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Berlin: Zivilcourage mit tödlichen Folgen

Zwei Männer, die Randalierer bremsen wollten, wurden niedergestochen – einer starb. Polizei rät Zeugen von Gewalttaten, sich zurückzuhalten

Von Annette Kögel

und Werner Schmidt

Die jungen Männer wollten einen Täter stellen, der Autos demolierte – und wurden Opfer ihrer Zivilcourage. Die Mordkommission hat am Sonntag Haftbefehl wegen Mordes und versuchten Mordes gegen den 24-jährigen Messerstecher beantragt, der in der Nacht zu Sonnabend den 20-jährigen Thomas P. erstach und den 32 Jahre alten Dirk M. schwer verletzte. Die beiden schritten ein, als der Mann am S-Bahnhof Marzahn mehrere Autos demolierte. Dirk M. schwebte am Sonntag noch in Lebensgefahr.

Thomas P. und Dirk M. waren gegen 1 Uhr auf dem Weg in die Diskothek „M Berlin“ im Einkaufszentrum Le Prom, als sie auf dem Parkplatz des S-Bahnhofs sahen, dass der aus Tunesien stammende Mann mit einer Steinschleuder auf die Frontscheibe eines Autos schoss, in dem ein Frau saß. Die Scheibe splitterte, die Frau erlitt dabei Verletzungen. Thomas P. rannte dem Flüchtenden hinterher und wollte ihn festhalten – aber der hatte plötzlich ein Messer in der Hand und stach zu. Auch als Thomas P. schon am Boden lag, soll der Täter noch auf ihn eingestochen haben, berichteten Zeugen. Beamten einer Funkstreife nahmen den blutverschmierten Täter wenig später auf dem Bahnsteig fest.

Es ist nicht das erste Mal, dass couragierte Passanten, die Zeugen eines Verbrechens wurden und den Betroffenen helfen wollten, selbst Opfer wurden. Einer der spektakulärsten Fälle: Anfang April 2003 wurde ein 66-jähriger Blumenhändler in Lichtenberg erschossen, als er der Kassiererin eines Blumengroßhandels zu Hilfe eilte. Die Frau war mit einem Geldkoffer auf dem Weg zur Sparkasse überfallen worden. Der Täter hatte den Blumenhändler kaltblütig niedergeschossen. Gegen einen der an dem Überfall Beteiligten wurde zu Jahresbeginn der Prozess vor dem Kriminalgericht in Moabit eröffnet. Der mutmaßliche Todesschütze ist allerdings untergetaucht. Zivilcourage hat Grenzen – darauf verweist auch die Polizei. „Wenn man solche Taten beobachtet, bei denen die Täter eindeutig Gewaltbereitschaft erkennen lassen, sollte man sich nicht selbst in Gefahr begeben“, sagte Polizeisprecherin Christine Rother. Besser sei es, aus sicherer Entfernung zu beobachten und die Polizei zu rufen: „Wir sind ja häufig innerhalb von Minuten da.“ Wird man etwa in der U-Bahn Zeuge einer verbalen Auseinandersetzung, die zu eskalieren scheint, „ist es manchmal besser, das Opfer am nächsten Bahnhof zum Aussteigen zu bewegen, als direkt auf den Täter zuzugehen“.

Andererseits gibt es Szenerien, bei denen man als Augenzeuge durchaus den Mut haben sollte, sich einzumischen, sagen Polizeiexperten. Es empfiehlt sich stets, andere Zeugen des Geschehens direkt anzusprechen: „Sie mit dem roten T-Shirt, finden Sie in Ordnung, was hier passiert? Bitte helfen Sie mir!“ Das Opfer könne man ebenso laut auffordern: „Kommen Sie her zu uns!“ Von Waffen zum Eigenschutz rät die Polizei aber ab. Und: Als Angegriffener selbst lieber laut schreiend weglaufen als den Helden spielen.

Zivilcourage hat aber oft auch Erfolg. Erst in der vergangenen Woche stellten die Bewohner eines Kreuzberger Mietshauses einen Vergewaltiger. Der 27-Jährige hatte, wie berichtet, in der Friedrichstraße eine 15-Jährige in den Keller gezerrt und vergewaltigt. Ihre Hilfeschreie alarmierten die Bewohner, die den Mann vom Mädchen wegzerrten und ihn festhielten, bis die Polizei kam. Und unlängst schlug eine Ladenbesitzerin einen Dieb in die Flucht. Mit Judogriffen.

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