele Menschen gehen dort hin, besuchen die wissenschaftlich hervorragende Dokumentation. Natürlich ist der Checkpoint Charlie eine Attraktion für Touristen. Aber die interessieren sich ja auch für die russischen Mützen, die dort verkauft werden.

Was sind die Alternativen?

Ich sitze regelmäßig mit den Opferverbänden zusammen. Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Situation der bestehenden Gedenkstätten zu verbessern. Ich meine damit Hohenschönhausen, die Normannenstraße, die Bernauer Straße und andere. Auf diese Einrichtungen sollten wir uns konzentrieren. Wir brauchen keine neue Gedenkstätte und auch keine neu errichteten Mauern.

Was passiert am Checkpoint Charlie?

Ich befürchte, dass wir in eine große Konfrontation geraten. Frau Hildebrandt hat offenbar beim Bezirksbürgermeister Joachim Zeller mittels falscher Vorgaben erreicht, dass ihre Installation ohne Baugenehmigung errichtet werden kann. Herr Zeller hat wohl darauf vertraut, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Projekt handelt. Es droht eine juristische Auseinandersetzung.

Wird der Senat das umstrittene Grundstück kaufen?

Nein. Ganz bestimmt nicht.

Das Gespräch führten Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false