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Das war ja einfach. Ungesicherte Fenster und Balkontüren sind für Profi-Einbrecher kein Hindernis.

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Wohnungseinbrüche in Berlin: Im Winter kommen die Diebe

12.000 Einbrüche gab es vergangenes Jahr in Berlin, die meisten davon in der dunklen Jahreszeit. Wie fühlt es sich an, Opfer zu werden, wie kann man sich schützen - und was tut die Polizei?

So muss es sich anfühlen, einen Bruch auszubaldowern. Kreuzberg, eine breite, aber ruhige Straße mit begrüntem Mittelstreifen. Wer sich auf eine Parkbank setzt, hat die Fassaden der umliegenden Altbauten gut im Blick. Es fällt nicht auf, wenn hier jemand herumlungert, auch im Winter nicht, der Grünstreifen dient Obdachlosen als Nachtquartier, man sieht hier oft beschäftigungslose Männer.

Fehlt nur noch das passende Haus. Vielleicht das da drüben, direkt gegenüber der Parkbank. Gepflegte Fassade, keine Graffiti, liebevoll bepflanzte Balkone. Ein hoher Metallzaun mit Tor trennt das Grundstück vom Bürgersteig – ein zusätzliches Hindernis, aber kein großes, und wo mehr Hindernisse sind, ist vielleicht auch mehr zu holen.

In den meisten Stockwerken brennt Licht. Im Hochparterre wird es gerade ausgeschaltet. Wenig später verlässt eine Frau im Wintermantel das Haus und steigt in ein parkendes Auto ein – die dürfte eine Weile unterwegs sein. Jetzt rüberschlendern, irgendwo klingeln, eine Lüge in die Gegensprechanlage raunen, an die Wohnungstür zur Sicherheit noch mal klopfen und ein horchendes Ohr anlegen, und wenn alles still bleibt...

Die dunkle Jahreszeit, sagt die Polizei, ist die Jahreszeit der Einbrecher. Von den rund 12.000 Wohnraumeinbrüchen, die jeweils in den beiden letzten Jahren in Berlin registriert wurden, entfielen im Schnitt 5000 auf die vier Wintermonate November bis Februar – und damit etwa 2000 mehr als auf die vier Sommermonate Juni bis September. Diebe, die sich im Dunkeln bewegen, werden schlechter gesehen. Sie selbst aber sehen umso besser, weil drinnen früher und länger Licht brennt. Kein Wunder also, dass viele Berliner gerade jetzt, in der Feiertagszeit, wo die halbe Stadt wie ausgestorben ist, ihre Wohnungen nur mit Bauchschmerzen zurücklassen, wenn sie Verwandte in Restdeutschland besuchen.

Das eingangs beschriebene Kreuzberger Haus, das es wirklich gibt, lädt nicht nur in Gedanken zum Diebstahl ein. Auf dem Klingelschild sind die Mieter von insgesamt zehn Vorderhauswohnungen verzeichnet. Fünf davon wurden in den letzten Jahren von ungebetenen Gästen besucht. Sechs Einbrüche waren es insgesamt, sieben, wenn man die abgebrochenen Versuche mitzählt. Zuerst erwischte es eine der beiden Hochparterrewohnungen, bei der anderen scheiterten die Täter an der Fensterverriegelung. Wenig später war erneut das Hochparterre dran, diesmal stiegen die Diebe durch die Hoffenster in beide Wohnungen ein. Bei Einbruch Nummer fünf wurde im obersten Stock eine Wohnungstür aufgestemmt, bei Nummer sechs und sieben gleich beide in der Beletage.

Kathrin R. und Susanne L., die beide Opfer dieser vorläufig letzten Einbruchsrunde wurden, haben in etwa dieselbe Geschichte zu erzählen. Ihre Handys klingelten, als sie noch im Büro saßen, eine Nachbarin hatte die offenstehenden Türen im ersten Stock bemerkt. Als die Mieterinnen ihre Wohnungen erreichten, war die Polizei bereits da. Susanne L. erinnert sich gut daran, wie die Beamten von der Spurensicherung ihre lädierte Wohnungstür mit Rußpulver einstaubten. Geisterhaft kam da der Abdruck eines seitlich an die Tür gepressten Gesichts zum Vorschein, das lauschende Ohr war deutlich zu erkennen.

