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Potsdamer Platz in Berlin.

© Getty Images

Wirtschaftsstandort Berlin: Was sich in der Hauptstadt ändern muss

Eine Umfrage zeigt: Die Deutschen trauen Berlin wirtschaftlich wenig zu. Wir haben bei fünf Unternehmern nachgefragt, was sich am Standort ändern muss

Es läuft in Berlin. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt von Rekordhoch zu Rekordhoch, die Arbeitslosigkeit sinkt und das Wirtschaftswachstum der Hauptstadt lag zuletzt regelmäßig über dem der Restrepublik. Kein Wunder also, dass Wirtschaftssenatorin Ramona Pop immer öfter ins Schwärmen gerät. „Die Berliner Wirtschaft boomt und ist weiter auf Expansionskurs“, lobt die Grünen-Politikerin. Nach langen Jahren des strukturellen Wandels sei Berlin heute ein dynamischer und innovativer Standort.

Nicht ganz so schmeichelhaft klingt hingegen das, was das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) über den Standort ausgerechnet hat. „Berlin steuert gerade einmal vier Prozent zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bei und hat sogar einen leicht dämpfenden Effekt von 0,2 Prozent auf das Pro-Kopf-Einkommen der gesamten Bundesrepublik“, heißt es in einer aktuellen Studie des Instituts. Im Klartext: Ohne die Hauptstadt stünde Deutschland wirtschaftlich besser da.

Und so wie die Kölner Wissenschaftler sehen es nicht wenige im Land: Als Wirtschaftsstandort trauen die Deutschen ihrer Hauptstadt wenig zu. Das beweisen auch die Ergebnisse einer neuen repräsentativen Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des Tagesspiegels durchgeführt hat. 40,9 Prozent der Deutschen halten demnach Berlin für einen unattraktiven Wirtschaftsstandort – 22 Prozent sind sich nicht ganz sicher. Damit nicht genug: Auf die Frage, welche deutsche Stadt das größte Entwicklungspotenzial besitzt, fällt den Deutschen ihre Hauptstadt erst sehr spät ein – kurz vor Düsseldorf und Stuttgart. Vorne liegt Leipzig, Ostdeutschlands dynamische Messestadt (siehe Grafik).

Ganz anders sehen es die Berliner selbst, die ihre Stadt lieben. 54 Prozent von ihnen halten Berlin für einen attraktiven Wirtschaftsstandort. Und wenn es darum geht, die Stadt mit dem höchsten Entwicklungspotenzial zu benennen, liegt – Überraschung! – Berlin an allererster Stelle.

Immerhin, in einer Sache gibt es Einigkeit zwischen der Binnen- und der Außensicht: Die Zahl der Arbeitsplätze wird in der Hauptstadt in den kommenden fünf Jahren steigen, davon sind sowohl die befragten Berliner überzeugt wie auch alle anderen Deutschen. Wie stark dieses Wachstum ausfallen wird, darüber herrscht gleichwohl wieder Uneinigkeit. So glauben 66,5 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, dass in ihrer Stadt mehr Jobs geschaffen werden, während diese Entwicklung in Gesamtdeutschland lediglich 43,3 Prozent prognostizieren.

Kurzum: Wenn es um die Wirtschaftskraft der Hauptstadt geht, klaffen Selbstbild und Fremdwahrnehmung ziemlich weit auseinander. Gerrit Richter, Civey-Geschäftsführer, sieht hierfür ein zentralen Grund: „Berliner erleben hautnah, dass es wirtschaftlich bergauf geht in der Stadt. Das Straßenbild verändert sich, die Mieten steigen und Unternehmen bauen neue Niederlassungen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Vieles davon wird jedoch im Rest von Deutschland nicht wahrgenommen. Hier stehen eher Negativ-Nachrichten von der Flughafenbaustelle BER oder die Schwierigkeiten in der Verwaltung im Vordergrund.“

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Boomtown oder Pannenhauptstadt? Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte. Es stimmt schon, Berlin ist attraktiv geworden. Tausende Gründer, Kreative und Unternehmer haben die Stadt in den vergangenen Jahren zu ihrer Heimat gemacht und ihrerseits Berlin auch zur ökonomischen Blüte verholfen: Mehr als 55 000 neue Jobs sind alleine im vergangenen Jahr in der Stadt entstanden – viele davon in innovativen und wissensintensiven Branchen wie der Biotechnologie oder der Medizintechnik. Der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin-Adlershof ist ein gute Beispiel dafür, wie Unternehmensansiedlung funktionieren kann. In Adlershof wurden in den vergangenen Dekaden öffentliche Mittel in Höhe von rund 1,4 Milliarden Euro investiert, daraus entstanden bis heute mehr als 1000 Unternehmen mit etwa 16 500 Arbeitsplätzen.

