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Berlin: Zerreißprobe für die jüdische Einheitsgemeinde

Einige hundert Mitglieder erwägen Abspaltung. Berlins Finanzhilfe für die Mehrheitsgemeinde würde sich nicht ändern

Der Streit in Berlins jüdischer Gemeinde wird heftiger – die Folgen sind schwer zu übersehen. Der frühere Vorsitzende Albert Meyer geht zwar mit dem Wort „Spaltung“ vorsichtig um und will den Streit „nicht übertreiben“. Doch dass sich ein Teil der Gemeindemitglieder neu organisieren möchte, steht für ihn fest.

Meyer hat die größte jüdische Gemeinde Deutschlands von 2003 bis 2005 geführt. Er kennt deren Entwicklung, die er nun beklagt. Für ihn ist die jüdische Gemeinde dabei, sich von einer liberalen, großstädtischen Glaubensgemeinschaft weg zu entwickeln zu einem Verein, in dem russische Einwanderer dominieren. Er denkt daran, einen Synagogenverein neu zu gründen. Mindestens 300 Mitglieder der jüdischen Gemeinde wären mit dabei, sagt Meyer. Seit wieder öffentlich gestritten wird, würden es eher mehr, sagt er.

Wie Meyer erwartet auch der Potsdamer Historiker Julius Schoeps, dass eine solche Neugründung von der jüdischen Gemeinde mitfinanziert werden müsste. Auch Schoeps kennt die Gemeinde bestens, auch er hatte mal eine Führungsposition inne – und er geht davon aus, dass die Neugründungspläne „einiges in Bewegung bringen“, bevor die Gemeinde im Herbst ihren Vorstand neu wählt.

Die Abspaltung eines Teils der Gemeinde würde – zunächst – an deren Verhältnis zum Land Berlin nichts ändern. Das ist seit 1993 mit einem Staatsvertrag geregelt. Der regelt Fragen zum Denkmalschutz genauso wie die staatlichen Zuschüsse. Nach Auskunft der Kulturverwaltung liegen die derzeit bei 9,3 Millionen Euro jährlich. Damit finanziert die etwa 11 000 Mitglieder zählende Gemeinde jüdische Kindergärten und Schulen, das Gemeindezentrum, die jüdische Volkshochschule und andere Einrichtungen. Und sie kümmert sich um die Integration der Einwanderer aus den ehemaligen Sowjetstaaten, die dem jüdischen Glauben anhängen. Sie haben die Berliner jüdische Gemeinde seit dem Zusammenbruch des Sowjetunion stark anwachsen lassen – und der Umgang mit ihnen und ihren Interessen ist eine der wichtigsten Ursachen des aktuelle Streits.

Der Vorsitzende der Gemeinde, Gideon Joffe hat am Wochenende mitgeteilt, viele Einwanderer hätten sich wunderbar integriert. Damit wies er zurück, was Meyer als wichtigsten Grund für eine Trennung von der Gemeinde angibt: dass die Nationalität einzelner Gruppen wichtiger sei als die Einheitsgemeinde. In ihr müssten „alle Facetten“ der Gemeinde erkennbar bleiben, sagt Meyer. Es gehe ihm um den Umgang mit der deutschsprachigen Minderheit. Er wolle, dass die deutsche Sprache zur Integration der Minderheit genutzt werde. Die kulturellen Gegensätze zwischen jüdischen Berlinern westlicher Herkunft und osteuropäischen Einwanderern sind offenbar nur ein Teil des Konflikts. Meyer spricht von „stalinistischen Methoden“, mit denen er aus dem Vorstandsamt gedrängt worden sei. Joffe wollte sich am gestrigen Montag zu dem Streit nicht äußern.

Auch kaum ein Berliner Politiker wollte das Geschehen am Montag kommentieren. Nur die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei/PDS, Carola Bluhm, die den Streit „hochbrisant“ findet, wollte zu der Angelegenheit etwas sagen: Sie wünsche sich ein facettenreiches jüdisches Gemeindeleben in Berlin, so Bluhm. Die Einheitsgemeinde hat dies aus ihrer Sicht bislang gewährleisten können.

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