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Berlin: Zehn Jahre phantasieloser Pragmatismus sind genug - Berlin braucht einen neuen parteiunabhängigen Kopf mit Visionen und Ideen

Kulturpolitik muss grausam sein. Kulturpolitik in Berlin ist kein sehr weites Feld, sondern ein steiniger Acker, trotz all der hauptstädtischen Verlockungen, die sich bei näherer Betrachtung häufig als Illusion erweisen - oder als Tretmine.

Kulturpolitik muss grausam sein. Kulturpolitik in Berlin ist kein sehr weites Feld, sondern ein steiniger Acker, trotz all der hauptstädtischen Verlockungen, die sich bei näherer Betrachtung häufig als Illusion erweisen - oder als Tretmine. In den zehn Jahren seit dem Fall der Mauer gingen zwei Senatoren und eine Senatorin über dieses Feld. Sie stolperten, verbrannten sich und waren nicht mehr gesehen. So verschieden ihr Temperament und politisches Geschick auch gewesen sein mögen, sie hatten keine Fortune, keine Visionen.

Der lange Jammer noch einmal im Schnelldurchlauf: Im rot-grünen Senat von Walter Momper kümmerte sich die importierte SPD-Politikerin Anke Martiny um die Kultur. Sie war ein Totalausfall. Und im Westen flog die Freie Volksbühne des Hans Neuenfels auseinander, im Osten hat damals noch kaum einer die Probleme der Neuorientierung und des Substanzerhalts tatsächlich überblickt. Da war der Nächste gefordert: Ulrich Roloff-Momin, ein Parteiloser, den die SPD während der ersten Großen Koalition ins Rennen schickte, profilierte sich als hemdsärmeliger Manager des Übergangs, bis ihn die Schließung des Schiller-Theaters politisch erledigte. Dann griff die CDU nach der Kulturverwaltung, alles sollte anders werden, und es kam Peter Radunski: kein Kulturpolitiker, sondern ein Parteimanager und Wahlkampfstratege, dem man auch noch das Ressort Forschung und Wissenschaft auflud. Geändert hat sich wenig - verbessert wieder nichts. Im Gegenteil. Die Berliner Kulturpolitik war eine weitere Legislaturperiode dem Zufall überlassen. Die Zeit des Übergangs dauerte an.

Am Wahlabend des 10. Oktober - die CDU feierte noch siegestrunken - erklärte Radunski, dass er sich aus dem Senat zurückziehe. Überraschen konnte dieser Schritt nur im ersten Moment. Die Zeichen der Überforderung des Senators waren zuletzt unübersehbar; was liegt nicht alles unerledigt oder angefangen auf Radunskis Schreibtisch, der im Kontakt mit Künstlern eine unerklärliche Scheu zeigte. Er kapselte sich ein.

Radunski habe der Kultur in dieser Stadt wieder politisches Gewicht gegeben, hieß es in einer Reihe von Zeitungsartikeln, die - ein großes Wort! - die "Ära" Radunski resümierten. Doch dieser Befund, so wünschenswert er sein mag, trifft nicht die Realität. Radunski erweckte lediglich den Anschein, dass er die Kulturpolitik aufgewertet habe. Es erging ihm wie Tucholskys Berliner Original, dem Herrn Wendriner: "So, da sitzen wir. Ich geh ab und zu ganz gern ins Theater. Wissen Se: Es lenkt ab -!"

Tatsächlich hat die Kulturpolitik in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung verloren. Kulturpolitik in Berlin ist anscheinend nicht mehr wirklich wichtig. Man beobachtet es am krassen Fall der Deutschen Oper. Im Sommer 1998 kam ein Defizit von rund 20 Millionen Mark heraus, seit Wochen pochen die Orchestermusiker auf ihre unsinnigen Privilegien und legen den Spielbetrieb lahm. Kein Politiker, kein Künstler, kein Intendant spricht in dieser selbstmörderischen Lage ein unmissverständliches Wort. Hat sich die Deutsche Oper Berlin längst aufgegeben, geht sie den Weg des benachbarten Schiller-Theaters - und wen kümmert es noch?

Was früher ein ausgewachsener Skandal gewesen wäre, wirkt heute bloß wie eine Betriebsstörung. Die Öffentlichkeit reagiert mit Überdruss. Dafür gibt es vielfältige Gründe, zumal in Berlin. Doch der Hauptgrund ist, dass die Kulturpolitiker selbst keine Begriffe mehr entwickeln für das Erbe und Zukunftspotential, das ihnen anvertraut ist. Das Vokabular eines Peter Radunski erschöpfte sich in Phrasen aus der Welt des Marketing und der Produkt-Promotion. Schon zu Zeiten Roloff-Momins wurde eine Studie über die "Wirtschaftlichkeit" des Sektors Kultur vorgelegt, aber noch nicht mit der jetzt praktizierten Gründlichkeit und Ausschließlichkeit auch benutzt. Radunski redete die Kultur zum Event herunter, seine Politik war inhaltsleer. Das Primat des Verkaufens erzeugt Desinteresse, man schaut weg, zappt weiter - wie beim Fernsehen. Die Berliner Kulturpolitik glich zuletzt einer ausgedehnten Werbepause. Oft wird behauptet, dass der Einzug von Parlament und Bundesregierung die Gestaltungsmöglichkeiten des Senats auf die Ebene einer Lokalverwaltung herunterschraube. Für die Kulturpolitik ist das eine Ausrede. Denn der Bund hat trotz seines verstärkten finanziellen Engagements für die hauptstädtische Kultur die Kulturhoheit des Landes Berlin kein Stückchen angetastet. Vielmehr wächst mit der Hauptstadt auch die Bedeutung eines Berliner Kultursenators. Von diesem Amt müssen die Initiativen ausgehen, wie die Hauptstadt in Zukunft aussehen soll. Die wichtigen Entscheidungen über Theater, Musik, Tanz, einen Teil der Kunstszene und das kulturelle Klima fallen nach wie vor im Senat. Wo der Bund mitredet, hat er es ohnehin schon immer getan; bei den Berliner Festspielen oder der Preußen-Stiftung.

