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Entehrung eines Kolonialherren: Wissmannstraße in Berlin-Grunewald soll künftig „Baraschstraße“ heißen
Wie schon in Neukölln wird auch die Wissmannstraße in Grunewald umbenannt. Eine Jury entschied sich nun für das jüdische Ehepaar Barasch als neue Namensgeber.
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Der 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordete jüdische Kaufmann Arthur Barasch und seine Frau Irene, die dem NS-Terror durch ihre Flucht ins Ausland entkam, sind von einer Jury als neue Namensgeber der Wissmannstraße in Grunewald ausgewählt worden.
Die endgültige Entscheidung liegt nun bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf. Am 27. Mai steht das Thema auf der Tagesordnung. Tafeln an den Schildern der voraussichtlichen Baraschstraße sollen an die Familie erinnern, die in einer Villa an der Wissmannstraße 11 gewohnt hatte.
Hermann von Wissmann (1853 bis 1905) war ein Afrikaforscher und Befehlshaber deutscher Kolonialtruppen. Ihm wird besonders die blutige Niederschlagung eines Aufstands der Küstenbevölkerung in Ostafrika angelastet. Zum Gedenken an die Folgen der Kolonialherrschaft ist eine Stele geplant.
Die politische Diskussion um den Grunewalder Straßennamen begann Ende 2017 mit dem BVV-Antrag „Keine Ehrung für Kolonialverbrecher und Rassisten“ der Linksfraktion, der im Juni 2019 mehrheitlich beschlossen wurde. Später führte ein öffentlicher Aufruf, neue Namen vorzuschlagen, zu 47 Einsendungen. Dabei wurde die Baraschstraße mehrmals angeregt.
Die Jury bestand aus Fraktionsvertretern, Mitgliedern des Bündnisses „Decolonize Berlin“ und Anwohnern. Auch BVV-Vorsteherin Annegret Hansen und Kulturstadträtin Heike Schmitt-Schmelz (beide SPD) spielten maßgebliche Rollen, obwohl sie offiziell nicht stimmberechtigt waren. Welche anderen Straßennamen diskutiert wurden, ist noch nicht bekannt. Das Gremium tagte vertraulich.
In Neukölln trägt eine vorherige Wissmannstraße bereits seit April den Namen der tansanischen Politikerin und Frauenrechtlerin Lucy Lameck.
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Arthur Barasch kam 1872 in Schlesien zur Welt (in einigen Quellen wird sein Vorname „Artur“ geschrieben). Er und sein Bruder Georg gründeten die Kaufhauskette.„Gebrüder Barasch". 1921 zog Arthur Barasch mit seiner Familie nach Grunewald. In der Machtübernahme der Nazis sah er für sich anfangs keine Gefahr. Doch im Frühjahr 1942 wurde er deportiert.
An die Ermordung erinnert bereits ein Stolperstein
Lange wurde angenommen, dass das NS-Regime ihn im Konzentrationslager Sachsenhausen tötete. So stand es zunächst auch auf einem „Stolperstein“, der im Jahr 2008 auf Anregung von Mietern des Hauses Wissmannstraße 11 auf dem Gehweg davor verlegt wurde. Spätere Forschungen ergaben aber, dass Barasch im KZ Auschwitz starb. Die Gedenktafel wurde ersetzt. Vor sieben Jahren gründete die Hausbewohnerin Barbara Gstaltmayr eine Initiative für einen „Bürgergarten“ als öffentlichen Erinnerungsort. Diese Idee scheiterte an einem Wohnungsbauprojekt des Grundstückseigentümers.
Irene Barasch sowie die Kinder Else und Werner waren auf teils abenteuerliche Weise aus Deutschland geflohen. Darüber schrieb Werner Barasch später das Buch „Entronnen“. Eine Kurzbiografie der Familie gibt es auf der Webseite der Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf.
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