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Berlin: Wo man sich bäuchlings in Kinderträume versetzt fühlt

Im Nicolaihaus, Brüderstraße 13 von Mitte, dem schönsten, das die Stiftung Stadtmuseum besitzt, wird "Der kleinste Circus der Welt" bis zum 1. April 2002 gezeigt.

Im Nicolaihaus, Brüderstraße 13 von Mitte, dem schönsten, das die Stiftung Stadtmuseum besitzt, wird "Der kleinste Circus der Welt" bis zum 1. April 2002 gezeigt. Kleinster ja, aber auch komplettester der Welt. In wem auch nur noch ein Funke von Kindhaftigkeit glimmt, der gehe dorthin, knie vor der Circus-Stadt auf 20 Tafelquadratmetern nieder oder gehe in die Hocke und fühle sich bäuchlings versetzt in herrliche Kinderträume. Wer wollte denn nicht, als ihm noch alle Welt zugänglich erschien, mindestens einmal zum Circus gehen und sei es als Kartenabreißer, der ja auch andere Aufgaben hat, womöglich Dompteur von Wildkatzen, mindestens aber jede Vorstellung sehen kann? In die Knie oder Hocke zu gehen, ist im Nikolaihaus geboten, um in die Circuswagen blicken zu können, in die vollständig bis zum kleinsten Gegenstand ausgestatteten 200 Wagen: Schreinerei, Schlosserei, Schmiede, in Schule, Kirche, Kasse und Kantine und die vielen anderen Notwendigkeiten, die für den Circus auf seiner Wanderschaft unentbehrlich sind.

Und natürlich das von oben einsehbare Circus-Herz, das alle Herzen zum Mitschlagen bringt: das Zelt mit zwei Manegen und den Akrobaten und manchen Nebenschauflächen unterm Oval der lückenlos besetzten Plätze. Und die Tiere! Mir hat es der daumgroße Eisbär angetan, der - sobald sich die Dinge in Bewegung setzen - herzig schwenkend zu tanzen beginnt, ganz im Takt der Musik von Johann Strauß. Es wird nämlich stündlich vom laufenden Band durchs Programm geführt, mit Tusch, Trommelwirbel bei heiklen Nummern, mit befreitem Beifallsprasseln - und du möchstest behaupten, auch den Duft jeden Circusses, dieses herrliche Gemisch aus Sägespänen, Tiererhitzung und Tiererleichterung zu riechen, so bist du eins mit dem Geschehen.

Wem verdanken wir das? Einem, der sich im Gegensatz zu uns anderen allen, den Wunsch, zum Circus zu gehen auf eine besondere Weise erfüllt hatte: Herbert Guth aus dem Hessischen. Er hat zwar einen Brotberuf (wie wir alle), aber eben auch eine lebendige Leidenschaft: Er baut Modelle, die dem Circus- und Schaustellerleben handliche Gestalt geben seit 1922. Dieses hier entstand ebenfalls damals. Sein Sohn Joachim steuerte die Musikauswahl bei; denn er ist Musikwissenschaftler. Und schließlich ist der Stiftung Klassenlotterie zu danken, dass sie den Erwerb dieser Traumseligkeit durch unser Stadtmuseum ermöglicht hat. Garniert ist diese circensische Welt mit einem Modell unseres Circus Busch, mit alten Plakaten (warum sind sie nicht als Drucke zu haben) und mit Blättern des Graphikers Joachim Rágóczy (1895-1975). Und mit zwei Miniaturen von Hannah Höch (1923) und Comenius (1835), um derentwillen ich straffällig werden könnte, wenn mich nicht das Gefängnis am Genuss daran hinderte.

erk

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