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Berlin: Wo der Kaiser zu Fuß hinging

Wilhelm II. wollte nicht nach Storkow. Da rollte der Herr von Hubertushöhe den roten Teppich aus

Nach Storkow? Niemals. Der kaiserliche Hofstaat ließ an seiner Antwort auf die Einladung aus der 70 Kilometer südöstlich Berlins gelegenen Kleinstadt keine Zweifel. Klarer konnte eine Abfuhr zu Beginn des vorigen Jahrhunderts nicht ausfallen. Darüber ärgerten sich nicht nur die Ratsherren. Auch Schlossherr Georg Wilhelm Büxenstein von der Hubertushöhe hätte einen Besuch des Kaisers gern gesehen. Schließlich zählte der gelernte Buchdrucker zu den erfolgreichsten Unternehmern Berlins.

300 Beschäftigte zählte die vom Vater übernommene Firma, die mit der Einführung des Mehrfarbendrucks viel Geld verdiente. Das reichte für den Bau eines beeindruckenden Schlosses in Storkows waldreicher Umgebung. Hier lebte er seine Jagdleidenschaft aus und hoffte auf hochherrschaftlichen Besuch, war Kaiser Wilhelm II. doch als begeisterter Waidmann bekannt.

Doch wie den Bann brechen, der 60 Jahre zuvor über Storkow verhängt worden war? Die Chancen standen schlecht. Denn ausgerechnet ein Bürgermeister der Stadt hatte ein Attentat auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. verübt, 1844 mitten in Berlin. In Storkow kennt die Umstände heute fast jedes Kind, hat doch ein unbekannter Dichter ein lustiges Lied über jenen Missetäter Heinrich Ludwig Tschech verfasst. Tschech, ein aus Berlin stammender Jurist, hatte sich so über einflussreiche Bürger seiner Stadt geärgert, dass er nicht nur seinen Dienst als Bürgermeister quittierte, sondern auch gleich auf den König losging. Der Anschlag auf das Regentenpaar misslang. Das Volk lachte über Tschech, weil er aus zwei Metern Entfernung nur „die Landesmutter durch den Rock ins Unterfutter traf“. Storkow jedoch musste lange büßen: keine Garnison, keine Industrie, kein Königs- oder Kaiserbesuch. Der zweifelhafte Ruhm des Bürgermeisters, der 1844 in Spandau hingerichtet wurde, hielt lange: Seine Geschichte wird 2009 zur 800-Jahrfeier von Storkow Thema eines Theaterstücks sein.

Der Geheime Königliche Kommerzienrat Büxenstein also steckte auf seinem Schloss hoch über dem Dolgensee im Dilemma. Zu gern hätte er seinem Vertrauten und Freund, wie er den Kaiser immer bezeichnete, sein im Mai 1900 fertig gestelltes Schatzkästlein gezeigt. Noch sind außen und innen immer wieder Jagdmotive zu entdecken. Als Mäzen der Berliner Kunstwelt hatte Büxenstein keine Mühe, Tier- und Landschaftsmaler, Holzbildhauer, Steinmetze, Kunstglaser und Schmiede für sein Anwesen zu gewinnen. Büxenstein fuhr von Berlin nach Storkow mit dem Auto, das in der Provinz Aufsehen erregte. Dem Kaiser konnte er keinen Platz anbieten, reiste dieser doch stets mit großem Gefolge durchs Land. Also blieb nur eine völlig neue Lösung: Wenn Seine Majestät schon nicht in Storkow halten und dort aussteigen wollte, musste er die drei Kilometer bis zur Siedlung Hubertushöhe weiterfahren können. Das half. Eigens für den kaiserlichen Salonzug wurde der kleine Bahnsteig verlängert. Obendrein ließ Büxenstein die Wege zu seinem Jagdschloss auf besondere Weise herrichten. So wandelte Kaiser Wilhelm II. also am 16. Oktober 1905 auf einem 300 Meter langen roten Teppich bis vor die Schlosstür. Augenzeugen schwärmten später von der großen Hochachtung des Gastes für die architektonischen Details. Obwohl der Aufenthalt des Kaisers nur wenige Stunden dauerte, war der Aufwand nicht umsonst. Büxenstein und der Kaiser wurden doch noch enge Freunde.

„Nur Storkow blieb durch das Attentat weiter überall benachteiligt“, sagt die heutige Bürgermeisterin Christina Gericke bedauernd über ihre Amtsvorgänger. „Dafür gehört das Schloss inzwischen zum Stadtgebiet, womit wir ein prächtiges Aushängeschild besitzen.“ Schließlich sei es noch immer gut für Empfänge und den roten Teppich. „Ich erinnere mich an das Treffen zwischen Bundeskanzler Schröder und Präsident Chirac Ende 2002, denn da begann meine Amtszeit“, sagt sie.

1998 hatte das Schloss seine Türen als Fünf-Sterne-Haus wieder geöffnet. Eine bewegte Geschichte ging damals zu Ende. Buchdrucker Büxenstein verkaufte sein Anwesen 1916 an den Textilfabrikanten Rudolf Bamberg, der hier Bälle der Berliner Modeszene veranstaltete. Angesichts des heraufziehenden Nationalsozialismus verließ Bamberg Deutschland. Neuer Eigentümer wurde 1936 der Reemtsma-Konzern, der hier Angestellten ein Feriendomizil bieten wollte. Lange dauerte diese Zeit nicht: Die Wehrmacht richtete nach Kriegsbeginn im Schloss ein Lazarett ein. 1945 wurden dort verwundete sowjetische Offiziere gepflegt, ehe 1948 eine Ingenieurschule für die Binnenfischerei ihre Arbeit begann.

Im Unterschied zu vielen anderen Schlössern in Brandenburg hat Hubertushöhe keinen größeren Schaden genommen. Für Storkows Bürgermeisterin Gericke liegt die Erklärung auf der Hand. „Nicht allen fehlten Sachverstand und Verantwortung für das Erbe. Die Schulleitung jedenfalls besaß so etwas“, sagt sie.

1992 kaufte der Konzern Reemtsma das Haus zurück – heute ein idyllischer Ort. Direkt am See lädt im Sommer die Fischerkate zum Rasten ein. Der Blick in die Wälder ist hier genauso schön wie von der Terrasse oder vom Eichensaal des Hotels.

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