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Berlin: Wir fahren, fahren, fahren

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Es ist bemerkenswert, mit wie wenig Vokabular selbst geübte politische Vielredner auskommen. Vielleicht haben sie vor lauter Hektik keine Zeit mehr, aus dem vollen Sprachschatz zu schöpfen. Sie fahren immerfort durch die Politik. Sie fahren einen Haushalt, sie fahren einen bestimmten Kurs, sie fahren ihre Strategien, Modelle und Entscheidungen.

Man hört förmlich die Räder rattern und kann nur gute Reise wünschen. Immer öfter fahren sie jetzt auch zurück. Das hat aber nichts mit einer Geste des Erschreckens vor der ewigen Fahrerei zu tun. Sie fahren lediglich die Ausgaben zurück, denn sie fahren ja einen Sparkurs.

Trotz der Haushaltsnotlage habe der CDU/SPD-Senat bis 1995 „eine expansive Finanzpolitik gefahren“, wurde in der Zeitung aus dem Bericht der Enquètekommission des Abgeordnetenhauses zitiert. Daher empfiehlt die Kommission, dass „öffentliche Subventionen ... zurückgefahren werden“. Mit anderen Worten: Es sollen Subventionen gekürzt, womöglich gestrichen werden.

Das Bürgeramt am Sonnabend „kann mit kleinerer Besetzung gefahren werden“, meinte die SPD-Abgeordnete Kirsten Flesch neulich in der Parlamentsdebatte über die Verwaltungsreform. Das Bürgeramt ist natürlich kein Auto, in dem Bedienstete sonnabends durch den Kiez fahren, um Anliegen von Bürgern entgegenzunehmen. Die sozialdemokratische Abgeordnete wollte damit nur sagen, dass das Bürgeramt an diesen Tagen mit weniger Personal auskommen soll.

In der Fragestunde derselben Plenarsitzung wollte der CDU-Abgeordnete Uwe Goetze wissen: „Welche pädagogischen Erkenntnisse veranlassen den Senat, dieses … Schulmodell (der musikbetonten Schulen) trotz seiner anerkannten Vorzüge zurückzufahren?“ Einmal in Fahrt, fragte der Abgeordnete Goetze auch gleich, was den Senat veranlasse, „das Schulmodell der Sportbetonung analog der Musikbetonung … zurückzufahren“. Gemeint sind wieder Einschränkungen.

Das alte Verb fahren bedeutete ursprünglich jede Art der Fortbewegung, ob laufen, im Wagen fahren, schwimmen, reiten oder reisen. „In Gottes Namen fahren wir“, sangen die Pilger im Mittelalter. Die Bedeutung von gestalten, vermehren, einschränken hat dieses Verb aber bis heute nicht. Wieso lassen sich Politiker so etwas von ihren bürokratischen Helfern aufschwatzen?

Nun werden viele Wörter im übertragenen Sinne gebraucht, auch fahren. Das ist gut, sofern es passt. Es ist hingegen armselig, die Sprache zu malträtieren, weil man fahrlässig die Mühe scheut, sich farbig auszudrücken. Ach, dass doch der Blitz dreinfahre und den Rednern das treffende Wort eingebe, damit ihre Zuhörer nicht aus der Haut fahren.

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