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Visum zur ständigen Ausreise. DDR-Reisepass in der Dauerausstellung des Hauses der Geschichte im Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße.

© Matthias Meisner

„Zeitung im Salon“ beim Tagesspiegel: Ein Buch über Menschen, die die DDR verließen - auf offiziellem Wege

Die Tagesspiegel-Reihe „Zeitung im Salon" wird 15 Jahre alt. Zum Jubiläum wird ein Buch vorgestellt, das aus Anlass des Mauerfalls vor 30 Jahren erschienen ist.

Zeitung im Salon mit Herausgebern, Autoren und Protagonisten des Buchs „Ständige Ausreise“. Montag, 16. September, 19 Uhr, Eintritt 16 Euro inkl. Sekt und Snack, Anmeldung unter veranstaltungen.tagesspiegel.de

Vier Jahre, drei Monate und neun Tage – so lange musste Ingrid Lauten warten. Und dann ging alles ganz schnell: Am 6. Dezember 1988 teilten die DDR-Behörden der Erfurter Lehrerin mit, dass sie das Land bis Mitternacht des Folgetages zu verlassen habe, ihr Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR sei genehmigt worden. Also schnell mit Freunden feiern, noch schneller packen und dann nichts wie raus aus dem Land!

„Sechs Koffer und ein pubertierendes Kind“ hatte sie damals dabei. Heute lebt Ingrid Lauten in Frohnau, nach ihrer Ausreise aus der DDR arbeitete sie noch zehn Jahre als Lehrerin in Reinickendorf. Ihres ist eines von 24 Schicksalen, die in dem neuen Buch „Ständige Ausreise – Schwierige Wege aus der DDR“ (Christoph Links Verlag, 292 Seiten, 18 Euro) vorgestellt werden. Die Herausgeber, Tagesspiegel-Redakteur Matthias Meisner und rbb-Redakteurin Jana Göbel, haben Texte von Journalisten zusammengestellt, die Ausgereiste getroffen haben.

Die Protagonisten der Geschichten repräsentieren eine große Anzahl von Menschen: Fast 400 000 DDR-Bürger haben das Land per Ausreiseantrag legal verlassen, oft nach langer Wartezeit. Während anfangs vor allem politische Querdenker Anträge auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft stellten, ergriff die Ausreisewelle mit den Jahren immer breitere Schichten der Bevölkerung. Nun waren auch Ärzte, Facharbeiterinnen, Handwerker und Lehrerinnen unter denjenigen, die den folgenschweren Antrag stellten – ein Formular gab es dafür übrigens bis zum Ende nicht.

Erfurter Lehrerin musste an der Kasse der HO arbeiten

Oft mussten die Ausreisewilligen erhebliche Opfer auf sich nehmen. „Wer sich abwandte vom Sozialismus, sollte bestraft werden“, sagt Matthias Meisner. „Auch zur Abschreckung, damit andere nicht auf die gleiche Idee kamen.“ Die Porträtierten berichten von Arbeitsplatzverlust, Mobbing und Schikanen, von Nachbarn und Bekannten, die sich abwandten.

Es war einmal in Erfurt. Die Fotos zeigen Ingrid Lauten als Lehrerin. Nachdem sie den Ausreiseantrag gestellt hatte, durfte sie nicht mehr unterrichten. Foto: Matthias Meisner
Es war einmal in Erfurt. Die Fotos zeigen Ingrid Lauten als Lehrerin. Nachdem sie den Ausreiseantrag gestellt hatte, durfte sie nicht mehr unterrichten. Foto: Matthias Meisner

© Matthias Meisner

Ingrid Lauten war ebenfalls davon betroffen. Kaum hatte sie im Jahr 1984 ihren ersten Ausreiseantrag gestellt, verlor sie ihre Stelle als Lehrerin und musste fortan an der Kasse eines HO-Ladens arbeiten. Die neuen Kolleginnen lehnten sie ab – möglicherweise aus Neid. Ihre Freunde jedoch, so sagt sie, hätten mehrheitlich zu ihr gehalten.

Wenn das Buch am 16. September im Tagesspiegel-Salon präsentiert wird, wird Ingrid Lauten dabei sein. Matthias Meisner und Jana Göbel stellen das Buch zusammen mit den Autoren Markus Geiler (Evangelischer Pressedienst) und Tagesspiegel-Redakteurin Maris Hubschmid vor. Hubschmid, die kürzlich den Theodor-Wolff-Preis für ihre Reportage über ein Männer-Alkoholikerheim bekommen hat, hat ein Porträt der Modedesignerin Josefine von Krepl geschrieben, die ein halbes Jahr vor Mauerfall ausreisen durfte. Die Moderation des Abends übernimmt Andrea Dernbach, Politische Reporterin des Tagesspiegels, die auch ein Nachwort verfasst hat.

Tim Gerber, dessen Geschichte Markus Geiler aufgeschrieben hat, wird am 16. September auch dabei sein. Er war von Beginn an aufmüpfig, spielte in einer Punkband, trampte nach Ungarn. „Ich wollte mich bewegen, wollte was erleben wie jeder junge Mensch.“ Ein Studium wurde ihm verwehrt, eine Stelle beim Theater ebenso, eine Scheinehe mit einer West-Berliner Freundin klappte nicht. Als er den Gedanken an Ausreise schon fast aufgegeben hatte, wurde sie ihm im Jahr 1989 doch noch genehmigt.

Das Buch erscheint nicht zufällig passend zum 30-jährigen Jubiläum der Friedlichen Revolution. Zufall ist dagegen, dass ein anderes Jubiläum mit der Buchpräsentation zusammenfällt: Seit genau 15 Jahren gibt es den Tagesspiegel-Salon. Seit September 2004 stellen jeden Monat Tagesspiegel-Autorinnen und Autoren ihre Bücher vor – in den ersten Jahren an wechselnden Orten, seit dem Umzug des Tagesspiegels 2009 im Verlagshaus am Askanischen Platz.

Themen und Autoren haben gewechselt, drei Dinge sind immer gleich geblieben: Sekt zur Begrüßung, Piano in der Pause und ein Snack der literarischen Köche von eßkultur, der zum Buch passt. Welcher Snack zur ständigen Ausreise aus der DDR passt, das erfahren die Gäste am 16. September. Der Tagesspiegel verlost Exemplare des Buchs. Mitmachen können Sie bis zum 4. September unter www.tagesspiegel.de/gewinnen oder per Postkarte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin.

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