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Berlin: „Wir dürfen nicht hundert Meter vor der Berghütte im Regen stehen bleiben“

Die Kritik wächst, doch Finanzsenator Thilo Sarrazin verteidigt seine strikte Sparpolitik: Weniger Geld könne sogar die Qualität von Opern, Kitas, Unis und Schulen verbessern

Die SPD will aufhören, immer nur übers Sparen zu reden. Können Sie das verstehen?

Die SPD als einheitlich handelndes Organ habe ich bisher nicht kennen gelernt. Es kann sich nur um einzelne Mandatsträger oder Funktionäre handeln, die so denken.

Auch der SPD-Fraktionschef Michael Müller fordert einen Kurswechsel. Andere Themen, wie Bildung, Wissenschaft und Kultur, sollen in den Vordergrund gerückt werden.

Ich stimme Herrn Müller dahingehend zu, dass es darauf ankommt, Inhalte zu gestalten. Und zwar gerade weil das Geld, das für Politik zur Verfügung steht, auch in den nächsten Jahren immer weniger wird. Wir müssen, wenn wir die Qualität öffentlicher Leistungen halten wollen, Produktivitätsreserven erschließen. Wir müssen besser werden, notfalls Geld umschichten, aber wir können es nicht vermehren.

Was meinen Sie mit: Produktivitätsreserven erschließen?

Schauen wir uns zum Beispiel die Ingenieurwissenschaften, die Informatik und die naturwissenschaftlichen Fächer an der Technischen Universität Berlin an. Wenn man die Zahl der Absolventen mit der Regelstudienzeit hochrechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass der technisch-wissenschaftliche Output der TU mit 10 000 Studienplätzen geleistet werden könnte. Es sind aber wesentlich mehr. Die TU ist leider eine Universität mit überlangen Studienzeiten, und es werden dort viele Dinge gelehrt, die nicht zur Kernkompetenz einer Technischen Universität gehören. Im bundesweiten Forschungs-Ranking steht die Humboldt-Universität an zweiter, die Freie Universität an achter und die TU nur an 19. Stelle.

Das ist ein Einzelbeispiel…

…aber ich habe noch mehr. Ordinarien der volkswirtschaftlichen Fakultäten an den drei Berliner Universitäten haben mir gesagt, dass sie es besser fänden, die Kapazitäten der Volkswirtschaftler an einer Hochschule zusammenzufassen. Das würde den Wettbewerb zwischen den Wissenschaftlern erhöhen, die Arbeitsteilung verbessern und das wissenschaftliche Profil verbreitern.

Die Kultur lässt sich auch rationalisieren?

Nach Gründung der Opernstiftung stelle ich die drei Opernhäuser in Berlin selbstverständlich nicht mehr in Frage. Gleichwohl bleibt es für mich ein Problem, das in Zukunft gelöst werden muss, dass die Berliner Opern nur eine Zuschauerauslastung von 66 Prozent haben. In München sind es 92 Prozent. Bei uns liegt der durchschnittliche Zuschuss pro Opernkarte bei 160 Euro, in München sind es 103 Euro.

Mehr Qualität an den Schulen – wie stellt der Finanzsenator die her?

Da Berlin 15 Prozent mehr Lehrer pro Schüler hat als im Bundesdurchschnitt und 20 Prozent mehr als Bayern, halte ich es für ein angemessenes Ziel, dass Berlin beim nächsten Pisa-Test zum Spitzenland Bayern aufschließt.

Sind die Berliner Lehrer so schlecht?

Das zu beurteilen fällt nicht in meine fachliche Zuständigkeit.

Ersatzweise könnten Sie uns verraten, wie man Kindertagesstätten produktiver macht.

Berlin hat die bundesweit höchste Dichte an Kinderbetreuungseinrichtungen und die längste Betreuungsdauer. Ich würde deshalb erwarten, dass zumindest die deutschen Kinder in der Sprachkompetenz bundesweit vorne stehen. Hinter dem Ausländerproblem kann sich Berlin dabei nicht verstecken. Wir haben im Vergleich zu vielen westdeutschen Großstädten eine geringere Ausländerquote; zudem konzentrieren sich die nichtdeutschen Bürger in Berlin auf drei Bezirke. In den übrigen Stadtregionen leben über weite Strecken fast keine Ausländer. Alle meine Beispiele zeigen doch: In der Ausstattung steht Berlin meistens an der Spitze, aber wir müssen auch überall besser werden und die Leistungspotenziale ausschöpfen.

Wie reagieren die Fachkollegen im Senat, wenn Sie ihnen so gute Tipps geben?

