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Berlin: „Wir geben Wertekunde nicht auf“

Klaus Wowereit bleibt dabei: Das Schulfach wird eingeführt – und der Regierende kritisiert Bischof Huber

Sogar der Bundeskanzler und der SPDParteichef werfen den Berliner Genossen vor, gottlose Gesellen zu sein. Haben Sie mit diesem Sturm gegen den verpflichtenden Werteunterricht gerechnet?

Nein. Das musste ich aber auch nicht. Es ist eine Berliner Entscheidung und soll keine Musterlösung für den Rest der Republik sein. In Berlin gibt es seit über 50 Jahren einen freiwilligen Religionsunterricht. Daran wird sich nichts ändern. Andere Länder haben andere Traditionen.

Sie geben das Projekt also nicht auf.

Überhaupt nicht; wir geben Wertekunde nicht auf. Das Fach ist sinnvoll. Auch bei den Kirchen ist unstrittig, dass es dringend geboten ist, ein Unterrichtsfach Ethik/Philosophie einzuführen. Wir wollen einen Beitrag leisten für das bessere Verständnis von Werten, der Ethik und philosophischen Fragen.

Aber haben Sie, nach dem Aufruhr in der Stadt, noch eine gesellschaftliche Mehrheit für den Werteunterricht als Pflichtfach?

Es gibt einen veröffentlichten Aufruhr von Interessierten, die hauptsächlich aus Kirchenkreisen kommen. Natürlich leben in Berlin sehr viele Menschen, die glauben – auch außerhalb der Kirchen. Aber es darf nicht sein, dass für einen bestimmten Glauben oder bestimmte Werte ein Monopol beansprucht wird. Wir leben in einer offenen Stadt, in der Menschen aus vielen Ländern, Religionen und Lebensweisen zusammenkommen. Da ist es wichtig, dass alle tolerant miteinander umgehen. Das ist keine Frage von Mehrheiten. Im Übrigen ist die SPD-Position in Berlin wahrhaftig keine Minderheitsmeinung, sondern wird von vielen geteilt.

Ist es möglich, sich mit den Kirchen noch auf ein gemeinsames Modell zu einigen?

Zuerst einmal finde ich es eigenartig, dass der evangelische Landesbischof Huber, mit dem wir bisher gut zusammengearbeitet haben, jetzt den Dialog über offene Briefe in der Boulevardpresse führt. Wir sollten uns wieder an einen Tisch setzen und unsere Positionen austauschen. Die Politik dieses Senats richtet sich nicht gegen die Kirchen, wir schätzen die Kirchen und wollen an ihrem Status nichts ändern.Und das Angebot des Bildungssenators Böger, mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften über die Inhalte des neuen Schulfachs zu reden, steht. Sie sollen selbstverständlich ihre originären Positionen im Unterricht vertreten. Da gibt es Spielräume. Aber es gibt keinen Spielraum in der Frage, dass dieses Fach verbindlich für alle Schüler sein wird.

Was heißt das: Die Kirchen können sich originär in den Werteunterricht einbringen? Wird das „Fenstermodell“ wiederbelebt, indem die Kirchen mit eigenen Unterrichtsmodulen teilnehmen?

Elemente des „Fenstermodells“ könnten mit dem neuen Fach verbunden werden. Was protestantischer, katholischer oder jüdischer Glauben ist, sollten Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften selbst vermitteln. Als Gäste, in Verantwortung des zuständigen Fachlehrers. Wie das ausgestaltet wird, muss in einem Diskussionsprozess ausgelotet werden. Dabei sollten die Erfahrungen anderer Länder berücksichtigt werden. Denn auch in Ländern mit Religion als Pflichtfach gibt es einen Werteunterricht. Zum Beispiel in Bayern.

Ein zweites schwieriges Thema ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Flughafen Schönefeld. Wie gehen Sie mit dem faktischen Baustopp um?

Ich hatte mir im Vorfeld erhofft, das gebe ich freimütig zu, dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren schon Hinweise auf den Ausgang des Hauptverfahrens gegeben werden. Dazu hat sich das Bundesverwaltungsgericht wegen der überaus komplizierten Flughafenplanung außerstande gesehen. Das Verfahren bleibt offen, das müssen wir akzeptieren. Das hindert uns nicht an bauvorbereitenden Maßnahmen, aber die Zeitpläne für den Ausbau müssen überarbeitet werden.

Der Flughafen wird erst nach 2010 fertig?

Es wird einen Zeitverzug geben. Wie hoch er sein wird, kann zurzeit niemand seriös sagen. Das wird erst möglich sein, wenn das Bundesverwaltungsgericht 2006 über die Planfeststellung des Großflughafens endgültig entscheidet. Wir werden daran arbeiten, die Planungen zu optimieren und die Verzögerungen so gering wie möglich zu halten. Es gibt keinen Grund, jetzt in Panik zu verfallen. Solange ich keine anderen Erkenntnisse habe, halte ich am Eröffnungstermin 2010 fest. Es ist müßig zu spekulieren.

Die Achillesferse ist der unterirdische Bahnhof, auf den das Flughafenterminal aufgesetzt wird. Dessen Bau sollte im Januar 2006 beginnen. Das geht nicht mehr.

Auch ohne die Gerichtsentscheidung am Donnerstag wäre mit dem Bau des Bahnhofs nicht Anfang 2006 begonnen worden. Aber es stimmt: Der Rohbau des Bahnhofs muss stehen, erst dann kann das Terminal gebaut werden.

Denken Sie über andere Standorte nach?

Eine solche Diskussion, die mit der Aufgabe der eigenen Rechtsposition verbunden wäre, würde der Sache erheblich schaden. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Flughafenplanung für Schönefeld rechtens ist. Sonst wäre der Planfeststellungsbeschluss nicht getroffen worden.Das Gespräch führten Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach

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