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Zoo: Haltestelle für die Hoffnung

Die Bahnhofsmission am Zoo wurde saniert – auch dank 25.000 Euro aus der Spendenaktion "Menschen helfen!" des Tagesspiegels

Kaum ist die Tür geöffnet, schon staut sich am Tresen eine Schlange bis in den Vorraum. Eine Stulle, ein Kaffee, ein Stück Kuchen, ein Apfel oder eine Banane – und dazu ein warmes oder auch mal ein klares Wort: Das gibt es jetzt wieder in der Bahnhofsmission der Berliner Stadtmission am Zoologischen Garten. Fast zwei Monate war die Einrichtung an der Jebensstraße hinter dem ehemaligen Fernbahnhof in Charlottenburg wegen Sanierungsarbeiten geschlossen. Jetzt erstrahlt die Einrichtung mit ihrem berlinweit einzigartigen Angebot für Reisende und Menschen in sozialen Notlagen in neuem Glanz. Dass im Sommer bis zu 500 und im Winter rund 200 Menschen tagaus, tagein und auch nachts rund um die Uhr bei der Bahnhofsmission Hilfe finden, ist auch den Leserinnnen und Lesern des Tagesspiegels zu verdanken: 25 000 Euro der 50 000 Euro Umgestaltungskosten stammen aus der Spendenaktion dieser Zeitung „Menschen helfen!“.

„Bärny“ ist einer von denen, die jetzt nicht mehr draußen in der Kälte ins Brötchen beißen müssen. Schülerpraktikantin Lara Lehmann schenkt ihm Kaffee ein, jetzt sitzt er am Tisch, etwa eine Dreiviertelstunde, dann werden die Gäste wieder herausgebeten, die Tische gewischt – und die nächsten Bedürftigen können Platz nehmen. „Bärny“ heißt eigentlich Bernd. Er hat früher als Hafen- und Werftarbeiter in Rotterdam geschuftet, „das war ein unglaublich harter Job“, sagt er, der ihn krank gemacht habe. Abends hat er es dann „laufen lassen“, und „auch vorm Ackern habe ich ’nen halben Liter gefasst“, sagt der Mann mit dem Dreitagebart und den strahlend blauen Augen. Dass er trotzdem die Kurve bekommen hat und nicht mehr wie früher in einem Männerwohnheim lebt, sondern in einer eigenen Wohnung, hat er seinem eigenen Lebensmut – und sicher auch der Hilfe durch die Bahnhofsmission zu verdanken.

„Ich fühle mich hier immer noch wohl“, sagt Bärny, und nimmt einen Schluck Kaffee. 6,25 Stellen teilen sich die festen Mitarbeiter der Bahnhofsmission. Mit ihnen stemmen 30 Ehrenamtliche den Betrieb. Essensausgabe ist täglich von 6 bis 7 Uhr, von 22 Uhr bis Mitternacht. Immer vor der Nachmittagsöffnung von 14 bis 19 Uhr setzen sich die Kollegen kurz zusammen. Bahnhofsmissionsleiter Christian Block liest erst kurz etwas aus einem Büchlein vor, das „positives Denken“ anregen soll. „Man muss mit dem Herzen dabei sein, aber auch den professionellen Abstand wahren, um die Aufgabe zu bewältigen“, sagt er später. Jetzt geht es aber um die Dienste. „Ich mach den Kaffee“, sagt einer. „Ich mache den Türdienst“, die nächste. „Und ich schmiere die Stullen“, sagt Jutta Schröder, 69.

Die Frau aus Steglitz-Zehlendorf ist mit am längsten dabei, seit mehr als neun Jahren. „Als mein Mann im Jahr 2000 starb, war ich seelisch ganz tief unten“, sagt die frühere Verkäuferin. „Mein Arzt hat mit damals empfohlen, mir eine Aufgabe zu suchen.“ Jetzt hilft sie anderen, egal, wie sie aussehen oder wann sie sich zuletzt gewaschen haben, ob sie sich verständlich machen können oder nicht. Frau Schröder hat es damals aus der Krise heraus geschafft, andere besitzen nicht die seelische Stärke.

„Das geht heute ganz schnell, dass Menschen aus einem etablierten Leben abrutschen“, sagt Leiter Christian Block. „Von den Tippelbrüdern oder den Berbern, die man früher kannte, gibt es nicht mehr so viele“, sagt Block. Heute seien viele der Menschen, die in der Stadtmission Essen, Beratung, Kleidung oder ein Bett für eine Nacht suchen, psychisch krank. „Das nimmt immer mehr zu.“ Aber es gibt auch ältere Damen, deren Rente einfach nicht mehr reicht, die Hilfe suchen, obwohl sie Wert darauf legen, dass man es ihnen nicht ansieht. Zwei Notrufesysteme wurden installiert, falls Gäste aggressiv werden sollten, aber so etwas passiert höchst selten.

Auch die Umgebung der Bahnhofsmission am Zoo hat sich verändert: Die Drogenszene habe sich verschoben, sagt auch ein leitender Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, der Bahnhof und Klientel seit Jahren kennt. Die Dealer und ihre Kunden seien teils abgewandert an den Westhafen, in die Turmstraße nach Wedding, in die Hasenheide, ans Kotbusser Tor, auch an den Fehrbelliner Platz. Dafür sei der Platz vorm Ullrich Verbrauchermarkt gleich neben dem Bahnhof Treffpunkt für Obdachlose geblieben. Rund 2000 Menschen leben in Berlin unter Brücken, in Parks, in Ruinen – 7000 sind nach Auskunft der Sozialverwaltung in Notprojekten oder Wohnungen der Bezirksämter untergebracht.

Die Szene der Bedürftigen in der Stadt mag sich geändert haben, doch der Ruf der Kinder vom Bahnhof Zoo lebt auch heute weiter. „Zu uns kommen immer wieder Eltern, die uns Fotos ihrer vermissten Kinder zeigen“, sagt Block. Derweil stehen auch Punks in der Schlange. Die Stricher kämen weniger, die könnten es sich leisten, selbst Essen zu kaufen. Jetzt muss Block aber dringend die Feuerwehr anrufen, die Frau, die an der Tür klingelte, leidet an Diabetis. „Sie ist kaltschweißig und blass“, gibt der ausgebildete Krankenpfleger am Telefon Auskunft. Bei der Bahnhofsmission bekommt jeder zu jeder Zeit Hilfe, sagt Block. Das kümmert sich auch um Fahrgäste der Deutschen Bahn. Deren Mitarbeiter können sich an die Bahnhofsmission wenden, wenn geh- und sehbehinderte Reisende Unterstützung brauchen.

Mittlerweile kooperieren Bahn und Mission wieder gut. Vor ein paar Jahren noch wollte der Konzern seine Bahnhofsmission am Zoo nicht mehr im Haus haben. Christian Block ist da nicht nachtragend, er denkt nach vorn. Wenn das geplante Riesenrad in der Nachbarschaft des Bahnhofs eröffnet, könnte er sich ein Beschäftigungsprojekt für Reinigungskräfte vorstellen. Vielleicht kann so der ein oder andere noch ganz anders reine machen in seinem Leben.

Annette Kögel

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