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Berlin: Zahl der Sozialhilfe-Empfänger in Berlin drastisch gestiegen

Über 200.000 Menschen beziehen Staats-Zuschuß VON ANNETTE KÖGELBerlin.

Über 200.000 Menschen beziehen Staats-Zuschuß VON ANNETTE KÖGEL

Berlin.Die Zahl der Sozialhilfeempfänger in Berlin ist in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen.1995 erhielten bereits mehr als 200.000 Menschen insgesamt 3,8 Milliarden Mark - damit zahlte der Staat über die Hälfte mehr als noch vor fünf Jahren.Zugleich stieg die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Sozialhilfe-Familien groß werden.Waren früher vor allem Krankheit, Altersarmut oder Tod des Familienvorstands Ursache für den Gang zum Sozialamt, ist es heute in erster Linie Arbeitslosigkeit. Auch in den Ämtern der Kreuzberger Sozialbehörden bilden sich lange Schlangen.25.000 Empfänger sind dort registriert, "dramatisch mehr als noch vor drei Jahren", sagt Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD).Vierzig Prozent aller Alleinerziehenden sind auf die staatliche Hilfe angewiesen."Die Zahl der Kinder in Familien, die Sozialhilfe beziehen, hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht." In Tiergarten lebten im Juni 1996 rund 17,5 Prozent aller Einwohner unter 18 Jahren von Sozialhilfe.Die Zahlen der Senatsverwaltung untermauern die bezirklichen Daten: Wurden 1994 noch 14.698 Kinder im Alter bis zu sieben Jahren in West-Berliner Sozialhilfe-Familien groß, waren es 1995 schon 16.945."Wenn man als Kind wegen Billig-Klamotten gehänselt wird, fühlt man sich nicht vollwertig", schildert Frau Junge-Reyer soziale Folgen. Vielen Berlinern verhilft der monatliche Zuschuß von durchschnittlich 520 Mark sowie einmalige Unterstützungen - Heizkostenzuschuß, Renovierungsgeld, Kleidungshilfe - zu einem "Leben in Würde", erläutert Sozialverwaltungs-Sprecherin Gabriele Lukas den Hintergrund des Bundessozialhilfegesetzes. Aktuelle Jahresstatistiken gibt es derzeit nicht - nur die weniger genaue Erfassung an einem Stichtag.Demnach waren es im Westteil am Stichtag im Dezember 1995 insgesamt 145.258 Berechtigte (94: 131.003), im Ostteil 45.562 Empfänger (94: 38.846).Im Jahr 1995 wurde in Berlin viermal soviel Sozialhilfe gezahlt wie noch 1980.Der Berliner Sozialhaushalt unterstützt auch Flüchtlinge: 32.500 Asylbewerber, darunter 28.500 Bosnier, erhalten rund 500 Millionen Mark Sozialhilfe im Jahr. Künftig sollen Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz weniger Unterstützung erhalten.Erwartete Einsparung: 125 Millionen Mark pro Jahr.Darüberhinaus sollen die Sozialleistungen generell ans bundesweite Leistungslevel angepaßt werden, betroffen ist vor allem das Berliner Pflegegeld.Entlastung verspricht man sich zudem durch das Bonner Pflegegesetz. Die Fälle von Sozialhilfebetrug in Millionenhöhe, die zuletzt Schlagzeilen machten, begutachtet man in der Sozialverwaltung kritisch."Hier mit enormen Dunkelziffern zu hantieren, ist aber hochgradig unsinnig", sagt Gabriele Lukas.Erschleichungen von Leistungen kämen in geringem Maße bei Flüchtlingen wie bei Deutschen vor.Um künftig doppeltes Abkassieren zu verhindern, werden noch bis Jahresende in siebzig Dienststellen 2800 miteinander verbundene Einzel-PCs installiert.Weniger Mitarbeiter in den Ämtern, mehr Klienten am Schreibtisch, Einarbeiten in die neue Technik - infolge der Mehrbelastung blieben als Folge Ungenauigkeiten bei der statistischen Erfassung nicht aus.Im letzten Schritt sollen die Berliner Sozialämter nun mit einem Zentralrechner vernetzt werden, um den bundesweiten Abgleich etwa mit Arbeitsämtern zu ermöglichen.Gabriele Lukas: "Dafür warten wir dringend auf eine Rechtsverordnung des Bundes." In Berlin hatten PDS und Grüne datenschutzrechtliche Bedenken angemeldet. "Solche Betrugsfälle werden auch in die Öffentlichkeit getragen, um Kürzungen den Boden zu ebnen", ist die Kreuzberger Stadträtin überzeugt.Die Mitarbeiter kämen ihren Pappenheimern teils schon jetzt auf die Schliche.Junge-Reyer: "Ist es denn schlimmer, einen Wintermantel zu erschleichen, als sich bei Privattreffen eine Quittung für ein Geschäftsessen geben zu lassen?"

ANNETTE KÖGEL

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