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Berlin: wohin? Aus den Augen – und Dann stehen afrikanische Kinder in unserem giftigen Elektroschrott

380 Kilo Abfall produziert jeder Berliner pro Jahr. Unser Autor wollte wissen, was damit passiert – und ob Mülltrennung lohnt.

Die Zeit zwischen den Jahren bedeutet Völlerei: Volle Bäuche, volle Läden – und volle Tonnen. Jetzt, da die Geschenke ausgepackt sind und die einträchtig im Hof versammelten Behälter mit nur noch mühsam geschlossenen Deckeln auf ihre Leerung warten, ist es Zeit für einen Blick über den Gartenzaun. Wohin fahren die Müllwagen? Wird das, was wir weltmeisterlich getrennt haben, am Ende auf einen Haufen gekippt und verbrannt? Die Antwort auf diese Fragen führt an die Ränder der Stadt, zu erstaunlichen Maschinen und erbärmlichen Arbeitsplätzen. Sie führt zu Müll, der dank innerstädtischer Verbrennung unsere Wohnungen heizt. Und sie führt weit darüber hinaus, weil leere Plastikflaschen aus Berlin um die Welt reisen.

Zugleich führt die Reise in einen Regelungsdschungel, in dem vor Paragrafen kaum zu sehen ist, was wirklich gilt. Das Geschäft mit dem Abfall ist nicht nur global, sondern auch mit viel Geld verbunden. Überall im Land gieren Müllverbrennungs- und Industrieanlagen nach gut brennbaren Plastikverpackungen – deren Entsorgung wir Konsumenten beim Einkauf mitbezahlt haben. Mit welchen Bandagen und auf welch unübersichtlichem Terrain gekämpft wird, zeigt der andauernde Streit zwischen der kommunalen BSR und dem Alba-Konzern um Orange Box und Gelbe Tonne Plus. Vor Gericht und in Amtsstuben zwischen Rotem Rathaus, Reichstag und EU-Parlament wird gestritten, wer was wo einsammeln darf. Zugleich stinkt anderswo auf der Welt unser Müll zum Himmel.

Am Ende stehen nicht immer Gewissheiten, aber zumindest aus Berliner Sicht einige erfreuliche Erkenntnisse: Trennen lohnt sich immer – zumal die Restmülltonne die teuerste ist. Was zählt, ist Konsequenz. Ein „löffelsauberer“ Joghurtbecher ist gut genug, sofern nicht der Aludeckel noch am Plastiknapf hängt und die Sortiermaschinen überfordert. Denn was nicht im Restmüll landet, hat zumindest realistische Chancen, etwas Neues zu werden. Ob es dann doch verbrannt wird, hängt vor allem von den Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt ab. Nach einer Studie der Fraunhofer-Gesellschaft für Alba ist Recycling für alle gängigen Abfälle energiesparender als deren Neuproduktion. Während sich Papier und Glas besonders gut recyceln lassen, spart der Kreislauf bei Aluminium besonders viel Brennstoff. „Mülltrennung ist Klimaschutz“, sagt Boris Demrovski, der bei der gemeinnützigen Berliner Beratungsfirma co2online die Kampagne „trenntwende.de“ betreut. Als Vorsatz für 2012 empfiehlt er, den Neujahrssekt nicht aus Plastikbechern zu trinken. Oder die Becher wenigstens einzeln in die Gelbe Tonne zu werfen, damit die Sortiermaschinen nicht an ihnen scheitern.

Das kurz vor Weihnachten von Unicef gekürte „Foto des Jahres“ zeigt einen ghanaischen Jungen inmitten von qualmendem Elektroschrott aus Europa. Beim Verbrennen werden wertvolle Metalle aus den Geräten gewonnen – und die afrikanischen Arbeiter samt ihrem Land vergiftet. Das Ende einer Kette, die vor unserer Haustür beginnt? Nein, sagt Peter Schröder, Prokurist bei der Firma Otto-Rüdiger Schulze, die in einem wüsten Köpenicker Industriegebiet für die BSR den Inhalt der orangefarbenen Tonnen sortiert. Zehn Männer mit Staubschutzmasken stehen am Fließband, auf das ein Bagger Abfälle schaufelt. Die Mischung besteht zum Großteil aus Holz, Plastikteilen, Textilien, Schrott und eben Elektrogeräten. Jeder am Band wirft „sein“ Material durch ein Loch ins Untergeschoss. Eine Drecksarbeit, an der Maschinen scheitern würden.

Schröder, der auch Baustoffe aufbereitet, bekennt sich als Freund der Tonnenvielfalt – und klagt sogleich, dass die peniblen Gesetzgeber in Deutschland und der EU den Kreislauf nicht zu Ende denken: Recycelte Baumaterialien wolle niemand haben, Interessenten würden durch immer kompliziertere Vorschriften vergrault. Also nähmen sie lieber neuen Naturstein, statt sich im Dschungel der Recyclingparagrafen zu verirren. Verbundkunststoffe – etwa ausgeschäumte Autostoßstangen mit Zierleiste – seien kaum sauber genug zu trennen für die Wiederverwendung, andere, so wie zum Beispiel Stapelstühle, mit UV-Schutz durch Zusätze verändert. Und der Großteil der Kunststoffe aus China sei bei der Herstellung „mit Chlor versaut“ worden. Sehr gut zu recyceln seien PP und PE, wie sie für Farbeimer und Blumenkübel verwendet werden.

Auch für die Textilien finde man zurzeit keinen Verarbeiter, weshalb sie verbrannt werden. Dasselbe passiert mit lackierten oder sonst wie behandeltem Holz, für das es in Berlin besonders viele Kraftwerke gebe. Nur gänzlich unbehandeltes Holz werde man bei Spanplattenwerken los.

Schröder sieht die „thermische Verwertung“, wie die Verbrennung der Abfälle im Fachjargon heißt, nicht als Vergeudung: „Dafür wird in Kraftwerken und Industrie Kohle gespart.“ Weil der Abfall aus der Orange Box trockener ist als Restmüll, brennt er wesentlich besser. Gut die Hälfte dessen, was die Berliner in die orangefarbenen Tonnen werfen, endet im Feuer – zum Ärger von Umweltverbänden.

Bleibt die Frage nach den Elektrogeräten, deren Kabel sich wie Schlangen durch einen der sortierten Haufen winden. Sie würden per Lkw zu zwei zertifizierten Entsorgern im Ruhrgebiet und in Vorpommern gebracht, sagt Schröder. Das Zertifikat sichere die Dokumentation der Stoffströme und ihrer Verwertung. In sogenannten „Querstromzerspanern“ würden die Elektrogeräte pulverisiert. Aus dem Granulat lassen sich dann die wertvollen Metalle herausholen. Wer aber glaubt, dass sein alter Föhn oder Rasierer in Handarbeit demontiert wird, hat sich getäuscht. Zwar gibt es einschlägige Behindertenwerkstätten, aber die sind eher auf die Hundertschaften ausrangierter Behördencomputer spezialisiert.

Die Entsorgung nach Afrika ist in jedem Fall illegal. Trotzdem gelangen nach einer Schätzung der Uno allein aus Deutschland jährlich 100 000 Tonnen dorthin. Schröder und Fachleute der BSR haben private Sammelbetriebe mit deren Wurfzettelaktionen im Verdacht; außerdem die Sammler, die vor den Recyclinghöfen Brauchbares abfangen – und den restlichen Elektroschrott als „Gebrauchtware“ dorthin verhökern, wo es am billigsten ist.

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