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© Kai-Uwe Heinrich

Wohnungsmarkt: Am billigsten lebt es sich in Reinickendorf

Der neue Wohnungsmarktbericht zeigt: In der City sind sogar unsanierte Wohnungen teuer – am Rand steigen die Preise langsamer.

Stark steigende Mieten bei stagnierenden Einkommen – das ist ein sicheres Zeichen für einen angespannten Wohnungsmarkt. Doch das gilt nicht für alle Lagen. Die Stadt zerfällt. In ein zunehmend „voll vermietetes“ und deshalb teures Zentrum. Und in weniger begehrte Randlagen, in denen die Mieten moderat steigen. Das hat der am Montag vorgestellte Bericht über den Berliner Wohnungsmarkt gezeigt. Und das bestätigen heute auch Politiker aus den Bezirken und Wohnungsmarkt-Experten.

Aber in welche Teile zerfällt Berlin? In ein Zentrum, das von West nach Ost reicht und auf der Stadtkarte die Form einer umgekehrten Banane hat. Es reicht von Charlottenburg über Wilmersdorf und Mitte bis nach Kreuzberg und über den Szenekiez zum teuren Neubauviertel an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg. Hier wollen die Menschen hin und hier müssen viele weg – weil die Mieten steigen.

VOLL VERMIETET

In Charlottenburg-Wilmersdorf ist der Druck auf den Wohnungsmarkt enorm. „Familien brauchen hier einen langen Atem und viel Glück, eine Wohnung zu finden“, sagt Stadtrat Joachim Krüger (CDU). In Charlottenburg liegt die Leerstandsquote bei zwei Prozent, in Wilmersdorf noch darunter – fünf Prozent gelten als normal. Wenn jemand seine Wohnung aufgibt, stehen die Nachmieter schon in der Tür. „Wenn etwas frei ist, dann Grunewald-Villen mit so hohen Mieten, die keiner zahlen kann“, sagt der Stadtrat. Auf den freien Markt gelangten kaum noch attraktive Wohnungen. Bemerkbar macht sich das bei kleinen Wohnungen mit ein bis anderthalb Zimmern oder den größeren Wohnungen; vor allem für sozial-schwache Familien ist es schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Am entspanntesten ist die Situation noch bei Wohnungen mittlerer Größe.

SZENE VERDRÄNGT HARTZ IV

Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) führt die hohen Mieten bei Neuvermietungen in Friedrichshain-Kreuzberg auch darauf zurück, dass junge Leute in den Szenekiez rund um die Wrangelstraße drängen. Obwohl sie eher einkommensschwach sind, seien sie bereit, für vergleichsweise kleine Wohnungen in Hinterhöfen und Seitenflügeln relativ hohe Mieten zu zahlen. Weil die Mieter oft wechseln, komme es zu vielen Neuabschlüssen und immer höheren Mieten. Dadurch seien die Quadratmeterpreise für Wohnungen in den dunklen Seitenflügeln oft höher als für die größeren, helleren, komfortableren Wohnungen in den Vorderhäusern – weil die Mieter dort länger wohnen und ältere Verträge haben. Schulz beobachtet auch, dass einkommensschwache Familien, auch jene, die von Hartz IV leben, sich Wohnungen in Kreuzberg nicht mehr leisten können und nach Nord-Neukölln, Wedding und Schöneberg-Nord ausweichen.

MIETPREISBEGRENZUNG GEFORDERT

Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein sieht für Menschen mit geringen Einkommen in den Innenstadtbezirken nur noch wenig Chancen, neue Wohnungen bezahlen zu können. „Auf diesem Gebiet wird es zunehmend enger“, sagt Vetter. „In Berlin ist der Wohnungsmarkt nur scheinbar entspannt.“ Bei Geringverdienenden mit einem Einkommen von beispielsweise 1000 Euro betrage die Belastung durch die Gesamtkosten für die Unterkunft oft 50 Prozent des Einkommens, bei mittleren Einkommen lägen die Kosten immerhin noch bei 25 Prozent: „Damit haben wir durchaus Münchner Verhältnisse“, sagt Vetter. Deswegen fordert der Mieterverein eine Mietpreisbegrenzung bei Neuvermietungen.