Hausratsversicherungen ersetzen keine Erinnerungen

Drinnen hielt sich der Schaden in Grenzen, beide Wohnungen hatten die Täter offenbar sehr gezielt durchsucht. Nicht angerührt worden waren bei Kathrin R. der Laptop, das Tablet und die Digitalkamera, die offen im Wohnzimmer lagen. Nur ein paar Schränke und Schubladen standen offen, im Schlafzimmer hatten die Diebe eine Schmuckschatulle entdeckt, aus der sie ausgewählte Stücke mitnahmen – sie schienen genau zu wissen, was von Wert ist. Schmuck fehlte auch bei Susanne L., durchwühlt hatten die Diebe bei ihr jedoch auch Wäscheschubladen, und im Badezimmer war die Verdeckfliese vor dem Zählkasten abgerissen worden – ein beliebtes Versteck, wie die Polizei ihr später verriet. In beiden Wohnungen belief sich der Schaden inklusive Reparatur der Wohnungstür auf rund 5000 Euro. Das entspricht ziemlich genau dem bundesdeutschen Durchschnitt von 4779 Euro, der laut Kriminalstatistik bei den insgesamt rund 90000 vollendeten Einbrüchen im letzten Jahr anfiel. Hinzu kamen 2013 noch einmal etwa 60000 abgebrochene Einbrüche, den insgesamt erstatteten Schaden bezifferte die deutsche Versicherungswirtschaft 2013 auf 480 Millionen Euro.

Auch Kathrin R. und Susanne L. bekamen dank Hausratsversicherung relativ zügig ihre Schäden erstattet. Nicht ersetzen lassen sich Erinnerungen. Kathrin R. öffnet immer noch manchmal ihre Schmuckschatulle, um eine Kette anzulegen – bevor ihr einfällt, dass sie nicht mehr da ist. Susanne L. vermisst bis heute den geerbten Ring ihrer Mutter, an dem sie einen Granatstein hatte ersetzen lassen, der aus der Fassung gefallen war. Ansonsten aber zählen die Einbrüche in den Wohnungen beider Frauen zu der Kategorie, die ihren Opfern vergleichsweise wenig Kopfschmerzen verursachen – und der Polizei dafür umso stärkere.

Kriminaloberrat Karsten Gillert und seine Kollegin Martina Labenski, Erste Kriminalhauptkommissarin, drücken es so aus: Wenn Täter wissen, wo sie suchen müssen, brechen sie nicht zum ersten Mal ein. Und wenn sie Schmuck mitnehmen, aber Laptops stehen lassen, sind sie gezielt auf der Suche nach Beute, für die sie Abnehmer haben. Beides trifft oft auf die Kategorie von Einbrechern zu, die Gillert und Labenski „reisende Täter“ nennen: organisierte Kleingruppen, die in der Mehrzahl aus dem osteuropäischen Ausland kommen und international auf Beutezug gehen. „Wir erleben zunehmend, dass in Berlin festgenommene Tatverdächtige vorher schon in Barcelona oder Paris aufgefallen sind“, sagt Gillert. „Und wir wissen“, fügt Labenski hinzu, „dass sich bestimmte Berliner Straßenzüge in solchen Kreisen als lohnend herumgesprochen haben.“

Welche das sind, ist leicht zu erraten: die, die im Mietspiegel dunkelrot gefärbt sind. Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte und Steglitz-Zehlendorf waren 2013 die Bezirke, in denen die meisten Einbrüche registriert wurden. Ersterer gehört zusammen mit Spandau zum Bereich der Polizeidirektion 2, für die Gillert und Labenski arbeiten. Karsten Gillert ist zudem zentraler Ansprechpartner der Berliner Polizei für den Bereich Wohnungseinbruch – eine Funktion, die vor einigen Jahren neu geschaffen wurde, um den rapide steigenden Fallzahlen zu begegnen. Die Zahl der Einbrüche hat sich in Berlin nämlich im vergangenen Jahrzehnt ziemlich genau verdoppelt: von rund 6000 Fällen im Jahr 2004 auf knapp über 12.000 Fälle im Jahr 2012. Im letzten Jahr ging die Zahl dann zwar leicht zurück, doch für 2014 ist wieder ein Anstieg absehbar.

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Verblüffende Spuren. Was Kriminaltechniker sichtbar machen können, etwa Ohrabdrücke an der Wohnungstür, ist für Einbruchsopfer immer wieder verblüffend.
Verblüffende Spuren. Was Kriminaltechniker sichtbar machen können, etwa Ohrabdrücke an der Wohnungstür, ist für Einbruchsopfer immer wieder verblüffend.

