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Im südlichen Areal des Felds.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zehn Jahre Tempelhofer Feld: Feldforschung in Pandemiezeiten

Seit zehn Jahren fungiert das alte Flughafengelände als Park. Unser Autor hat es in der Coronakrise neu für sich entdeckt – und Erstaunliches erfahren. 

Zu Beginn der Pandemie verspürte ich Aggressionen gegen die Feldlerche. Früher hatte mich nie gestört, dass jedes Jahr die riesige Wiese zwischen den Landebahnen auf dem Tempelhofer Feld mit rot-weißem Flatterband abgesperrt wird, damit der Vogel ungestört brüten kann. 

Aber wäre es jetzt im Corona-Jahr wirklich zu viel verlangt, wenn er sich mit etwas weniger Fläche begnügte, sodass mehr Platz für Spaziergänger bliebe? Was hat die Feldlerche je für uns getan?

Seit zehn Jahren ist der ehemalige Flughafen für die Berliner geöffnet, nie habe ich dort so viel Zeit verbracht wie in den Tagen des Lockdowns. Dabei durfte ich Erstaunliches entdecken und lernen, auch weit über das Feld hinaus. Ich sehe diesen Ort jetzt mit anderen Augen.

Ein guter Start war, die Infotafeln zu lesen, die auf der Fläche, so groß wie 525 Fußballplätze, verstreut herumstehen. So erfuhr ich, dass zwischen Sandtrockenrasen und Glatthaferwiesen zu unterscheiden ist. Dass hier 236 verschiedene Bienen- und Wespenarten nachgewiesen werden konnten. Dass sich der Turmfalke, wenn er in der Luft flattert, sich jedoch nicht von der Stelle bewegt, im „Rüttelflug“ befindet.

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Die Entwicklungen speziell in Berlin an dieser Stelle.]

Einmal beschloss ich, den Rosinenbomber aus der Zeit der Berliner Luftbrücke von Nahem zu besichtigen, der im südlichen Areal, von einem Metallzaun geschützt, mitten auf der Wiese steht. Ich war dann vom Schild überrascht, das behauptete, dies sei gar kein Rosinenbomber, sondern eine Passagiermaschine, die 1987 von der Landebahn rutschte. 

Noch mehr überraschte mich, dass sich die Berliner Luftbrücke anscheinend gar nicht nach dem Mauerbau in den 1960er Jahren ereignete, sondern bereits 1948 bis ’49. Krasse Bildungslücke. Ich fragte mich, ob die kommenden Generationen später auch alles durcheinander bringen werden und dann zum Beispiel Angela Merkel für die Kanzlerin der Deutschen Einheit halten.

Spaziergänger auf dem Feld
Spaziergänger auf dem Feld

© Kitty Kleist-Heinrich

Weitere Erkenntnisse, die ich während der Pandemie auf dem Tempelhofer Feld erlangte: Bei dem weithin sichtbaren Gebäude, aus dem früh am Abend grelles grünes Neonlicht strahlt, handelt es sich um nichts Spektakuläres, bloß ein Selfstorage-Lagerhaus jenseits der Autobahn. Dafür besteht der Skateparcours aus Granitplatten, die nach dem Abriss vom Palast der Republik hergebracht wurden. Und der schönste Ort zum Herumliegen befindet sich im hohen Gras, genau auf halber Höhe zwischen Baseballplatz und nördlicher Landebahn. Sieht aus wie ein verwunschener wilder Garten.

Es gab skurrile Begegnungen. An einem Mittwochnachmittag stand, wirklich wahr, seelenruhig ein Esel direkt neben der Landebahn. Trug grünes Zaumzeug, hatte die Augen geschlossen. Schien zu meditieren. Als hätte ihn David Lynch dort platziert. Keine Ahnung, wie er aufs Feld gekommen war und was mit ihm passierte, ich habe den Esel nie wieder gesehen.

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Arg gewundert habe ich mich lange auch über die Schafe, denen auf der Südseite des Parks eine weitläufige Weidefläche zur Verfügung steht. Obwohl sich die Tiere genauso gut jede andere Ecke ihres Geheges aussuchen könnten, versammeln sie sich vor Sonnenuntergang stets am östlichen Ende in Zaunnähe. Was ist da los? 

Blick auf das alte Terminal.
Blick auf das alte Terminal.

© Kitty Kleist-Heinrich

Eines Tages traf ich eine Parkmitarbeiterin und fragte. Es könne an der Beschaffenheit des Grases liegen, mutmaßte sie. Vielleicht bevorzugen die Tiere vormittags die feuchteren Halme im Westen und abends, wenn aller Durst gestillt sei, die nährstoffreicheren. Die Frau sagte auch: „Schafe sind extreme Gewohnheitstiere.“

Vor elf Jahren schlug der Berliner Architekt Jakob Tigges vor, man solle auf dem Areal des Tempelhofer Felds einen 1070 Meter hohen Berg aufschütten. Weil genau dies der Stadt fehle. Auf seinem Gipfel solle Platz zum Wandern, Skifahren und für Almhütten sein. Bei klarem Wetter könnte man ihn noch aus 110 Kilometer Entfernung erkennen. 

Jakob Tigges hat seine Idee damals bei einem Senatswettbewerb eingereicht, schaffte es von 80 Beiträgen immerhin unter die besten 16. In diesen Tagen stelle ich mir oft vor, wie es Berlin mit dem Berg ergangen wäre. Der Schattenwurf hätte jedenfalls bis zur südlichen Friedrichstraße gereicht.

Das Feld lässt sich in den Aggregatszuständen joggend, radfahrend und herumdösend genießen. Eventuell eignete es sich auch perfekt als ausgelagertes Homeoffice, aber das sollte man dann besser nicht schreiben, wegen möglicher arbeitsrechtlicher Konsequenzen. 

Auf der Ostseite, die an Neuköllns Schillerkiez grenzt, hat sich im Lockdown eine Szene von Rollschuhfahrern und Inlinern etabliert. Manche tanzen, andere umfahren Hindernisse, und alle halten Abstand, das ist wunderbar anzusehen. Inzwischen weiß ich auch: Das Tempelhofer Feld ist groß genug für alle, selbst im Corona-Jahr. Die Feldlerche kann ihre Wiese ruhig behalten.

Der Gast neben der Landebahn.
Esel da, Besitzer nirgends zu sehen.

© Sebastian Leber

Nur das Rätsel um den Esel, der neben der Landebahn meditierte, ist noch ungelöst. Fest steht, ich habe ihn mir nicht eingebildet, ich habe ein Beweisfoto gemacht, es datiert auf den 8. April, Tag 26 des Lockdowns. Vielleicht können Sie, liebe Leser, helfen: Haben Sie den Esel damals auch gesehen oder waren gar für sein Auftauchen verantwortlich? Und wenn ja: weshalb? Bitte schreiben Sie uns. Wir behandeln die Infos vertraulich.

Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, die Ecke vom Neuköllner Thomas-Friedhof bis zum Körnerpark, der Teufelsbergdie Halbinsel Stralau, der südliche Teil des Großen Tiergarten und das Tempelhofer Feld.

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