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Ein Altbau in Berlin wird saniert.

© Lothar Ferstl/dpa

Wohnungspolitik in Berlin: Wie der Mietendeckel funktionieren soll

Der Kompromiss von Rot-Rot-Grün zum Mietendeckel steht. Was bedeutet das für Mieter und Vermieter? Fragen und Antworten.

Seit Monaten plant Berlin eine Revolution auf dem Wohnungsmarkt. Doch bei den Details des bundesweit bisher einmaligen Mietendeckels hat sich die Koalition aus SPD, Linke und Grünen lange Zeit verbissen. Nun steht ein Kompromiss, den der Senat am kommenden Dienstag beschließen will. Und für Vermieter wie Mieter wird klarer, was auf sie zukommt.

Was heißt Mietendeckel?

Berlin will die Mieten für 1,5 Millionen nicht preisgebundene Wohnungen für fünf Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 einfrieren. Damals hatte der Senat erste Eckpunkte des Vorhabens beschlossen. Die sich seit Jahren drehende Spirale, bei Neuvermietungen grundsätzlich höhere Mieten aufzurufen und im Bestand regelmäßig draufzusatteln, soll damit gestoppt werden. Mieter bekämen eine "Atempause", sagt Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD). Das Gesetz soll im Januar in Kraft treten und umfasst alle Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden.

Bestimmt der Staat auch Obergrenzen für Mieten?

Ja. Sie werden nach Kriterien wie Baujahr und Ausstattung der Wohnung festgelegt und sollen am Dienstag feststehen. Grundlage ist der Mietenspiegel 2013 - in jenem Jahr galt der Wohnungsmarkt in Berlin noch als gesund. Um der Preisentwicklung Rechnung zu tragen, soll eine Steigerung von seither 13,5 Prozent berücksichtigt werden.

Wie machen sich die Obergrenzen konkret bemerkbar?

Zunächst kommen sie wie der Mietendeckel bei Neuvermietungen zum Tragen und dürfen dabei nicht überschritten werden. Eine Wohnung darf also beim Einzug eines neuen Mieters nicht teurer als für den Vormieter sein und dürfte - wenn der alte Mietpreis über der Obergrenze lag - in vielen Fällen sogar billiger werden.

Können Bestandsmieter ihre Miete senken?

Das soll nicht auf breiter Front möglich sein, allerdings dann, wenn Vermieter "Wuchermieten" verlangen, die die definierten Obergrenzen um mehr als 20 Prozent überschreiten. Bewohner sollen dann bei den Behörden eine Absenkung auf diesen Wert beantragen können. Anders ausgedrückt: Bestandsmieten dürfen die Obergrenzen um nicht mehr als 20 Prozent überschreiten. Kompliziert wird es, weil noch Zu- oder Abschläge auf Basis der Lage möglich sein sollen. Das braucht Zeit zur Vorbereitung und bis zu 250 neue Beschäftigte in der Verwaltung. Daher soll die Senkungsregelung erst neun Monate nach dem Mietendeckel in Kraft treten, also wohl im 4. Quartal 2020.

Was sagt die Wohnungswirtschaft zum Mietendeckel?

Sie läuft ebenso wie CDU, FDP und AfD Sturm gegen die Pläne. "Die Berliner Landesregierung kehrt zurück zur sozialistischen Wohnungspolitik", schimpft der Präsident des Immobilienverbandes IVD, Jürgen Michael Schick. Investitionen etwa in Modernisierungen und der dringend nötige Wohnungsbau würden lahmgelegt. Der größte Berliner Vermieter Deutsche Wohnen sieht den Mietspiegel als "Frontalangriff". Kein Wunder: Der Konzern büßte im Zuge der Mietendebatte in Berlin in diesem Jahr zeitweise ein Drittel seines Wertes am Aktienmarkt ein.

Wie reagiert Rot-Rot-Grün in Berlin auf die Kritik?