SKIN-CITY WIRD SIN-CITY

Zum City-Bereich zählt inzwischen auch Lichtenberg. In keinem anderen Bezirk Berlins wurden in jüngster Zeit mehr neue Mietverträge als dort abgeschlossen. Allenfalls Marzahn-Hellersdorf kann mithalten. Doch während in dem Ostberliner Bezirk abseits des Zentrums die Mieten nur schwach steigen, gerät Lichtenberg in den Preissog der City. Der Bezirk belegt schon den dritten Platz unter den teuersten Lagen der Stadt. Beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), der die Studie herausgab, erklärt man das damit, dass in Lichtenberg in jüngster Zeit mehrere Siedlungen fertiggestellt und Wohnungen zu höheren Preisen neu vermietet werden konnten. Aber der Kiez verliert auch das Image einer Skinhead-Hochburg und ist unter jungen Leuten als Ausweich-Quartier von Friedrichshain beliebt. Wohnungen werden jedenfalls knapp: leer stehen nur noch 2,8 Prozent der Objekte – gegenüber vier Prozent im Jahr zuvor.

PREISAUFSCHLAG FÜR DIE SZENE

Noch teurer als in Lichtenberg ist der Abschluss eines neuen Mietvertrages in Friedrichshain-Kreuzberg (5,58 Euro pro Quadratmeter und Monat). Nicht einmal der großbürgerliche Bezirk Steglitz-Zehlendorf kann da mithalten (5,50 Euro pro Quadratmeter), der Rang zwei unter den teuersten Pflastern bei Neuabschlüssen belegt. Allerdings wurden dort auch stadtweit die wenigsten neuen Verträge abgeschlossen. Lichtenberg ist in beiden Fällen auf den dritten Platz aufgerückt, mit 4,95 Euro bei den Bestandsmieten und 5,49 Euro bei den Neuverträgen. BBU-Sprecher David Eberhart warnt allerdings davor, aus den Zahlen ausschließlich auf die Beliebtheit einzelner Bezirke zu schließen. Preis-Veränderungen resultierten zum Teil aus dem Sanierungsgeschehen. Allerdings zeigt das Beispiel Marzahn-Hellersdorf: Auch bestens sanierte Wohnungen mit Concierge-Service steigen nicht so stark im Preis wie die Mieten von Wohnungen in dunklen Seitenflügeln – in City-Lage.

BILLIG BIS UNVERMIETBAR

Den absolut betrachtet billigsten Wohnraum gibt es dem BBU zufolge in den nördlichen Beständen von Mitte, wo einzelne Altmieter Wohnungen für 1,85 Euro pro Quadratmeter und Monat mieten. Größtenteils sind das Objekte im nördlichen Stadtteil Wedding. Bei den neu abgeschlossen Mietverträgen weist auch Marzahn-Hellersdorf die stadtweit günstigsten Mieten auf (1,07 Euro). Das ist überraschend, denn die Großsiedlungen des nordöstlichen Bezirks wurden aufwendig modernisiert. Die günstigsten Mieten gibt es in den weniger nachgefragten Lagen in der Stadt oder in einer Immobilie: Parterrewohnungen zum Beispiel, sagt BBU-Sprecher David Eberhart. Nicht einmal saniert sind viele der ganz billigen Wohnungen an den Mann oder die Frau zu bringen. Insgesamt gelten knapp 9400 der 25 640 leer stehenden Wohnungen der BBU-Mitglieder als schwer vermietbar, nur bei 718 spielen bauliche Mängel eine Rolle und 3000 werden gerade saniert. Bei 11 333 Wohnungen werden Mieterwechsel oder „sonstige Gründe“ genannt.

ZEHLENDORF DES NORDENS

Überraschend: Am billigsten wohnt es sich ausgerechnet im gut bürgerlichen Reinickendorf, wo langjährige Mieter im Bestand im Durchschnitt 4,39 Euro pro Quadratmeter bezahlen – aber auch Neuverträge wurden für 4,52 Euro abgeschlossen. Eine Erklärung: Die „Fluktuation“ ist gering, nirgendwo werden weniger neue Mietverträge abgeschlossen als in Reinickendorf. Wenige Umzüge bedeuten für Vermieter weniger Möglichkeiten, die Miete kräftiger anzuheben.

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