zum Hauptinhalt

Berlin: Zittern vor der großen Kälte

Minus 22 Grad sind angesagt – Härtetest für alle, die im Freien arbeiten. Straßenhändler schwören auf mehrere Pullover übereinander

Sollten die Meteorologen Recht behalten, wird es bitterkalt. Bis zu 22 Minusgrade könnten es werden. Der Berliner Extremwert lag bei minus 26 Grad – das war 1929. Minus 20 Grad gab es zuletzt 1978, letzten Winter wurden bis zu 14 Grad minus gemessen. Eiseskälte zum Wochenanfang: eine Belastungsprobe für Menschen, die im Freien arbeiten.

„Ein Härtetest“, sagt am Sonnabend der Polizist vor dem Jüdischen Gemeindehaus an der Fasanenstraße. „Ich lasse das auf mich zukommen.“ Zwei Polizisten vorm Bahnhof Zoo weisen auf ihre dicken Pullover und verraten außerdem, dass sie lange Unterhosen tragen. André Bommert vom offenen Bockwurststand an der Joachimstaler Straße zählt auf, was er bei minus 20 Grad anzieht: eine dicke, winddichte Jacke, Schal, zwei Pullover – einen davon hat er aus seiner Fahrrad-Kurier-Zeit –, zwei Paar lange Unterhosen, dicke Stiefel, heizbare Socken, eine Mütze. Und wenn es gar zu kalt wird, geht er nach nebenan ins Erotikmuseum von Beate Uhse. Dort darf er für 10 Cent heißen Tee trinken. Auf heißen Kaffee schwört Taxifahrer Rainer Denke. „Ich zieh’ mich dicker an und lasse zum Heizen den Motor beim Warten öfter laufen. Größere Sorge macht mir mein Sohn. Der fährt morgen nach Polen, da ist es richtig kalt.“ Am Straßenstand von Blumen-Range am Zoo ist am Sonnabend schon alles auf die große Kälte vorbereitet. Plane, Heizstrahler, drei Gasöfen, die Blumen müssen es bei sechs Grad plus warm haben. Davon profitieren auch die Händler. Obst- und- Gemüse-Fachmann Axel Walter auf dem Schöneberger Winterfeldtmarkt hofft, dass es mit der großen Kälte schnell vorbei ist. Ihm selbst macht sie nichts aus, er trägt einen Ski-Anzug, und es gibt kleine Öfen. Aber bei minus 15 Grad gefriert das Obst schon beim Abladen. „Ich habe hier schon bei 25 Grad minus gestanden“, erinnert sich Markthändler Rudi Böttcher. Er verkauft Wollsachen und kann sich notfalls, wenn es ihm zu kalt wird, selbst bedienen. Er trägt normalerweise schon drei Pullover übereinander. Hut, ein dicker Cashmere-Mantel, Pullover, Angora-Unterwäsche gehören zur Ausstattung der Doormen wie Ayman Abadi vorm Kempinski oder Soeren Ripperger vorm Adlon. „Wenn ich Gäste betreue, vergesse ich die Kälte,“ sagt Abadi.

Bitter wird es für viele Obdachlose. Die BVG hat wieder drei U-Bahnhöfe während der Betriebspause geöffnet: Schillingstraße (U5), Südstern (U7) und Hansaplatz (U9). Mediziner raten, gegen die Kälte keinen Alkohol zu trinken, weil er das Auskühlen verstärkt. Man sollte möglichst viel Haut bedecken und sie mit recht fettreicher Creme schützen.

Der Zoo hat viele Freigehege geräumt. In der Voliere des Kranzler-Ecks schwirren am Sonnabend noch Sittiche. Passanten hoffen, dass sie rechtzeitig ins Warme kommen, „sonst liegen die morgen gefroren auf der Erde“.

Der ADAC erwartet am Montag einen Großeinsatz für Starthilfen. Pannenhelfer raten, das Auto heute zu bewegen. Längerer Stillstand und Kälte seien für Batterien „ein giftiger Cocktail“.

Christian van Lessen

Zur Startseite