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Finde das rosa Plüsch-Kaninchen! Es wartet auf seinen Einsatz beim Konzert des Music Ashram.

© Thomas Wochnik

Wunden im Mauerwerk: In Berlin-Schöneweide entstehen neue Räume für die Künste

Der Künstler Ralf Schmerberg will einen Ort für Kunst, Innovation und gesellschaftlichen Wandel schaffen. Dafür macht er alte Räume neu nutzbar.

Grau ist es draußen und bedrohlich verhangen, als könne es jederzeit regnen, an diesem Dienstagmorgen in Oberschöneweide. Gut, wenn man einen schützenden Raum betreten kann.

In der Halle des gerade in der Entstehung befindlichen „MaHalla“ folgt sofort die Ernüchterung: Wolken scheinen mitten im Raum zu stehen, Wasser fließt plätschernd die Einfahrt hinab, der Lärm ist selbst auf dreißig Meter Abstand ohrenbetäubend.

Es muss anstrengend sein, den ganzen Tag lang diesem Lärm ausgesetzt zu sein. Keineswegs, meint Ralf Schmerberg gelassen. Der Künstler hatte die Idee, die alten Räume von zahlreichen Schichten Drecks eines ganzen Jahrhunderts zu befreien und für, wie er sagt, „Kunst, Kultur und Innovation“ nutzbar zu machen.

„Eigentlich war ich nur auf der Suche nach einem kleinen Studio für meine eigene Arbeit. Dabei fielen mir diese leerstehenden Hallen ins Auge. Schon nach zehn Schritten in den Raum hinein war klar, dass hier etwas passieren musste.“

Liebe auf den ersten Blick. Obwohl dieser Blick kaum auf die Substanz fallen konnte, dermaßen verdreckt seien die Räume gewesen. Zu verdreckt, um sie aus eigener Kraft wieder nutzbar zu machen, weshalb Schmerberg bei Kärcher anfragte, von deren Erfahrung in der Denkmalpflege er wusste.

Reinigungsvorhaben mit archäologischen Zügen

Die Freilegung der steinernen Oberflächen habe mitunter archäologische Züge angenommen, erzählt der technische Leiter Thomas Möwes, der seit 20 Jahren auch für das Kärcher Kultursponsoring zuständig ist.

Schriftzüge und Schilder, Bohrungen, Durchbrüche und Bauschäden seien zutage getreten, die von der ehemaligen Nutzung der Hallen Zeugnis ablegten.

Auch Sebastian Wein, Pressereferent bei Kärcher und Historiker, spricht begeistert von der Geschichte der Hallen. Eben hier habe der Ausgangspunkt der Elektrifizierung Berlins, und da Berlin in Europa Vorreiter war, der Elektrifizierung Europas gelegen.

Die AEG baute um 1895 entlang der Wilhelminenhofstraße das erste Drehstrom-Kraftwerk Europas, in dieser Halle standen damals Turbinen, die den Strom für die ersten elektrischen Straßenlaternen lieferten und damit das Ende der Ära der Gasbeleuchtung einleiteten.

Zu DDR–Zeiten wurde das Gelände stetig ausgebaut und entwickelte sich bis zur Wende zum zweieinhalb Kilometer langen Herz der ostdeutschen Energiewirtschaft.

Nur schlüssig, dass Schmerberg auch dem MaHalla den Innovationsbegriff auf die Fahnen schreibt. MaHalla, „Halle der Mutter, Kulturtempel und Arche, ein partizipatives Auditorium,“ erklärt der Künstler,

der immer wieder das Gemeinschaftliche betont, dass hier stattfinden soll. Künstler:innen, Künstlergruppen und Initiativen, die an gesellschaftlichem Wandel arbeiten und das Miteinander zelebrieren sollen hier in Zukunft arbeiten können.

Mit fein dosiertem Hochdruck werden die Wunden im Mauerwerk freigelegt.
Mit fein dosiertem Hochdruck werden die Wunden im Mauerwerk freigelegt.

© Thomas Wochnik

Kunst elektrisierender Art

Natürlich sei die Elektrizität auch künstlerisch interessant, erzählt er, schon die Vieldeutigkeit des Begriffes Strom, der so vieles bezeichne, sei ein bodenloses Fass der Assoziationsräume.

Der Elektro-Pionier Nikola Tesla war schließlich auch Künstler, der seine Entdeckungen in spektakulären Bühnenshows mit Funken und Blitzen der Öffentlichkeit präsentierte.

Auch hier in der Wilhelminenhofstraße war es im Grunde nicht anders. Die Turbinenhalle diente der AEG auch als Showroom, in dem internationalen Kunden alle Wunder elektrischer Technik vorgeführt wurden.

