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Ruth Sielken und Klara Mommer wurden durch den Verein „Freunde alter Menschen“ zu Freundinnen.

© Silvia Passow

Ziemlich beste Freundinnen: Wie ein Berliner Verein aus Fremden Freunde macht

Für die Weihnachtsaktion „Menschen helfen“ stellt der Tagesspiegel-Spendenverein einige gemeinnützige Vereine in Berlin vor. Heute: „Freunde alter Menschen“.

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Klara Mommer ist überrascht, als Ruth Sielken aus ihrer Zeit als junge Frau in Ost-Pakistan erzählt. Die beiden Frauen sind Freundinnen geworden, über den Verein „Freunde alter Menschen“. „Du musst doch mehr als nur ein Leben gelebt haben“, sagt Mommer. Und tatsächlich hatte Sielken ein bewegtes Leben, ist viel gereist, war immer aktiv und selten allein. Das Leben gestaltete sich für sie ruhiger, als die Augen schlechter und die Beine müder wurden. Auf soziale Kontakte, auf Freundschaften, mochte die 83-Jährige dennoch nicht verzichten. Doch wie findet eine Seniorin in der anonymen Großstadt neue Freundschaften?

Hier hilft „Freunde alter Menschen“. Jung und Alt finden zusammen, lernen sich kennen und wenn alles gut läuft, man sich mag und versteht, entstehen Freundschaften über viele Jahre, wie bei Mommer und Sielken. Zugunsten der Miete für die Büroräume bitten wir die Lesenden des Tagesspiegels um Spenden.

Ein bewegtes Leben

Berührungsängste, Angst vor dem Neuen, Unbekannten, all das müssen Fremdworte für Ruth Sielken sein. Lebhaft erzählt sie von ihren Jahren im Ausland, erst Pakistan, dann Kairo. Aus der ägyptischen Metropole wurden sie und ihre Kinder aber 1973 herausgebracht. Der Jom-Kippur-Krieg war der dritte Krieg, den Sielken erlebte. Sie wurde während des Zweiten Weltkriegs geboren, erlebte später hautnah den Kaschmirkonflikt. Der Beruf ihres Ehemannes hatte sie an diese Orte geführt.

Den Ehemann verließ sie später, die Lust am Erkunden fremder Orte blieb ihr jedoch. Sie arbeitete einige Jahre im Arolsen-Archiv, dem größten Archiv über die Opfer des Nationalsozialismus, studierte, war berufstätig, bis die Gesundheit sie im Stich ließ. Sielken liebt Musik, besonders Bach. Sie komme aus einer christlich geprägten Familie, bei ihr selbst sei nicht viel von Kirche hängengeblieben sagt sie, aber die Klänge, die Johann Sebastian Bach der Welt hinterließ, die lenken sie ab, wenn die Stille um sie herum zu schwer werde.

Während Ruth Sielken aus ihrem Leben erzählt, sitzt Klara Mommer ihr gegenüber in der Küche, eine Kerze spendet warmes Licht. Auf dem Tisch steht ein Schwarz-Weiß-Foto von Sielkens verstorbener Hündin Leila. Mommer hört aufmerksam zu, stellt ab und an eine Frage. Miteinander reden, das ist es, was sie meistens machen. Mommer besucht Sielken alle zwei Wochen. Dann bleibt sie zwei, drei Stunden.

Manchmal vergehe die Zeit so rasch, sie verplaudern sich, wie das bei Freundinnen so ist. Dann fragt Sielken schon mal. „Hast du heut noch was vor, Klara?“ Und Mommer ist dann oft erstaunt, wie schnell die Zeit wieder verrann, sagt sie.

Einsamkeit ist kein Phänomen der älteren Generation.

Klara Mommer arbeitet ehrenamtlich beim Verein „Freunde alter Menschen“

Mommer besucht Sielken ehrenamtlich, doch man hat nicht das Gefühl, dass hier jemand eines Amtes wegen besucht wird. Zu vertraut sind die beiden im Umgang. Und Mommer bestätigt, ihre Besuche fühlen sich nicht wie eine ehrenamtliche Tätigkeit an. Mit Amt oder Arbeit habe das nichts zu tun, sagt sie. Es sei ein Freundschaftsbesuch, wie jeder andere auch. Nur dass diese Freundschaft ohne so etwas wie eine Freundschaftsvermittlung nicht zustande gekommen wäre.

Die Freundschaftsvermittler

Der Verein „Freunde alter Menschen“ hat die beiden zusammengeführt. Sielken hörte per Zufall von dem Verein. „Das war so vor vier oder fünf Jahren. Ich habe dann gegoogelt und den Verein gefunden“, erzählt sie. Seitdem hat sie neben Mommer noch zwei andere aktuelle Freundschaften durch den Verein gewonnen. Aber auch ehemalige Freundschaften, die angebahnt wurden, haben Bestand. Eine ihrer Freundinnen zog in eine andere Stadt, den Kontakt haben sie deshalb nicht verloren.

Einsamkeit, sagt Mommer, sei kein Phänomen der älteren Generation. Auch sie habe während der Corona-Pandemie Einsamkeit erlebt. Auf die Idee, sich zu engagieren, brachte sie die Stadt selbst, wie sie sagt. „Im Internet bin ich dann auf den Verein Freunde alter Menschen gestoßen“, erzählt sie weiter. Hier kam sie erst einmal mit den Mitarbeiterinnen ins Gespräch. Dann habe sie Karten, ähnlich wie Steckbriefe, nur ohne Fotos bekommen. Interessen und Vorlieben wurden da beschrieben. Mommer konnte auswählen, wen sie gern kennenlernen möchte. Beim ersten Besuch kam jemand vom Verein mit.

Diese anfängliche Begleitung empfanden beide als sehr wertvoll. Und auch die Sicherheit. „Gerade ältere Leute lassen ja nicht gern Fremde in die Wohnung“, sagt Sielken. Und natürlich sei Vorsicht hier auch wichtig. Allerdings, gibt Sielken zu bedenken, wer gar niemanden durch die Tür lasse, drohe zu vereinsamen.

Ruth Sielken hat bereits mehrere Angebote von Besuchsdiensten ausprobiert. Manchmal kamen Leute, die ständig auf die Uhr schauten. Es sei das Gefühl entstanden, hier sei jemand auf Pflichtbesuch. Das mache den Unterschied zu den „Freunden alter Menschen“, sagt Sielken. Denn die Ehrenamtlichen hier entscheiden selbst, wann sie für welchen Zeitraum wen besuchen.

Und genau das ist das Ziel des Vereins: Es sollen sich Freundschaften entwickeln. 263 betagte Menschen nutzen das Angebot, 253 Freiwillige besuchen regelmäßig die Senioren. Sie gehen gemeinsam spazieren, ins Kino, Theater oder ins Schwimmbad, oder plaudern einfach nur miteinander. Mommer sagt, die Freundschaft sei für sie eine Bereicherung. „Ich schätze diesen wertvollen Austausch mit jemandem aus einer anderen Generation. Es wird nie langweilig, Ruth ist für mich unglaublich inspirierend.“

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