© dpa

Damit ist zwar noch längst nicht jenes verstörende Rekordniveau erreicht, das Berlin in den frühen 90er Jahren erlebte, als nach Wiedervereinigung und europäischer Grenzöffnung die Fallzahlen sprunghaft auf fast 16.000 Einbrüche im Jahr stiegen. Beunruhigend genug ist der aktuelle Einbruchsboom trotzdem. Verantwortlich macht das Landeskriminalamt vorrangig jene „reisenden Täter“, von denen Gillert und Labenski sprechen. Gillert vermutet als zusätzliche Ursache einen Wandel im Sicherheitsbewusstsein der Berliner. Oft müssten etwa Hausverwaltungen, die Überwachungskameras installieren, sie nach Protesten von Mietern wieder abhängen. „Viele in der Stadt sind heute der Meinung, dass es nicht zu ihrem Lebensstil passt, sich zu verbarrikadieren“, sagt Gillert. „Natürlich ist dann die Betroffenheit groß, wenn doch mal jemand ungefragt durch die schöne Wohnung in der Kastanienallee stiefelt, ohne vorher die Schuhe auszuziehen – und auf einmal sind die ganzen tollen Produkte mit dem angebissenen Apfel weg.“

In anderen Teilen der Bevölkerung scheint das Sicherheitsbewusstsein dagegen eher zuzunehmen, was Gillert vorsichtig auf die intensivierte Aufklärungsarbeit der Polizei zurückführt. Weil viele Wohnungen technisch besser gesichert sind, ist in Berlin zusammen mit den Fallzahlen auch der Anteil abgebrochener Einbrüche gestiegen: In rund zwei von fünf Fällen mussten die Diebe im vergangenen Jahr unverrichteter Dinge wieder abziehen, weil sie etwa an Altbautüren mit Stangenschloss scheiterten. Zudem, das ist die zweite gute Nachricht im beunruhigenden Gesamtbild, ist auch die Aufklärungsquote im vergangenen Jahr leicht gestiegen. 2013 lag sie für Einbrüche bei etwas mehr als sieben Prozent, im laufenden Jahr habe man bereits etwa 15 Prozent mehr Tatverdächtige festnehmen können, verrät Gillert.

Kathrin R. und Susanne L. haben nie erfahren, wer ihre Wohnungen ausräumte. Ein paar Wochen nach den Einbrüchen, etwa zeitgleich mit dem Bescheid der Versicherung, ließ die Polizei wissen, dass keine Tatverdächtigen ermittelt werden konnten. Große Hoffnungen hatten sich die beiden ohnehin nicht gemacht. Kathrin R. stößt beim Putzen heute noch manchmal auf Reste von Rußpulver, die ihr aus Kommodenschubladen entgegenrieseln. Ansonsten, sagt sie, habe der Einbruch wenig Spuren in ihrem Leben hinterlassen. Susanne L. geht es ähnlich: Da die Einbrecher genau gewusst hätten, wo sie suchen müssen, hätten sie auch kein großes Chaos angerichtet – weder in der Wohnung selbst noch in der Seele ihrer Bewohnerin.

Manche kommen nicht so glimpflich davon. Komisch, dachten Ralph und Simone P., als sie am 7. November um Mitternacht ihre Haustür öffneten – wieso ist das denn so kalt hier? Ihre Blicke wanderten ins Wohnzimmer – und blieben an der Terrassentür hängen, die herausgebrochen auf dem Boden lag. Genau in diesem Moment bekam ihre 14-jährige Tochter, die zusammen mit den Eltern das Reihenhaus in Rudow betreten hatte, einen hysterischen Schreikrampf.

Sieben Jahre ist das her. Doch bis heute, sagen die P.s, gelte ihr erster Blick beim Heimkommen der Terrassentür. Stets ist die Tür an ihrem Platz, und dank der Sicherungen, die sich die Familie nach dem Einbruch zulegte, ist sie auch kaum noch da wegzubewegen: Metallrollos, Aushebelschutz im Türrahmen, abschließbarer Griff. Auch die anderen Fenster haben jetzt Schlösser, Zeitschaltuhren schalten das Licht im Haus an und aus, ein Safe wurde angeschafft, die Vordertür mit einem Spion versehen. „Trotzdem“, sagt Ralph P., „gucke ich automatisch auf die Terrassentür.“

Die Diebe, die in jener Novembernacht eindrangen, klauten mehr oder weniger wahllos, was sich platzsparend wegschleppen ließ: Schmuck, Bargeld, BVG-Monatskarten, die bereits eingepackten Weihnachtsgeschenke der Tochter, eine Nintendo-Konsole nebst Spielkassetten, ein Pulsmessgerät, die Sammlung mit den ausländischen Geldresten aus dem Urlaub, eine angebrochene Stange Zigaretten. Sie bedienten sich sogar aus der Hausapotheke: Auf dem Küchentisch fanden die P.s eine gefledderte Packung Paracetamol neben einem leeren Wasserglas.

