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Auf sich selbst gestellt. Obdachlose haben zurzeit noch weniger Aussicht auf Hilfe. Die Unterkünfte sind überfüllt. Foto: dpa/Burgi

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Wohnungsnot: Bezirk will Räume für Obdachlose beschlagnahmen

Charlottenburg-Wilmersdorf plant die drastische Lösung, weil es zu wenig Unterkünfte für Bedürftige gibt. Der Bezirk ist nicht allein: In ganz Berlin fehlen Wohnungen für Obdachlose. Und auch die Flüchtlinge brauchen Plätze.

Es ist eine drastische Lösung, aber Carsten Engelmann (CDU), Sozialstadtrat in Charlottenburg-Wilmersdorf, geht es jetzt darum, schnell zu handeln: „Wir planen gerade, Gebäude zu beschlagnahmen, um Wohnungslose unterbringen zu können.“ Geeignete Objekte habe er sich bereits angesehen, noch vor Weihnachten wolle man die Gebäude bereitstellen. Solche Zwangsbeschlagnahmungen von privaten Einrichtungen sind im Sicherheits- und Ordnungsgesetz erlaubt – wenn es keine anderen Plätze mehr gibt, bestätigte auch eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Soziales.

Ganz Berlin hat derzeit mit einem Mangel an Unterkünften für Obdachlose zu kämpfen. „Wir befinden uns in einer dringenden Notlage“, sagt Engelmann. Sollten nicht mehr Plätze geschaffen werden, befürchtet der Sozialstadtrat für die Wintermonate ein „Hin- und Herdelegieren von Wohnungslosen“ zwischen den wenigen Unterkünften.

Auch Lina Antje Gühne von der gemeinnützigen Gesellschaft Gebewo bestätigte den Mangel: „Bei uns waren viele Einrichtungen schon im November zu hundert Prozent ausgelastet.“ Die Gebewo organisiert gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern die Berliner Kältehilfe. Durch den Wintereinbruch im Dezember habe sich die Lage noch verschärft, sagte Gühne dem Tagesspiegel. Bei der Senatsverwaltung für Soziales beschreibt man die Situation als „angespannt, aber noch nicht katastrophal“. Bisher hätten die Notunterkünfte nach Kenntnis der Behörde noch keinen Hilfsbedürftigen abweisen müssen, sagte eine Sprecherin. Nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz seien die Sozialämter der Bezirke zuständig und dazu verpflichtet, Menschen vor Wohnungslosigkeit zu bewahren.

Es gibt keine Statistik, wie viele Obdachlose in der Stadt leben. Die Berliner Stadtmission geht allerdings derzeit von rund 10 000 Obdachlosen im Stadtgebiet aus. Die Schlafmöglichkeiten liegen deutlich darunter: Nach Angaben der Senatssozialverwaltung gibt es saisonunabhängig rund 5000 Plätze in Wohnheimen und Gemeinschaftsunterkünften, für die die Bezirke zuständig sind. Dazu gehören etwa Unterkünfte für Menschen, deren Wohnung geräumt wurde. Daneben gibt es etwa 420 temporäre Notübernachtungsplätze bei verschiedenen Trägern.

Viele Obdachlose kommen aus osteuropäischen Ländern wie Bulgarien oder Rumänien nach Deutschland – die Überlebenschancen seien laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in den Wintermonaten hier besser. Aber auch unabhängig von den Zuwanderern steigt die Zahl: Heutzutage seien mehr Menschen von Obdachlosigkeit bedroht als noch vor ein paar Jahren, sagt Gühne von der Kältehilfe. „Das Klischee vom Alkoholiker, der mit seinem Leben nicht klar kommt, stimmt so nicht mehr.“ Gerade die angespanntere Lage auf dem Wohnungsmarkt habe das Problem verschärft. Betroffene würden ihre Situation oft lange verdrängen, bis ihnen Mietschulden über den Kopf wüchsen.

Die schwierigere Lage am Immobilienmarkt wird auch als Hauptgrund genannt, warum es den Bezirken und freien Trägern schwer fällt, mehr Plätze einzurichten. Das Land würde eigentlich bis zu 500 Notplätze finanzieren, sagte die Sprecherin von Sozialsenator Mario Czaja (CDU). Doch die Träger finden oft keine geeigneten Räumlichkeiten, so dass bisher nur 420 dieser Plätze eingerichtet werden konnten. „Wir haben wirklich händeringend gesucht“, sagt Gühne. Doch manchmal hätten Vermieter Vorbehalte gegen die Klientel, manchmal fehlten die nötigen sanitären Einrichtungen, zudem müsse die Unterkunft möglichst zentral im Stadtgebiet gelegen sein. Auch Sozialstadtrat Engelmann hatte in Charlottenburg-Wilmersdorf schon bei Hotels und Pensionen angefragt: Zimmer wollten die wenigsten bieten.

Erschwert wird die Suche nach geeigneten Unterkünften für Obdachlose auch durch die hohe Anzahl von Flüchtlingen etwa aus Kriegsgebieten. Das Land Berlin und die Bezirke stehen in einer Konkurrenzsituation um die wenigen Unterkünfte für Wohnungslose wie Flüchtlinge. Im Dezember waren rund 5000 Asylbewerber in Landesunterkünften untergebracht, insgesamt gehe man von etwa 12 000 Flüchtlingen in der Stadt aus, hieß es aus der Sozialverwaltung.

Einen weiteren Rückschlag in der Betreuung von Obdachlosen meldete gestern die Berliner MUT Gesellschaft für Gesundheit. Deren viel besuchte Obdachlosenpraxis und Tagesstätte am Ostbahnhof droht wegzufallen. Das evangelische Kirchliche Verwaltungsamt, Vermieter der Praxisräume, habe MUT zum Juli 2013 den Mietvertrag gekündigt.

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