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Berlin: Zorn und Zuversicht

Sonntags um zehn: Gestern wurde in den katholischen Kirchen ein Hirtenbrief des Erzbischofs zur Finanznot des Bistums verlesen. Wir haben uns in St.Ansgar im Hansa-Viertel umgesehen, einer Gemeinde, die von den Sparplänen besonders betroffen ist

Das ist ihm während eines Gottesdienstes noch nie passiert. Der schlanke, hochgewachsene Mann im Parka hat sich plötzlich „so richtig geärgert“ – über den Hirtenbrief seines Erzbischofs Georg Kardinal Sterzinsky zur Finanzkrise des Bistums Berlin. Zu üppig an Worten, aber wenig konkret erschien dem knapp 40-jährigen, im Pfarrgemeinderat engagierten Gläubigen der nahezu vierseitige Text, den Berlins katholische Pfarrer Sonntag früh statt einer Predigt auf allen Kanzeln verlasen. So auch Pater Justinus in der St.Ansgar-Kirche im Hansa-Viertel. Gut achtzig Menschen lauschen ihm in den Bänken, und viele erleben eine „Achterbahnfahrt der Gefühle“ wie ihr Gemeindevertreter: mit Zorn – und Zuversicht.

„Wir machen gemeinsam weiter. Jeder bringt sich finanziell und tatkräftig noch mehr ein – besonders in der eigenen Gemeinde.“ Das sind die Sätze, mit denen sich auch die „St.Ansgarianer“, wie sie sich selbst bezeichnen, an diesem letzten Sonntagmorgen des Jahres Mut zusprechen. Nach Schuldigen für die knapp 150 Millionen Euro Schulden ihres Erzbistums will kaum jemand mehr suchen, besser nach Auswegen. Aber dabei fühlen sich besonders die Aktiven in der Gemeinde nach dem Kanzelbrief ihres obersten Hirten offenbar weiter alleine gelassen. Das könnte allerdings auch eine Chance sein, sagen einige. Weil jetzt die Basis mehr am Zuge ist – zum Beispiel im Hansa-Viertel. Dort haben die Katholiken ihr Gemeindeschicksal in den vergangenen Monaten beherzt selbst in die Hand genommen.

Zu Optimismus und Unternehmungsgeist ermutigt schon ihre Kirche. 1957 wurde sie zur Internationalen Bauausstellung in der damaligen „Stadt der Zukunft“ – dem Hansaviertel am Tiergarten – eingeweiht. „Das Bistum Berlin baut auf“, verkündete ein Gemeindebrief zur Eröffnungsandacht – und von dieser Mission will man sich nun nicht abbringen lassen. Nichts ist hier düster. Der Himmel strömt mit all seinem Licht auf zwei Seiten des Gotteshauses durch scheinbar gläserne Wände, die nur ein schmales Betongitterwerk hält. Das Bemühen der 50er- Jahre-Architekten um Transparenz und Sachlichkeit dominiert im Inneren, keine schlechte Vorgabe für eine Gemeindesanierung. Und der Heiligen Ansgar (801-865), Namenspatron, Bischof und Missionar der Nordländer, kommt dazu gerade recht: Seine lebensgroße Bronzeskulptur am Altar schreitet munter mit dem Hirtenstab aus.

Sogar am Weihnachtsbaum hat man gespart. Dessen Spitze reicht zwar weiter zur Decke, aber es ist eine Fichte, kein teures Nordmann-Gewächs. Außerdem ist die heutige Kollekte für die eigenen Heizkosten bestimmt. Die wichtigste Sparmaßnahme allerdings geht aus einem Gebet hervor. Es steht in einem Faltblatt und heißt: „Gebet zur Fusion der Pfarreien St.Ansgar und St.Laurentius.“ Denn seit November 2003 ist St. Ansgar mit der Partnergemeinde in der Moabiter Bandelstraße zusammen. Zwecks Rationalisierung. Und jetzt bitten die Gläubigen: „Hilf uns, eine Familie zu werden und Neues als Gabe und Aufgabe zu begreifen.“

Zuvor haben sie schon Paul Gerhardts altes, tröstendes Lied „Ich lag in tiefer Todesnacht, Du warest meine Sonne“ gesungen und des Bischofs Hirtenworte gehört. Vor Resignation und Aggression angesichts der leeren Kassen, hat sie Sterzinsky gewarnt und daran erinnert, dass die Kirche kein bloßes Menschenwerk ist, sondern die Stiftung ihres Herrn. Deshalb werde man die Sendung der Kirche weiter verwirklichen und „unserem Herrn mehr trauen müssen als der Macht des Geldes … und dem Krisenmanagement.“ Es sei allemal besser, ein noch so kleines Licht anzuzünden, als auf die Finsternis zu schimpfen. Sterzinsky: „Ich hoffe auf Euch!“

In der fusionierten Gemeinde St.Ansgar und St.Laurentius fällt dieser Alleingang demnächst wieder schwer. Bisher gab es zwei Kirchenmusiker, nun müsste einer eigentlich entlassen werden.

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