Wahr ist aber auch, dass die Berliner Wirtschaft noch immer nicht die jahrzehntelange Teilung der Stadt überwunden hat und bis heute an strukturellen Schwächen leidet. So warnte die Unternehmensberatung McKinsey in einer Standortstudie, Berlin habe noch eine geringe Exportorientierung und im Vergleich zu wirtschaftlich erfolgreicheren Metropolen prozentual nur halb so viele Beschäftigte außerhalb reiner Versorgungsbereiche.

Was also muss sich am Standort Berlin ändern, damit sich der Aufschwung der vergangenen Jahre fortsetzt und auszahlt? Welche Impulse muss die Politik setzen, damit sich die Kluft in Berlin zwischen wirtschaftlichem Wunsch und der Wirklichkeit nicht vergrößert? Der Tagesspiegel hat bei fünf führenden Akteuren und Entscheidern der Wirtschaft nachgefragt – zum Start unserer neuen wöchentlichen Seite „Berliner Wirtschaft“ finden sich hier ihre Antworten.

IHK-Präsidentin Beatrice Kramm fordert bessere Bildung

Beatrice Kramm, die Praesidentin der IHK Berlin.
Beatrice Kramm, die Praesidentin der IHK Berlin.

© IHK Berlin/Oliver Lang

Rund 10 Prozent der Jugendlichen in Berlin haben keinen Schulabschluss. Mit 11,7 Prozent ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen – wohl nicht ganz zufällig – ähnlich hoch. Beide Zahlen machen mir große Sorgen. Denn diese jungen Menschen gehören schon heute zu den Verlierern einer der größten wirtschaftlichen Umwälzungen, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat: der Digitalisierung. Unsere jüngste IHK-Umfrage zur Digitalisierung hat ergeben: Die Jobs, die man auch ohne Abschluss oder Ausbildung machen kann, geraten massiv unter Druck. Ich wünsche mir deshalb eine ehrliche Analyse der Gründe für Schulabbrüche und einen Masterplan, um diese Zustände zu ändern. Denn eine Stadt wie Berlin, Gründermetropole und Start-Up-Hauptstadt kann es sich einfach nicht leisten, auf Dauer jeden zehnten Jugendlichen an die Perspektivlosigkeit zu verlieren. 2018 sollte das Jahr der Bildung werden. Nur mit „Bildung first“ wird die Jugendarbeitslosigkeit sinken, gibt es weniger Ausbildungsabbrüche und mehr Digitalisierungsgewinner.

Andreas Nitze, Chef von Berliner Glas, fordert eine bessere Verwaltung

Andreas Nitze, Geschäftsführer Berliner Glas.
Andreas Nitze, Geschäftsführer Berliner Glas.

© promo

Vor wenigen Tagen vermeldete der Senat mit 2,1 Milliarden Euro den höchsten Haushaltsüberschuss seiner Geschichte. Hört sich gut an, oder? Nach Jahren des Sparens „bis es quietscht“ (Klaus Wowereit) sind endlich die Mittel vorhanden, um die Zukunft Berlins zu gestalten. Obwohl Politik, Wirtschaft und Berliner Bürger sich einig sind, dass die hauptstädtische Infrastruktur einer Runderneuerung bedarf (etwa 15 Milliarden Euro), werden nur etwa 70 Prozent der vorgesehenen Gelder im Jahr investiert! Wie kann das sein? Die Berliner Verwaltung ist schlicht überfordert. Mit einem Krankenstand, der etwa viermal so hoch ist (40 Tage im Jahr) wie der bundesdeutsche Schnitt, einer Bezahlung, die 12 Prozent unter dem der Bundeskollegen liegt, und einer schleichenden Überalterung ist die Verwaltung für gute Köpfe wenig attraktiv, eingeschränkt leistungsfähig und den neuen Aufgaben nicht gewachsen. Wenn nicht schnellstens alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um moderne attraktive Arbeitsplätze auf Landes- und Bezirksebene zu schaffen, verpassen wir die Chance, auf Basis einer modernen leistungsfähigen Infrastruktur, Berlins Zukunft zu gestalten. Ran an die Buletten!

