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Berlin: Zeigefinger statt Mittelfinger

Senat und Verbände wollen Aggression und Disziplinlosigkeit im Straßenverkehr zurückdrängen. Zahl der Verunglückten ging zurück

Ein paar mehr Tempolimits vor Schulen, zusätzliche „Dialogdisplays“, Stadtteilpläne speziell für Kinder und vielleicht auch hier und da ein fester Blitzer sollen den Straßenverkehr in Berlin sicherer machen. Und weil das allein niemals reichen wird, wollen Stadtentwicklungsverwaltung sowie ADAC und ADFC den Berlinern verstärkt Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung in Erinnerung rufen, der zu Vorsicht und Rücksicht mahnt.

Gemeinsam präsentierte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) mit Vertretern der Autofahrer- und der Radler-Lobby am Freitag den aktuellen Verkehrssicherheitsbericht sowie eine Sonderuntersuchung zu Radverkehrsunfällen. Letztere sind auch deshalb ins Blickfeld gerückt, weil die Zahl der verunglückten Radler von 2004 bis 2009 um 19 Prozent zugenommen hat. Da der Fahrradverkehr im selben Zeitraum um 30 Prozent zugenommen hat, ist Radfahren in Berlin insgesamt sicherer geworden. Ohnehin sind Radler nur an sechs Prozent aller Unfälle beteiligt, obwohl 13 Prozent der Wege per Rad zurückgelegt werden.

Zu den 75 Kilometern markierter Radfahrstreifen sollen laut Junge-Reyer bis Ende 2011 weitere 40 Kilometer hinzukommen. Nach dem Willen der ADFC- Landesvorsitzenden Sarah Stark gehört „auf jede Hauptverkehrsstraße ein durchgängiger Radfahrstreifen“. Denn zehn von 13 tödlichen Unfällen mit Rechtsabbiegern von 2004 bis 2008 seien auf Gehweg-Radwegen passiert. Dort fühlten sich viele Radler sicherer, aber in Wahrheit würden sie von abbiegenden Auto- und Lkw-Fahrern oft übersehen.

Um Fehlplanungen künftig zu vermeiden, werden laut Junge-Reyer Mitarbeiter der Verwaltung zu „Sicherheitsauditoren“ geschult. Parallel tagt seit Jahren eine Unfallkommission, die über eine Million Euro Jahresbudget verfüge und schon mehr als 80 Risikoorte verändert habe.

Doch Umbauten ersetzen keine Disziplin. Radler verschulden Unfälle meist durch Fahrten auf der falschen Seite und über Gehwege. Und generell konstatiert Junge-Reyer: „Es wird zu schnell gefahren.“ Besserung verspricht sie sich von 30 weiteren „Dialog-Displays“, die zum Langsamfahren auffordern oder – bei eingehaltenem Tempolimit – „Danke“ anzeigen. Sie stehen oft vor Grundschulen und Kitas, wo Tempo 30 gilt. Junge-Reyer hat nach eigener Auskunft die Baustadträte der Bezirke gebeten, das auch für die übrigen Schulen zu prüfen. Außerdem wolle sie, dass in der Unfallkommission über weitere fest installierte Blitzer an problematischen Stellen diskutiert werde. Allerdings hatte Polizeipräsident Dieter Glietsch kürzlich gesagt, er sehe dafür keine Notwendigkeit.

Sicherer geworden ist der Berliner Verkehr für Autofahrer (13 Prozent weniger Verunglückte von 2004 bis 2009) und Fußgänger (minus sieben Prozent). Dagegen verunglückten 21 Prozent mehr Motorradfahrer. Generell leben Männer gefährlicher als Frauen. Auffällig ist auch, dass Senioren über 75 Jahre bei Unfällen besonders schwer verletzt werden.

Der ADAC weist nach Auskunft von Verkehrsvorstand Dorette König in seinen Sicherheitstrainings gezielt auf die Risiken durch Raserei hin. Anders als der Radler-Verband setzt der ADAC eher auf Trennung der Verkehrsteilnehmer: „Leistungsfähige“ Hauptstraßen für den Wirtschafts- und Autoverkehr plus ein sicheres Nebenroutennetz für Radler.

Einig sind sich alle darin, dass Recht geben wichtiger ist als Recht haben. Die ADAC-Vorstandsfrau stellte eine entsprechende Kampagne in Aussicht, und die ADFC-Chefin will die Radler daran erinnern, dass Fehler nicht unbedingt absichtlich geschehen und aggressive Rechthaberei deshalb fehl am Platze ist.

Damit Senioren sicher per Rad durch Berlin kommen, bietet der ADFC ab September Trainings an – ähnlich dem, das der ADAC älteren Autofahrern offeriert.

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