Sie kennen mich mittlerweile und akzeptieren es, dass ich Finanzpolitik nicht ohne den Blick auf die Inhalte betreiben kann. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Berlin seine öffentlichen Leistungen auch noch in zehn Jahren in bezahlbarer Form erbringen kann. Daraus leiten sich – auch mit Blick auf die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf Anerkennung der extremen Notlage – unsere Haushaltseckwerte ab. Und wenn an der einen oder anderen Stelle die Konsolidierung zu stocken droht, weil auf angebliche fachpolitische Notwendigkeiten hingewiesen wird, dann sind fach- und finanzpolitische Fragen ohnehin nicht voneinander zu trennen. Diesen Streit müssen dann beide Seiten aushalten.

Sie bleiben kampflustig und lassen sich nicht in die zweite Reihe zurückdrängen?

Erste Reihe, zweite Reihe – das ist nicht mein Thema. Ich sehe mich in einer Reihe mit all denen, auch mit dem SPD-Fraktionschef Müller, die eine nachhaltige Finanzpolitik für notwendig halten, um die Leistungsfähigkeit der Stadt auf Dauer zu sichern.

Die Mehrheit der Berliner folgt Ihnen offenbar nicht. Aus mehreren Umfragen geht hervor, dass die Bevölkerung nicht an einen Erfolg der Sparpolitik glaubt.

Die Mehrheit der Bevölkerung bezieht ihre Informationen aus der Boulevardpresse und vielleicht noch der RBB-Abendschau. Nicht immer werden dort finanzpolitische Fragen allzu tief ausgelotet. Das kann auch gar nicht so sein. Außerdem spielen auch Stimmungen eine große Rolle und nicht zuletzt die Erfahrungen aus der Vergangenheit. Die Berliner Finanzpolitik war zwischen 1990 und 2001 geprägt von einem krassen Missverhältnis zwischen Ankündigungen und tatsächlichen Erfolgen. Diese Erfahrung macht viele Bürger auch für die Zukunft skeptisch.

Sparen tut aber auch weh.

Wie bei jeder bitteren Medizin ist es auch bei der Haushaltskonsolidierung so: Es ist unangenehm, sie zu schlucken, und die positiven Wirkungen zeigen sich erst langfristig. Momentan ist die Politik noch in der Beweispflicht, dass sie die Probleme lösen kann. Dieses bisher uneingelöste Versprechen kombiniert sich bei den Bürgern mit dem berechtigten Gefühl, dass immer neue Belastungen auf sie zukommen und insgesamt die Unsicherheit wächst. Aber es ist wie bei einer anstrengenden Bergwanderung: Auch wenn man meint nicht mehr zu können, macht es doch keinen Sinn, hundert Meter vor der Hütte im Regen stehen zu bleiben.

Viele Ihrer Parteifreunde glauben, dass mit der Sparpolitik allein die Abgeordnetenhauswahl 2006 nicht gewonnen wird.

Alle Erfahrungen sagen: Ein Wahlkampf auf der Basis ungelöster Probleme und ungewisser Perspektive wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gewonnen. Ein Wahlkampf auf der Basis gelöster Probleme wird vielleicht gewonnen. Als Parteipolitiker ziehe ich das „vielleicht“ dem „nicht“ vor. Und verlören wir aufgrund einer unentschlossenen Politik in Berlin auch noch die Klage in Karlsruhe, müsste die Koalition 2006 bekennen, dass sie gescheitert ist. Es gibt nur einen Weg, den Wählern zuversichtlich gegenüberzutreten und zu sagen: Was wir getan haben, war im Detail umstritten, aber in der Summe notwendig. Wir haben die finanzielle Zukunft der Stadt, so weit das geht, gesichert und ein Minimum an Gestaltungsfreiheit erhalten.

Das wird die Wähler beeindrucken?

Ja. Wenn man diese Politik nicht nur predigt, sondern auch konsequent lebt. Wahlen werden im Übrigen nicht dadurch gewonnen, dass man den berühmten Mann auf der Straße von jeder einzelnen Maßnahme überzeugt. Wir müssen vermitteln, dass eine konsistente Politik stattfindet, und zwar besonders den Meinungsführern. Über kurz oder lang kommt unsere Botschaft so auch bei breiteren Schichten an und beeinflusst ihr Wahlverhalten. Darauf müssen wir setzen. Wer glaubt, dass in der Demokratie immer die Dummheit siegt, wird den Glauben an die Demokratie verlieren. Der wird zum Zyniker, aber nicht handlungsfähiger.

Zyniker gibt es längst in der Berliner Politik.

Ja; aber ich bin das nicht, auch wenn ich manchmal so wirken mag.

Noch vor der Abgeordnetenhauswahl 2006 droht die Fusion mit Brandenburg aus finanzpolitischen Gründen zu scheitern.

Die Länderfusion wäre auch im Interesse der bundesstaatlichen Gemeinschaft, denn sie spart Verwaltungskosten und eröffnet neue Wachstumschancen. Deswegen könnte die Vereinigung von Berlin und Brandenburg in geeigneter Form zu den Auflagen einer Schuldenhilfe für die Hauptstadt gehören.

Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

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