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Ballwechsel mit Ton und Takt: Orgenspieler Stephan Bothmer kommentiert die WM-Spiele auf musikalische Art.

© Thilo Rückeis

WM 2014: Public Viewing in Berlin: Orgelmusik statt Fernsehkommentar

Stephan von Bothmer ersetzt beim Public Viewing in der Emmauskirche in Kreuzberg dem Fernsehkommentator mit seiner Orgelmusik. Er sagt, dass er am Rhythmus erkennt, wer gewinnt.

Fast genau vier Jahre ist es nun her, Public Viewing, Deutschland verliert kläglich im Halbfinale gegen Spanien. Da stürzt ein Mann nach vorne und ruft Stephan von Bothmer entgegen: „Spiel schneller, Mann!“ Als könne der an der Orgel das Geschehen auf der Leinwand steuern, wie mit einer unsichtbaren Verbindung zwischen seinen Tasten und der Mannschaft in Südafrika.

Manchmal, in besonders virtuosen Momenten, wirkt das fast so. Stephan von Bothmer begleitet das Fußballspiel, baut eine Dramaturgie auf, dann spielt er einen dissonanten Akkord und – zack – grätscht ein gegnerischer Spieler ins Bild. Solche kleinen Wetten müsse er eingehen, sagt Bothmer, 43. Natürlich geht das auch mal daneben. Gelingt es, ist die Wirkung umso gewaltiger. Der Stummfilmpianist begleitet auch zu dieser WM beim Public Viewing in der Kreuzberger Emmauskirche mehrere Spiele an der Orgel, vorne links neben dem Altar.

Orgelmusik statt Fernsehkommentar – am Anfang sei er „mega aufgeregt“ gewesen, sagt von Bothmer. Ob das funktionieren kann? Ob es angenommen wird? Diese Fragen sind spätestens seit der EM 2012 beantwortet, als er die Kirche dreimal hintereinander mit 600 Zuschauern füllte. Beim Orgel-Fußball tobe das Publikum noch mehr als beim herkömmlichen Public Viewing, sagt von Bothmer. Weil sie die Geräusche des Stadions in der Stille der Kirche ersetzen müssen.

Britney aus der Pfeife

Und wenn er sich dann auch noch kleine Scherze erlaubt – zum Beispiel beim dritten Foul eines Spielers „Oops! ... I did it again“ von Pop-Hupe Britney Spears anstimmt – kocht die Stimmung.

Eine wunderbare Brechung sei es, mit seinem sakralen Instrument ein Fußballspiel zu begleiten, sagt von Bothmer. Parteilichkeit versucht er dabei zu vermeiden. Aber Pathos ist erlaubt. Fällt ein Tor, gibt es ein paar kolossale Dur-Akkorde. „Die Orgel ist brachial laut, das ist schon mal ein Vorteil.“ Zudem könne man mit der Orgel „die Posaunen der Hölle spielen“, sagt von Bothmer. „Es ist kein teuflisches Instrument, aber ein Bein hat es auf der dunklen Seite.“ Für die ganze Bandbreite an Emotionen.

Zurück nach Südafrika, Deutschland gegen Spanien, die deutsche Mannschaft gibt ein elendes Bild ab, was tut der Fußballorganist? „Ich kann ja nicht das ganze Spiel über total langweilig spielen“, sagt er. Also packt von Bothmer seine Mundharmonika aus und trägt eine Melodie vor: Spiel mir das Lied vom Tod. „Damit war die Stimmung gerettet“, sagt er grinsend.

Der Pfarrer der Emmaus-Ölberg-Kirchengemeinde Jörg Machel ist begeistert. Für den Orgel-Fußball lässt er sogar das große Kreuz abhängen. Machel sieht das pragmatisch. Es gebe eben diese große weiße Fläche am Altar, die sich hervorragend als Leinwand eignet. „Und wir können die Spieler ja nicht ständig durchs Kreuz rennen lassen.“

Wie es sich gehört, wird beim Public Viewing in der Emmauskirche auch Bier ausgeschenkt. Eine Gage erhält von Bothmer nicht, dafür geht ein Klingelbeutel herum. Denn Eintritt darf das Public Viewing nicht kosten, sonst erhebt die Fifa Lizenzgebühren.

Takt vorm Torschuss

Zum ersten Mal hat Stephan von Bothmer ein Spiel an der Orgel der Emmauskirche zur EM 2008 begleitet. Beim Spiel Spanien – Niederlande plante er zunächst, die erste Hälfte ganz ohne Ton zu spielen und es bei der zweiten Hälfte mit nebenherlaufendem Kommentar zu versuchen. Doch als er sich nach der Halbzeit erstmals wieder umdrehte und im Kirchensaal 250 begeisterte Zuschauer sah, blieb er dabei, den Ton abzudrehen.

Hinterher sagen die Zuschauer oft, sie hätten nie ein Spiel so intensiv erlebt, so sehr darauf geachtet, was mit dem Ball passiert, wie beim Orgel-Fußball. „Mit der richtigen Musik sieht man einfach mehr“, sagt von Bothmer. Rockklassiker, Aktuelles, Stephan von Bothmer mischt alles, ohne Vorbereitung. Nur die Hymnen der Teams druckt er aus und heftet sie neben den kleinen Bildschirm an der Orgel, auf dem das Spiel läuft. „Alle wissen, dass ich auch nicht weiß, wie das Spiel ausgeht.“

Oder etwa doch? Eine gewisse Vorahnung befällt Stephan von Bothmer inzwischen schon. Er hat gemerkt, dass virtuose Ballwechsel innerhalb einer Mannschaft meist einem Takt folgen. Wenn der entsteht, dann fällt oft kurz danach für diese Mannschaft ein Tor. „Die Spieler sagen ja nach einem Spiel häufig: Wir sind nicht in unseren Rhythmus gekommen“, sagt er. Von Fußball habe er zwar wenig Ahnung. Aber so ein Spiel sei wie eine Symphonie, mit einer Dramatik, die gewissen Regeln folgt. Damit kennt er sich aus.

WM-Spiele mit Orgel-Kommentar: Freitag, 13. Juni, Spanien – Niederlande, Emmauskirche, Lausitzer Platz 8a, Kreuzberg. Samstag, 14. Juni, Kolumbien – Griechenland, Neue Kammerspiele, Karl-Marx-Str. 18, Kleinmachnow. Samstag, 21. Juni, Deutschland – Ghana, Interkultureller Garten City, Lützowstr./Kluckstr., Tiergarten. Samstag, 28. Juni und Samstag 5. Juli, Achtelfinale und Viertelfinale in der Emmauskirche. Der Eintritt ist frei.

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