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Berlin: Wuchten, schrauben, löten

Montieren bei Motorola - Schülerinnen schauen Frauen über die Schulter Beim Girls’ Day werden Mädchen an klassische Männerberufe herangeführt. Mehr als 100 Betriebe und Institutionen luden gestern ein Schrauben bei Porsche – Saskia allein unter Männern

Das Knöchelband für die Erdung, das hier in der Fertigungshalle für Funkgeräte von Motorola Pflicht ist, will nicht so recht am Plateauschuh halten – da muss Kathrin Gralka noch umrüsten, wenn sie in einer Werkstatt arbeiten möchte. Mit 21 anderen Mädchen der 9. und 10. Klasse der katholischen Salvatorschule aus Reinickendorf besucht sie zum „Girls’ Day“ einen Betrieb. 90000 Mädchen sind dieses Jahr in 3700 Unternehmen in Deutschland unterwegs, um von Männern dominierte Berufe kennen zu lernen. In Berlin beteiligte sich diesmal erstmals auch das Abgeordnetenhaus.

Motorola-Besucherin Kathrin ist mit Technik sozusagen aufgewachsen. „Meine Mutter baut Motoren für Motorräder bei BMW, und mein Vater montiert Autos bei Mercedes.“ Da ist es fast Familientradition, wenn die Schülerin an Funktechnik interessiert ist. Gerne hätte sie sich über ein Praktikum gleich weiter eingearbeitet aber, seufzt sie, nächstes Jahr kann sie aber nur ein Sozialpraktikum machen. In einem technischen Beruf zu arbeiten, findet die 16-Jährige attraktiv. „Frauen haben genau dasselbe Recht wie Männer, können das Gleiche wie Männer. Da habe ich überhaupt keine Angst.“

Neben ihr lassen Susanne und Marleen, beide ebenfalls 16 Jahre alt, Bernhard Hartwig, zuständig für die Ressourcenplanung im Integrationszentrum für Funksysteme, vor Neid erblassen. „Was? Ihr wart schon im Werk von Harley Davidson in Milwaukee? Ist ja unglaublich!“ Marleen würde gerne Fliegen lernen. „Ich will keinen Beruf, bei dem ich im Büro sitze. Ich will in der Welt herumkommen.“ Susanne ist da skeptisch. „Schon ein schöner Beruf“, findet sie, aber „mit dem Kinderkriegen wäre es dann schwierig“. Susanne möchte lieber Tierärztin werden oder Psychologie studieren. Dabei werden Frauen in technischen Berufen inzwischen gesucht. Rüdiger Neumann, Betriebsratsvorsitzender von Motorola in Berlin, findet es schade, wenn er die wenigen Bewerbungen von Frauen auf seinem Schreibtisch sieht. „Technik ist ein sehr geeigneter Beruf für Frauen. Aber es fehlt immer noch der Hang dazu.“ Bei Motorola am Borsigturm in Tegel sind zur Zeit unter den 460 Mitarbeitern 75 Frauen. Für den Bereich schätzt Rüdiger Neumann die Zahl als „gut“. „Allerdings könnte es besser sein.“ Das US-Unternehmen bevorzugt Frauen bei gleicher Qualifikation. Laut Bildungsministerium geben 40 Prozent aller Mädchen an, technisch interessiert oder begabt zu sein, tatsächlich aber schreiben sich in technische Disziplinen weit weniger als 20 Prozent Frauen ein. Der Bund will bis 2006 den Anteil von Frauen in Männerberufen auf 40 Prozent erhöhen. Der „Girls’ Day“ ist dazu ein wichtiger Baustein – auch für Firmen, die sich zunehmen an der Aktion beteiligen. Beate Allner, Leiterin der Personalbeschaffung bei Motorola, hofft, dass die Schülerinnen bald länger bleiben als nur einen Tag. Constance Frey

Manchmal nervt das schon. „Immer diese Frage: Was, ein Mädchen, und dann lernst du Kfz-Mechaniker?“ Dabei stand für Saskia Husemann schon als Gymnasiastin fest, dass sie sich für diesen Beruf entscheiden würde: „Autos finde ich einfach spannend.“ Und dann gab die Wilmersdorferin richtig Gas. „Ich habe einfach bei Werkstattleitern persönlich um ein Praktikum gebeten“, erzählt die 20-Jährige. Der Chef des Porschezentrums Berlin ließ sich überzeugen. Heute steht Saskia Husemann als Auszubildende im 2. Lehrjahr kurz vor der Zwischenprüfung – als eine der wenigen Frauen in Berlin mit einem typischen Männerjob. 1646 Männer lernen Kfz-Mechaniker, und 26 Frauen.

Dabei hätte es mit Saskias Lehre beinahe nicht geklappt. „Am alten Werkstattstandort gab es keine Frauentoilette, deshalb konnten sie mich erst nicht nehmen.“ Jetzt zieht Saskia morgens in einer eigenen Umkleide die rote Werksmontur über. Und, wie reagierten die Kollegen, kamen vielleicht blöde Sprüche? „Nein, eher lieb gemeinte.“ Kollege Robert Köppen nickt: „Im Gegenteil, wir hier zeigen jetzt mehr Respekt voreinander.“

Schließlich kann Saskia was, das bestätigt auch Serviceleiter Tim Berger. Gerade bei Sportwagen-Reparaturen bitten die Gesellen die Auszubildende gern um Mitarbeit. „Da sind individuelle Lösungen gefragt, und Frau Husemann geht mit viel Geduld und Ausdauer an die Sache.“ Arbeiten an der Karosserie in der Klempnerei, Motorreparaturen – so etwas liegt der Wilmersdorferin, die gern das Fachabitur machen möchte. „Im Moment stehen viele Sommerreifenwechsel an, das fordert einen weniger.“ Kommt sie als Frau mit manchen Handgriffen nicht klar? „Wenn mal eine Schraube richtig fest sitzt, bekommt die auch ein Mann nicht unbedingt alleine auf“, kontert Saskia.

Zehn Lehrlinge beschäftigt Porsche insgesamt, neun Männer, eine Frau. „Das Verhältnis spüre ich auch in der Berufsschule, und bei der Innung freuen sie sich immer richtig über eine Frau.“ Dass sie als Exotin in der Männerwelt auffällt, ist Saskia aber gar nicht recht. „Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass mich die Gesellen ein wenig schonen und einen Fehler eher verzeihen. Solche Schonung brauche ich aber nicht.“ Manche Kolleginnen, hat Saskia bemerkt, „benutzen ihr Geschlecht wiederum gern als Ausrede“.

Die meisten Mitarbeiter in der Werkstatt sind Männer, davon zeugt der ein oder andere Pin-Up-Kalender an den Wänden. „Da müsste ich mich eigentlich ja mal beschweren“, sagt Saskia mit einem Augenzwinkern. Doch etwas anderes stört sie viel mehr. „Mich sprechen manchmal Verwandte und Bekannte an, ob ich nicht ihr Auto reparieren könnte.“ Und damit geht es ihr dann keinen Deut anders als ihren männlichen Lehrlingskollegen. Mit denen sie übrigens auch Traumauto-Phantasien verbindet. „So ein 911er, oder ein Mercedes SL mit Flügeltüren – das wär’s.“ Annette Kögel

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