Sechs Wochen dauerte es, bis Ralph P. wieder klar denken konnte

Der Schaden lag bei knapp 15.000 Euro, 6000 kostete allein der Austausch der demolierten Fensterfront. Zerstört war der aufgebrochene Schreibtisch der Tochter, durchwühlt die Unterwäsche der Mutter, nicht reparabel die Auslegware, die die Täter im Obergeschoss vom Boden gerissen hatten, offenbar auf der Suche nach Bargeldverstecken. Ralph P. ist ein ruhiger Typ, den so leicht nichts umhaut. Im Betrieb hat sich neben ihm mal ein Kollege mit einer Maschine den Daumen abgeschnitten. Alle schrien, nur er behielt die Nerven. Der Ralph, sagen die Kollegen über ihn, hat die Ruhe weg, den bringt nichts aus der Fassung. Nur nach dem Einbruch, da stand er komplett neben sich.

Sechs Wochen habe es gedauert, bis er wieder klar denken konnte, sagt Ralph P. heute. Was genau ihn aus der Bahn geworfen habe, sei schwer auf den Punkt zu bringen: „Da war jemand in der Wohnung, den man nicht reingebeten hat, und der Sachen gemacht hat, die man nicht erlaubt hat.“ Simone P. nickt. „Das kriegt man nicht aus dem Kopf.“ Am härtesten traf es die Tochter. Ging sie aus dem Haus, wähnte sie Diebe vor der Tür lauern. Kehrte sie zurück, sah sie in parkenden Autos Männer das Haus beobachten. Fuhren die Eltern weg, schlief sie nicht, waren die Eltern da, schlief sie schlecht. Noch heute, sagen Ralph und Simone P., könne sie nachts nicht alleine bleiben. Inzwischen ist sie 21 und wohnt bei ihrem Freund, aber der ist Schiedsrichter und viel unterwegs. Sieben Jahre nach dem Einbruch hat die Tochter deshalb nun eine Therapie begonnen, um ihre Ängste in den Griff zu bekommen.

Karl Theobald kennt solche Geschichten. Als Psychologe ist er beim „Weissen Ring“, Deutschlands größter Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, Ansprechpartner für die 3200 ehrenamtlichen Mitarbeiter, die bei der Bewältigung von Verbrechen helfen – durch praktische und juristische Beratung, aber auch als „Schulter zum Ausweinen“, wie Theobald es ausdrückt. Die seelische Belastung durch Einbrüche werde oft unterschätzt, sagt der Psychologe. Studien zufolge trage jeder zehnte Betroffene behandlungsbedürftige psychische Störungen davon: Alpträume und Ängste, Schlafstörungen, Gefühle von Kontrollverlust seien die häufigsten Probleme.

Wie belastend ein Einbruch erlebt werde, hänge von mehreren Faktoren ab, sagt Theobald. Schwer zu verarbeiten sei das Eindringen in die Privatsphäre für Menschen, die ihre Wohnung als geschützten Lebensmittelpunkt empfinden, wie es oft bei Älteren und bei Kindern der Fall sei. Wer dagegen selten zu Hause und viel unterwegs sei, komme mit Einbrüchen meist besser zurecht. Entscheidend sei auch, wie die Tat entdeckt wird: „Wer telefonisch informiert wird, ist nicht mehr überrascht, wenn er vor der aufgebrochenen Wohnungstür steht. Stolpere ich dagegen ungewarnt ins Chaos, ist der Schock intensiv.“

Für nicht wenige Opfer von Einbrüchen ist das Erlebnis so traumatisierend, dass sie es nach der Tat nicht mehr in ihrer Wohnung aushalten. Bei einer Opferbefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gab in diesem Jahr jeder zehnte Befragte an, wegen des Einbruchs umgezogen zu sein. Weitere 15 Prozent erklärten, sie hätten das gerne getan, wenn es ihnen finanziell möglich gewesen wäre. Politisch setzt sich der „Weisse Ring“ deshalb dafür ein, Einbrüche den Tatbeständen zuzurechnen, die unter das Opferentschädigungsgesetz fallen. Von staatlichen Hilfsmaßnahmen und Entschädigungsleistungen profitieren nach diesem Gesetz bisher nur Opfer körperlicher, nicht psychischer Gewalt – ein Fehler, findet Karl Theobald.

Aus demselben Grund rät auch Kriminaloberrat Karsten Gillert Opfern von Einbrüchen, gegenüber der Polizei ihre Gefühle nicht zu verbergen. „Wir vermerken es in unseren Berichten, wenn ein Geschädigter nach einem Einbruch vor Verzweiflung in Tränen aufgelöst ist – und vor Gericht kann das später durchaus eine Rolle spielen.“

Dieser Text ist zuerst gedruckt in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.

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