Zalando-Co-Chef Rubin Ritter fordert mehr Offenheit

Rubin Ritter.
Rubin Ritter.

© Bloomberg/Getty Images

Berlin ist die Heimat von Zalando, ein Großteil der deutschen Gründerszene hat sich hier versammelt. Auch international ist die deutsche Hauptstadt Anziehungsmagnet für Top-Talente. Doch gerade für sie sind die ersten Schritte in Berlin nicht einfach: Behördliche Formulare gibt es in der Regel nur auf Deutsch und englischsprachige Ansprechpartner sind die Ausnahme, ganz zu schweigen von digitalen Angeboten der Ämter. Dabei würde es doch gerade zu Berlin, das in vielen Bereichen Vorreiter in Sachen Innovation und Internationalisierung ist, bestens passen, wenn man mit Englisch und insbesondere online problemlos weiterkäme. Woanders ist man uns bei diesem Thema voraus: In vielen europäischen Städten sind englischsprachige Mitarbeiter in Ämtern Standard und in Estland lässt sich binnen 20 Minuten ein Unternehmen online gründen, sogar von Berlin aus. Wir wünschen uns, dass die Berliner Behörden digitaler und internationaler werden, damit Berlin im Wettstreit um die besten Talente konkurrenzfähig bleibt und seine Position als zukunftsträchtiger Wirtschaftsstandort verteidigt.

Vivantes-Chefin Andrea Grebe fordert mehr Investitionen

Andrea Grebe, Chefin Vivantes.
Andrea Grebe, Chefin Vivantes.

© Monique Wüstenhagen

Die Berliner Kliniken brauchen mittel- und langfristig verlässliche Investitionen. Konkret sind für alle Berliner Krankenhäuser jährlich etwa 256 Millionen Euro investive Mittel vom Land Berlin erforderlich, davon sind wir noch weit entfernt. Dazu kommt der Investitionsstau, der sich über die Jahre gebildet hat. Die Prüfungs- und Genehmigungsverfahren müssen schneller werden, hier sind in den Verwaltungen mehr Fachkräfte und schlankere Prozesse notwendig. Zudem müssen die Krankenhäuser finanziell in die Lage versetzt werden, sich digital zu erneuern und die digitale Transformation einzuleiten und umzusetzen. Sie ist unabdingbar für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung. Es geht hier nicht nur um digitale Patientenakten, sondern um völlig neue Möglichkeiten der Diagnose und der Therapie. Hierbei ist ohne Zweifel die Datensicherheit gerade im Gesundheitswesen von zentraler Bedeutung. Dennoch ist auch hier bei der Regulierung Augenmaß erforderlich, sowohl im Hinblick auf Datenschutzvorgaben wie auch bei den wachsenden Dokumentationspflichten. Das ist allerdings nicht allein Sache der Landespolitik. Hier ist auch der Bund gefragt.

KIWI-Chefin Claudia Nagel fordert eine bessere Infrastruktur

Claudia Nagel, Geschäftsführerin KIWI.
Claudia Nagel, Geschäftsführerin KIWI.

© promo

Berlin erfüllt prinzipiell alle Voraussetzungen für einen innovativen und attraktiven Smart-City-Standort. Die Gründerszene ist einzigartig und stark ausgeprägt. Junge, internationale Talente in Start-ups, aber auch der breite Mittelstand sind offen für neue und digitale Ideen. Allerdings werden guten Ideen zu viele Hürden in den Weg gelegt, egal ob finanzieller, regulatorischer oder einfach abwartender Art. Insbesondere die Infrastruktur der Stadt zeigt Nachholbedarf wenn man sich Breitband, flexible Gewerbeflächen, eine schlanke digitale Verwaltung oder neue Mobilitätskonzepte wünscht. Auch ist sie heute in weiten Teilen überlastet. Neue Konzepte, wie z.B. die Nachtzustellung für Pakete könnten helfen. Berlin kann hier deutlich experimentierfreudiger sein. Um in der schnelllebigen Zeit dauerhaft als Kreativ- und Start-Up Metropole im internationalen Vergleich mit London, Tel Aviv, Paris oder New York mithalten zu können, muss Berlin in smarte Infrastruktur investieren.

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