„Für uns heute ist Elektrizität etwas selbstverständlich Gegebenes, man denkt eigentlich nicht drüber nach“, erklärt Schmerberg. „Dieser Ort erinnert aber an die Zeit davor, an die Aufbruchstimmung, als man sich noch gar nicht vorstellen konnte, was eines Tages mit Elektrizität möglich sein würde.“
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Einen kleinen Ausblick auf das, was im MaHalla noch kommen wird, gab Schmerberg am Abend des 19. Januar mit seinem Projekt „Music-Ashram“.

Eine Performance, natürlich in kleinem Kreis und mit weitem Abstand, die dem Elektrischen und Industriellen unerwartet sinnliche Töne abgewann, mit akustischen Instrumenten, elektrisch verfremdet und verstärkt, die wiederum die monumentale Hallenarchitektur zum klingen brachte.

Drone-Musik, deren überwiegend fernöstliches Instrumentarium um die Reinigungsmaschinen erweitert wurde, mit denen hier gereinigt wird, als feinfühlige Musikinstrumente gespielt.

Gelassenheit in Arbeitsmontur. „Der Lärm stört mich kein bisschen,“ erzählt Ralf Schmerberg.
Gelassenheit in Arbeitsmontur. „Der Lärm stört mich kein bisschen,“ erzählt Ralf Schmerberg.

© Thomas Wochnik

Hochdruck mit Samthandschuhen

Als feinfühlig beschreibt im Übrigen auch Pressesprecher Wein die Arbeit mit den Reinigungsgeräten. Entgegen dem optischen Eindruck heiße Hochdruck nicht, dass hier Substanz mit grober Hand abgetragen würde.

„Die Düsen der Dampfstrahler können sehr fein reguliert werden, der Abstand zum Objekt nach Bedarf verändert.“ Was laut und wegen der Dampfentwicklung spektakulär aussieht, sei ein präziser Eingriff, minimalinvasiv, sozusagen.

Für hartnäckige Verschmutzungen und überwiegend auf Metall wird das Trockeneisstrahlverfahren angewandt. Dabei wird minus 79 Grad kaltes Trockeneis auf die Oberfläche geschossen, die sich im Kälteschock zusammenzieht.

So entstehen Risse, in die das Eis eindringt. Bei Kontakt mit der Oberfläche geht das Eis sofort vom festen in den gasförmigen Zustand über, dehnt sich dabei aus und sprengt dadurch die Oberfläche ab, ohne die Substanz anzutasten.

Zarte, kleine Sprengungen.

Wunden im Mauerwerk

Schmerberg war von diesen industriellen, theatral eindrucksvollen Techniken beeindruckt, weshalb er Kärcher nicht nur für die Aufgabe der Reinigung gewinnen wollte, sondern auch, um das erste permanent in der Halle zu sehende Stück Kunst umzusetzen.

Reinigung sollte nicht Sterilisation bedeuten, die die Räume von allen Spuren der Geschichte bereinigt hätte, sondern „die Wunden im Mauerwerk sichtbar machen. Industrie geht anders mit dem Mauerwerk um als Bewohner – diese Zeitgeschichte soll man hier auch spüren.“ Ein Rest Patina, der von dieser Geschichte zeugt, bleibt daher stehen.

Wie mit einem Radiergummi ließ er an einer Wand einen Schriftzug in diese Patina einsäubern: „The World Is Full Of Pain“, steht als sogenanntes Reverse Graffity über allem – ein Graffiti, das nichts auf der Fassade hinzufügt, sondern wegnimmt.

Die Zeile stamme aus einem Lied seiner Music-Ashram Gruppe, passe aber eigentlich überall, weil Schmerz eine derart universelle Größe sei, unabhängig von Weltanschauungen, Religionen, Kulturen – ein verbindendes Element eben.

Dieser verbindende Charakter, der Gemeinschaft und Vielfalt zelebriert, solle auch diesen Raum in Zukunft ausmachen, mit einer kritischen, den gesellschaftlichen Wandel durch Kunst, Kultur und Innovation fördernden Note.

Vielleicht ist der Schmerzbegriff gerade in Zeiten grassierender Krankheit naheliegend, während Reinigung und Hygiene wie heilsbringende Versprechen klingen.

Ebenso beschwört die Tatsache, dass hier Kunst stattfindet – überhaupt stattfindet –, während die Kultur heruntergefahren ist, eine alte, schmerzlich vermisste Normalität herauf. Die kommt wieder, auch in die Wilhelminenhofstraße, nach dem Lockdown.

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