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Auf freiem Fuß. Kommt ein Sexualstraftäter mit einer Bewährungsstrafe davon, gibt es oft öffentliche Empörung. So auch im Fall des ehemaligen Parkeisenbahners Daniel P., der wegen sexuellen Missbrauchs in 47 Fällen verurteilt wurde.

© dpa

Wuhlheide: Fall Parkeisenbahn: Justiz verteidigt Missbrauchs-Urteile

Auch im Missbrauchsskandal der Parkeisenbahn Wuhlheide gibt es Kritik an zu milden Strafen für die Täter. Senat und Richter weisen das zurück.

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Sexueller Missbrauch in 47 Fällen und dann eine Bewährungsstrafe – viele fragen sich, wie so etwas möglich sein kann. Nicht nur im Fall des ehemaligen Parkeisenbahners Daniel P., der Ende Oktober für sexuelle Gewalt an Jungen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde, sondern auch in vielen anderen Fällen scheinen die Täter mit allzu milden Strafen davonzukommen. Vor dem Kriminalgericht in Moabit protestierten am Sonnabend deswegen zwei Dutzend Menschen. Sie hatten sich bei Facebook verabredet: „Gegen Justizwillkür und Kinderschänder“. „Wir hatten 300 erwartet“, sagte Organisator Tim Müller, allerdings sei die Demo erst spontan nach dem milden Urteil gegen den Parkeisenbahner angemeldet worden.

„Für solche Urteile kann es verschiedene Gründe geben“, sagt Tobias Kaehne, Sprecher der Strafgerichte. „Ein Geständnis wirkt strafmildernd, weil es dem Geschädigten die Last einer Aussage erspart.“ Wenn jemand nicht vorbestraft sei, die Tat länger zurückliege oder sich der Angeklagte am besten noch selbsttätig in Therapie begeben habe, so wirke sich das alles positiv für ihn aus.

Hinzu komme auch, dass es vor Gericht oft schwer und aufwendig sei, herauszubekommen, was geschah. Ohne Aussage des Betroffenen und ohne Geständnis des Angeklagten müssten dann zum Beispiel Angehörige gehört werden, denen sich das Opfer anvertraut hatte – ein großer Aufwand, und wenn Zweifel blieben, müsse das Gericht eben freisprechen. Das bestätigt Thomas Schlingmann von der Anlaufstelle Tauwetter, die sich um Männer kümmert, die als Jungen sexuell missbraucht wurden. „Es gibt sehr viele Freisprüche, weil Aussage gegen Aussage steht“, sagt Schlingmann. Viele Taten würden gar nicht angezeigt, aus Scham. „Jungen und Männer geben das nicht gern zu: Ich war nicht stark. Ich konnte mich nicht durchsetzen. Ich war ohnmächtig. Das ist ja unmännlich“, so Schlingmann, der speziell die Rolle der Richter kritisch sieht. Sie bedürften dringend gründlicherer Information, aber: „Die Fortbildungsresistenz der Richter ist legendär“, sagt Schlingmann, der als Psychologe und Traumaberater mit Betroffenen deren seelische Verletzungen aufarbeitet. Richter ließen sich zu leicht vom geschmeidigen Auftreten der Täter blenden. Die hätten es regelrecht eingeübt, Menschen für sich einzunehmen; so erschleichen sie sich in der Regel auch das Vertrauen ihrer Schutzbefohlenen. Demgegenüber habe ein 16-Jähriger, der auf Droge sei und schon mehrmals geklaut habe, vor Gericht ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn er mit einer Missbrauchsgeschichte herauskäme.

Richter sähen das Ganze auch eher als Schmuddelthema und Problem bestimmter Milieus; sie neigten auch zum Bagatellisieren nach dem Motto: „Ist doch schon lange her, der soll sich mal nicht so anstellen.“ Natürlich gelte das nicht pauschal für alle, betont Schlingmann.

Seitens der Senatsverwaltung für Justiz wird diese Sicht der Dinge empört zurückgewiesen. „Bei allem Respekt für die Arbeit der Beratungsstelle ,Tauwetter e.V.‘ ist es bedauerlich, dass ein Vertreter dieses Vereins meint, die Arbeit der Strafgerichte mit pauschalen Vorurteilen verunglimpfen zu können“, sagt Magnus Radu, Büroleiter von Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD). Die Behauptung, Richter seien fortbildungsresistent, sei „grundfalsch“, für Fortbildungen „finden sich in aller Regel deutlich mehr Bewerber als Plätze zur Verfügung stehen“. Kritiker wie Schlingmann zeichneten ein „Zerrbild“ der gerichtlichen Praxis: „Die Annahme, die Strafgerichte würden sich von Angeklagten ,blenden‘ lassen, sie bagatellisierten Vorhaltungen, ist ebenso mit Entschiedenheit zurückzuweisen wie die Vorstellung, die Strafgerichte würden sich den Einlassungen von Angeklagten nicht vorurteilsfrei stellen.“

Auch seitens der Richter wird die kritische Einschätzung bezüglich der Missbrauchs-Urteile zurückgewiesen. „Bewährungsstrafen sind die Ausnahme, nicht die Regel“, sagt Stefan Finkel, Vorsitzender des Landesverbands Berlin des Deutschen Richterbundes, der lange als Jugendrichter gearbeitet hat und jetzt am Kammergericht ist. „In extremen Ausnahmen gibt es mal eine Bewährungsstrafe – und das findet sich dann in der Presse.“ Die quantitativ viel häufiger vorkommenden strengeren Urteile würde hingegen in den Medien oft nicht erwähnt, kritisiert er.

Unzutreffend findet er auch den Vorwurf der angeblichen Unwilligkeit der Richter, sich zum Thema Missbrauch weiterzubilden. „Die meisten Richter in diesem Bereich lassen sich sehr intensiv fortbilden.“ Das reiche von Schulungen über den einfühlsamen Umgang mit Kindern im Gerichtssaal bis hin zu der Frage, wie man die Glaubwürdigkeit von Zeugen beurteilen kann.

Das konkrete Urteil im Fall des Parkeisenbahners will und kann der Richterbund-Vorsitzende nicht kommentieren. Allgemein sei in solchen Fällen aber zu beachten, dass nicht jeder Vorgang, der als Missbrauch bewertet wird, juristisch gleich schwer wiegt. Missbrauch reiche von Berührungen mit sexueller Absicht bis hin zu Geschlechtsverkehr. „Die Schwere der Tat muss sich immer auch im Urteil widerspiegeln“, sagt Finkel.

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