zum Hauptinhalt

Berlin: „Wir sind noch dabei, uns kennen zu lernen“

Trotz guten Willens der Westalliierten deuteten sich die künftigen Konflikte mit den Sowjets frühzeitig an. Von Helmut Trotnow

Am Nachmittag des 4. Juli 1945 gab es in BerlinLichterfelde eine Zeremonie von wahrhaft historischer Bedeutung: Auf dem Dach der Kaserne „Leibstandarte-Adolf-Hitler“ wurde in Anwesenheit sowjetischer Streitkräfte die amerikanische Fahne hochgezogen. Zwei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa hatten die USA gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich endlich die Hauptstadt des militärisch besiegten Hitler-Deutschland erreicht. Die Idee zu der Zeremonie stammte von US-General Floyd Lavinius Parks. Am 3. Juni war er zum Befehlshaber des „Berlin District“ ernannt worden und wurde so der erste US Stadtkommandant.

Seine Hoffnung, mit der Zeremonie die „Einheit der Sieger“ zu demonstrieren, war vergeblich. Die Briten nahmen gar nicht erst teil und feierten ihre Ankunft zwei Tage später mit einer Parade am Großen Stern im Tiergarten. Frankreich wurde zwar durch General Gueffroy Beauchesne vertreten, der später auch das französische Kommando in Berlin übernahm. Die Rolle Frankreichs im Kreis der „Großen Drei“ war jedoch noch völlig unklar. Erst am 12. August 1945 durfte sich Frankreich als vierte Sieger- und Besatzungsmacht bezeichnen.

Die Rahmenbedingungen für das west-östliche Zusammentreffen waren höchst unausgewogen. Die sowjetischen Streitkräfte hatten Berlin nach einem blutigen Endkampf militärisch erobert und waren seit Ende April 1945 die alleinige Besatzungsmacht. Die westlichen Truppen hatten bei Kriegsende auf einer Linie von Halle an der Saale bis hin zu Wismar an der Ostseeküste gestanden und mussten sich nun in die westlichen Zonen zurückziehen oder nach Berlin marschieren.

Laut Parks begannen die Berlin-Planungen der USA unmittelbar nach der Kapitulation. Die vier Siegermächte sollten sich so rasch wie möglich in Berlin treffen, um von dort aus das Besatzungsregime in Gang zu setzen. Grundlage waren die Absprachen von 1944 in London. Deutschland sollte in drei, nach der Aufnahme von Frankreich in vier Besatzungszonen eingeteilt werden. Der Alliierte Kontrollrat regelte die Angelegenheiten für „Deutschland als Ganzes“, die Hauptstadt Berlin wurde von der Alliierten Kommandatura verwaltet.

Der erste Kontakt nach dem Eintreffen der Westmächte erfolgte am 3. Juli im Hauptquartier des sowjetischen Stadtkommandanten, General Gorbatow. Nach dem Gesprächsprotokoll saßen sich hier bereits die künftigen Stadtkommandanten der „Großen Drei“ gegenüber: Gorbatow für die Sowjetunion, Parks für die USA und General Lewis O. Lyne für Großbritannien. Gorbatow berichtete, dass nach der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht die Infrastruktur der Stadt total zusammengebrochen war. Es gab keine Wasser- und Stromversorgung, die sanitären Anlagen funktionierten nicht und der öffentliche Transport stand still. Pro Tag wurden rund 150 Todesfälle in der Bevölkerung registriert. Hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung erklärte Gorbatow, dass die sowjetischen Streitkräfte täglich rund 2,8 Millionen Berliner versorgt hätten. Beim nächsten Treffen am 7. Juli nahm auch der sowjetische Marshall Georgij Schukow teil, wodurch das Treffen zur ersten Sitzung des Alliierten Kontrollrates wurde. Allein aus protokollarischen Gründen mussten auf westlicher Seite mit General Lucius D. Clay und General Sir Ronald Weeks ebenfalls die ranghöchsten Vertreter anwesend sein.

Auch diese Sitzung wurde von den Verhältnissen in Berlin bestimmt. Anhand der registrierten Lebensmittelkarten konnte Schukow präzise Angaben zur Bevölkerung in den Berliner Sektoren machen: Demzufolge lebten im sowjetischen Sektor 1 106 358 Berlinerinnen und Berliner, im britischen Sektor waren es 909 221 und im US Sektor 787 671. Die Lebensmittelversorgung war in der Tat kritisch. Die Vorräte reichten maximal für drei oder vier Tage. Die westlichen Vertreter nahmen die Informationen zur Kenntnis und sagten zu, die Versorgungsfrage mit ihren Regierungen zu klären. Neben der Klärung von Detailfragen wurde aber auch jenes Thema erörtert, das die Westmächte bis zum Ende ihrer Präsenz in Berlin beschäftigen sollte: ihre Rechte auf Zugang nach Berlin.

Trotz Bedenken akzeptierten die westlichen Vertreter sowjetische Vorschläge, die später nicht mehr revidierbar waren. Dies galt vor allem für die Landverbindung zwischen Magdeburg und Berlin. Die erste offizielle Sitzung der Alliierten Kommandatura fand am 11. Juli 1945 statt: im Büro des sowjetischen Stadtkommandanten. Allerdings gab Parks gleich zu Beginn der Sitzung bekannt, dass ein permanenter Standort für das Gremium im US-Sektor gefunden worden war. Das Gebäude befand sich in der Kaiserswerther Straße im Bezirk Dahlem. Die Adresse blieb bis zur deutschen Einigung am 3. Oktober 1990 bestehen. Mit dem Beginn der Potsdamer Konferenz, zu der die „Großen Drei“ vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 zusammenkamen, war der Prozess des Kennenlernens in Berlin abgeschlossen.

Das Tagebuch von Parks vermittelt den Eindruck, dass zu diesem Zeitpunkt die amerikanische Seite eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Sowjetunion für sehr wohl möglich hielt. „Die Russen sind ein stolzes Volk mit einer Liste großer Erfolge“, erklärte der US Stadtkommandant in einem Interview mit dem Rundfunksender CBS. „Wir sind immer noch dabei“, mahnte er etwaige Skeptiker zur Geduld, „uns kennen zu lernen“.

Das konstant konfliktreiche Zusammenleben in Berlin machte jedoch alle Hoffnungen zunichte. Die Berlin-Blockade drei Jahre nach Kriegsende bewies, dass die Unterschiede zwischen dem kommunistischen Regime und den westlichen Demokratien unüberwindbar waren. Freiheit und Demokratie gehörten eben nicht zu den Grundwerten sowjetischer Politik.

Der Autor ist Direktor des Alliierten-Museums Berlin

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false