Die Berliner Koalition setzt dem das Konstrukt eines "atmenden Mietendeckels" entgegen. Vermieter sollen ab 2022 jährlich 1,3 Prozent als Inflationsausgleich auf die Miete draufschlagen können. Außerdem: Modernisierungsmaßnahmen für mehr Barrierefreiheit oder Klimaschutz dürfen sie ohne Genehmigung bis zu einem Euro je Quadratmeter auf die Miete umlegen. Für höhere Kosten soll es Fördermittel geben.

Wieso überhaupt ein Mietendeckel?

In Berlin sind die Angebotsmieten zuletzt schneller gestiegen als anderswo. Sie haben sich laut Bundesbauministerium innerhalb von zehn Jahren auf durchschnittlich 11,09 Euro je Quadratmeter kalt im Jahr 2018 verdoppelt. Und der Trend hält an: Für 2019 kommt das Portal Immowelt auf 11,60 Euro. Selbst Normalverdiener haben in etlichen Stadtteilen kaum noch Chancen auf eine bezahlbare Bleibe. Um diese Entwicklung zu stoppen, seien staatliche Eingriffe in den Markt "gut und richtig", sagt Regierungschef Müller. Jedoch ist das Mietniveau in Berlin immer noch niedriger als in anderen Großstädten wie München oder Hamburg. Laut Mietspiegel, in den auch Bestandsverträge einfließen, zahlen Berliner 6,72 Euro je Quadratmeter Durchschnittsmiete.

["Mietenbremse, sozialer Wohnungsbau in sozial schwachen Gebieten und jetzt auch noch der Mietendeckel. Das alles ist Investoren-Vergraule. Das geht nicht, das fällt uns in ein paar Jahren schlimm auf die Füße." Im neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau finden Sie die Sicht des Baustadtrats - hier der Tagesspiegel-Link mit dem großen Interview.]

Woher rührt der starke Anstieg der Mieten?

Angesichts niedriger Zinsen und der Attraktivität Berlins hat sich die Hauptstadt zu einer Spielweise für internationale Investoren und Rentenfonds entwickelt. In Erwartung hoher Gewinnmargen haben sie sich hier wie auch in anderen Metropolen zu "Mondpreisen" eingekauft, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einiger Zeit kritisierte. Nun wollen sie das bei der Miete wieder reinholen. Gleichzeitig wird Wohnraum knapp, weil der Neubau der Nachfrage hinterherhinkt. Ein Grund: Hohe Grundstückspreise und immer komplexere Auflagen machen Bauen teurer. Folge: Es entsteht zu wenig preisgünstiger Wohnraum.

Wie ist die Berliner Strategie dagegen?

Sie lautet "Bauen, Kaufen, Deckeln". Der Senat setzt also auf eine Kombination von Neubau, dem Rückkauf einstmals privatisierter Wohnungsbestände und dem Mietendeckel. Eine Bürgerinitiative hat noch eine andere Idee und zur Enteignung großer Immobilienkonzerne ein Volksbegehren angestrengt. Linke und Grüne finden das gut. Der Regierende Bürgermeister Müller lehnt ein solches Vorgehen strikt ab.

Ist der Mietendeckel rechtlich überhaupt umsetzbar?

Darüber gehen die Meinungen in Politik und diversen Rechtsgutachten auseinander. Als sicher gilt, dass der Eingriff in die Eigentumsrechte Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. Union und FDP im Bundestag wie im Berliner Abgeordnetenhaus haben Normenkontrollklagen in Aussicht gestellt. Auch die Immobilienwirtschaft will sich "wehren". Die Frage ist zudem, ob das Land überhaupt Mieten regulieren darf. Der Senat sagt "ja", da seit der Föderalismusreform 2006 zwar der Bund für Mietenpolitik, die Länder indes für Wohnungswesen zuständig sind. Inwieweit ein jahrelanges juristisches Tauziehen Mietern hilft, bleibt abzuwarten. Kassieren Gerichte den Mietendeckel, könnten sie sich womöglich mit Mietnachforderungen konfrontiert sehen. Doch daran glaubt Rot-Rot-Grün in Berlin nicht: "Wir schreiben ein bisschen Geschichte, hoffe ich", sagt Linke-Chefin Katina Schubert. (Von Stefan Kruse, dpa)

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