Zum Vergleich: Der Berliner Kulturetat liegt bei rund 730 Millionen Mark, der Bund gibt direkt ein Sechstel dieser Summe. Dazu gehören die Projektmittel, die der Hauptstadtkulturfonds verteilt (20 Millionen Mark). Der Kultursenator ist eine mächtige Person. Er kann sich Ideen und Visionen leisten. Die "New York Times" hat den Amtsinhaber einmal einen "Zaren der Künste" genannt, mit einmaliger power und ebenso viel problems. Das ist immer noch so. Michael Naumann und Peter Radunski haben sich stets ihrer gegenseitigen Wertschätzung versichert, man komme sehr gut miteinander aus. Es war ein spiegelbildliches Verhältnis: Radunski hatte Hausmacht, war aber nicht der intellektuelle Kopf, bei Naumann ist es umgekehrt. Im Übrigen liegen die Themen, an denen Naumann sich abarbeitet, gar nicht oder nur zum Teil im Bereich des Berliner Kultursenators; Buchpreisbindung, Filmförderung, Vertriebenverbände, Holocaust-Mahnmal.

Die Ernennung eines Kulturstaatsministers im Bund nahm der Kulturpolitik generell ihren früheren Paradiesvogel-Status. Jetzt ist Kulturpolitik beinahe ein Ressort wie viele andere und muss umso mehr mit intellektueller Überzeugungskraft betrieben werden, um nicht blass und altbacken den Pop-Trends hinterherzulaufen. Während Naumann im Bundeskabinett und in den Fraktionen um seine Politik kämpft und das immer noch neue Amt zu etablieren hat, stand Radunski unter der Sonne Diepgens - und Kohls. Von der Love-Parade verstand der selbst ernannte "Alt-68er" weit mehr als von der ihm anvertrauten Hochkultur.

Naumann hat noch drei Jahre. Radunski hat aufgegeben, in einem Moment, da die Zusammenarbeit von Bund und dem Land Berlin erst richtig beginnen kann - und auch der Konflikt. Naumann braucht einen neuen Partner für Berlin. Noch zieht sich die Bildung des neuen Senats hin, noch ist nicht gänzlich gewiss, ob die SPD sich ein drittes Mal für die Große Koalition entscheidet, die ihr seit 1991 stetige Stimmenverluste und noch herbere Image-Einbußen gebracht hat. Aber das Nachdenken über einen neuen, einen anderen Kultursenator hat begonnen. Und es setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass die Begriffe Partei und Kultur wenig zueinander passen.

In der FAZ meldeten sich zwei frühere Amtsinhaber zu Wort. Volker Hassemer (CDU), Senator für Kulturelle Angelegenheiten in den letzten Jahren West-Berlins, fordert für die Nachfolge Radunskis eine unabhängige Persönlichkeit mit "internationalem Standing", die zugleich "Außenminister" Berlins sein könne: "Dies wäre eine immense, sinnvolle und angemessene Ermutigung für die Kultur" in der Hauptstadt. Hassemer knüpft an die alten Zeiten an, als West-Berlin (und ebenso der Osten) sich über seine kulturellen Leistungen definierte und gleichsam diplomatisch im Ausland vertreten ließ; keine schlechte Berliner Tradition. Auch Ulrich Roloff-Momin sehnt sich nach einer Persönlichkeit, die bereit sein müsste, "neue und unkonventionelle Wege zu gehen". Roloff-Momin würde am liebsten den gesamten Berliner Kulturetat aus dem Haushalt herauslösen und einer Stiftung zuführen. Beide Ex-Senatoren plädieren heftig für eine Befreiung der Kulturpolitik vom Zugriff der Parteien. Hassemer warnt die CDU davor, den Posten des Kultursenators intern zu verschachern - die einmalige Chance der souveränen Erneuerung wäre, so Hassemer, "fahrlässig" vertan. Wie soll er aussehen, der Neue? Etwas vom kreativen Leichtsinn des jungen Hassemer, ein Stück vom breiten Kreuz des Marathonläufers Roloff-Momin, ein wenig auch von der politischen Umtriebigkeit eines Radunski: All das wäre gefordert. Und ist doch nicht genug. Der Moment ist da, all die üblichen Verdächtigen aus den Parteien ausscheiden zu lassen. Die Symbole, deren sich besonders die Kulturpolitik zu bedienen hat, liegen auf der Straße. Neue Hauptstadt, neue Zeitrechnung und neues Spiel. Die gesuchte Persönlichkeit kann sich als Noch-Phantom vor den Avancen und Erwartungen jetzt schon kaum retten. Die Berliner Situation erinnert an den Moment, als Kanzlerkandidat Gerhard Schröder seinerzeit das Amt des Staatsministers für Kultur erfand und alle rätselten, wer der Erlöser sein würde. Damals war es ein Unabhängiger, ein Quereinsteiger, und er kam von sehr weit her, aus New York. Vielbeschlagen muss der Neue sein: musisch und methodisch, programmatisch und pragmatisch, gebildet und zugleich taktisch gewieft. Die Auswahl ist klein, die Chance groß. Und die zehnjährige Übergangszeit endlich vorbei.

Rüdiger Schaper

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