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Berlin: Wolfgang Dieter Bolz (Geb. 1941)

Dennoch blieb er sich sicher: „Ich kenn' die Menschen!“

Er hätte nach Hause gekonnt, der Rollator stand bereit, das Badezimmer war umgebaut, die Pflege organisiert. Aber er hätte nicht mehr allein auf den Ku’damm gehen können, in die Kneipen, hinein ins Leben. Er war mal ein Kiezkönig, der Tresen sein Reich, die Leute um sich sein Hofstaat. Kam ein Neuer herein, sprach er ihn an, nahm ihn in die Runde auf.

Er lud die ganze Feiergesellschaft nachts zu sich nach Hause ein und kochte eine riesige Gulaschsuppe. Oder er machte 80 Buletten und rief an: „Ich hab da was vorbereitet.“ Wenn jemand Hilfe brauchte oder eine gute Idee hatte, verlieh er Geld, manchmal ziemlich viel. Einige zahlten zurück, andere nicht. Dann war er sauer über sich und sein Vertrauen. Dennoch blieb er sich sicher: „Ich kenn die Menschen!“

Als Kind verbrachte er mit seinen drei Brüdern viel Zeit auf den Straßen der Trümmerstadt. Der Vater war erst im Krieg und dann mit einer anderen Frau nach Bremen verschwunden, die Mutter war hart geworden, überfordert. Wolfgang Bolz, zehn Jahre alt, war der Stärkste der Brüderbande, zuständig für den Zusammenhalt. Sie klauten bei Baseballspielen den US-Soldaten die Colaflaschen von den Bänken, schlugen sich durch, bis das Jugendamt sie ins Heim steckte.

Er zog zu seinem Vater nach Bremen. Im Hafen fand er seinen ersten richtigen Job, verdiente sein erstes Geld, am Strand traf er seine erste Freundin. Da war er 17, und sah aus wie Alain Delon. Sie, 19, Tochter eines angesehenen Handwerksmeisters, mit ihren Freundinnen unterwegs, war gleich verliebt. Sie gingen tanzen, zogen von einem Jazzclub zum nächsten. Zehn Monate später war das erste von drei Kindern da. Ihr Vater war entsetzt, ausgerechnet ein Hafenjunge. Er gab ihm einen Ausbildungsplatz als Stuckateur.

Ende der Sechziger kehrte Wolfgang Bolz mit Frau und Kindern nach Berlin zurück, schuftete 80 Stunden die Woche, reiste von einer Baustelle zur nächsten. Auf einer davon lernte er den Chef von General Leasing kennen. Die hatten ein neues Ding vor, Fernseher verleasen, in Amerika erfolgreich, in Deutschland unbekannt. Der Chef war begeistert von Wolfgang Bolz. Herzlich, offen, optimistisch war er, der geborene Vertreter. Wolfgang lief als Drücker von Tür zu Tür und stieg schnell zum Direktionsassistenten auf. Er kaufte eine Rolex und einen Porsche, seiner Frau einen Blumenladen, sein ältester Sohn bekam ein Rennrad. Geld war zum Ausgegeben da.

Irgendwo dazwischen verlor er die Liebe zu seiner Frau, und die Ehe zerfiel. Doch die Kinder kamen zu ihm. Sein Erziehungsstil: eine Anleitung zur Eigenverantwortung. Er half, ohne Fragen zu stellen. So organisierte er ihnen ihre Ausbildungsplätze oder ließ sie bei sich arbeiten, wenn es mal nicht so gut lief.

Arbeiten, Kinder und Nachtleben, Pausen: keine. Immer kam etwas Neues, eine chemische Reinigung, ein Baugeschäft, ein Restaurant, ein Versicherungsunternehmen, schließlich eine Kantine. Als Rentner ließ er sich von der Partei „Bündnis 21/RRP“ als Bundestagskandidat aufstellen. Sein Fachgebiet: Wahlkampf auf der Straße, das Gespräch mit den Leuten. Dass seine Partei nur 0,1 Prozent bekam, überraschte ihn.

Wolfgang Bolz hatte die dritte Chemotherapie geschafft. Am nächsten Tag sollte es nach Hause gehen, endlich raus aus dem Krankenhaus. Doch etwas rumorte in ihm. Er kämpfte sich aus dem Bett, drückte den Rücken durch und ging ins Bad. Rasierte sich. Wusch sich. Legte sich wieder hin. „Ich möchte anonym begraben werden“, sagte er noch. In der Nacht starb er.

Diesen letzten Wunsch, da waren sich alle einig, wollte man ihm nicht erfüllen. Anonym, das hätte einfach nicht gepasst. Nun liegt er auf dem Friedhof Grunewald, um die Ecke vom Ku’damm, da wo er hingehört.

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