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Berlin: „Wir sehen ein erstes Umsteuern – auf den richtigen Weg“

Trotz der schlechten Umfragewerte hat Berlin gute Chancen, sagt der Wirtschaftsforscher Böllhoff

Es sieht nicht gut aus für Berlin. Wieder einmal gerät die Hauptstadt bei einem wissenschaftlichen Vergleich mit anderen deutschen Regionen ins Hintertreffen. Im Auftrag des „Handelsblattes“ hat das Forschungsinstitut Prognos jetzt wie berichtet die Zukunftschancen von 439 deutschen Städten und Landkreisen bewertet. Ballungsräume wie Stuttgart oder das RheinMain-Gebiet liegen neben München vorne. Berlin dagegen landet mit Platz 262 im unteren Mittelfeld. Die Wissenschaftler analysierten dafür ein ganzes Bündel von Indikatoren, zum Beispiel Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung, Bevölkerungszahlen, Innovationskraft, soziale Lage oder Infrastruktur. Ingo Bach sprach mit Christian Böllhoff, Geschäftsführer der Prognos AG, über die Chancen der Stadt.

Herr Böllhoff, in Ihrem Ranking schafft es Berlin gerade mal ins untere Mittelfeld. Gibt es unter den 29 Kriterien, die Sie in die Bewertung mit einbezogen haben, auch mutmachende Faktoren?

Ja sicher. Berlin steht in vielen Bereichen gar nicht so schlecht da, und das gerade in den besonders zukunftsträchtigen. Betrachtet man beispielsweise den Anteil von Beschäftigten in den Zukunftsbranchen, dann schafft es die Stadt immerhin auf Rang 17 von 439 Regionen. Das heißt, dass hier viele Menschen in Forschungs- und Entwicklungsfirmen, in der Tourismusbranche oder im Gesundheits- und sozialen Dienstleistungsbereich beschäftigt sind. Nach unseren Erkenntnissen wird es gerade in diesen Branchen bis 2020 das stärkste Beschäftigungswachstum geben.

Welches Image hat die Stadt?

Berlin ist für junge, gut ausgebildete Menschen sehr attraktiv, besonders wegen der hiesigen Kultur- und Wissenschaftsangebote. Deshalb kommt diese begehrte Bevölkerungsgruppe gerne in die Stadt. Was den Zulauf an jungen Erwachsenen betrifft, so findet sich die Stadt auf Platz 37 der zuzugsstarken Regionen.

Wieso aber fällt dann die Gesamtplatzierung so schlecht aus?

Weil Berlin an zwei schweren Hypotheken zu schleppen hat, die wir als große Risiken für die Zukunftsfähigkeit der Stadt ansehen. Da ist zum einen der Wohlstand der hier Lebenden. Die Einkommensverhältnisse sind unterdurchschnittlich, und die soziale Lage verschlechtert sich immer weiter. Auch die anhaltend hohe Arbeitslosenquote ist ein Grund zur Sorge.

München, Stuttgart und Hamburg rangieren weit vor Berlin. Was kann die Stadt von ihnen lernen?

Berlin muss sich auf absehbare Zeit davon verabschieden, mit diesen Städten konkurrieren zu wollen. Das wäre so, als ob man gerade erst anfängt, für den Marathon zu trainieren und sich trotzdem gleich mit einem Leistungssportler messen will. Aber Berlin ist auf dem richtigen Weg, wenn es sich auf seine bereits vorhandenen Stärken besinnt, also die Zukunftsbranchen und den Kultur-, Wissenschafts- und Gesundheitssektor gezielt fördert. Da sehen wir auch ein erstes Umsteuern in der Stadt.Wenig vielversprechend scheint mir aber auf Dauer das Vorgehen zu sein, mit hohem finanziellem Aufwand anderen Städten Firmenansiedlungen abzujagen, wie im Medienbereich jüngst geschehen.

In Ihrer Studie findet sich Berlin in der Gruppe derjenigen Regionen mit gleichen Zukunftschancen wie -risiken. Was kann Berlin noch tun, damit sich die Waage Richtung Chancen neigt?

Es muss den jungen, gut ausgebildeten Zuwanderern ihre Chancen lassen. Das heißt zum Beispiel, deren unternehmerischen Mut nicht durch bürokratische Hürden vor allem auf der Bezirksebene zu behindern. Und: Berlin muss aufpassen, dass bei den internen Spardebatten nicht eine Art Mitleidsstimmung nach außen dringt. Denn so etwas schreckt die jungen Leute ab. In einer Verliererstadt wollen die nämlich nicht leben.

Christian Böllhoff

ist Geschäftsführer des Forschungsinstituts Prognos. Der 40-Jährige ist Autor einer Studie zu den

Zukunftschancen von 439 deutschen Städten und Landkreisen.

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