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Wenn es nicht zu kalt war, saß Nico (links) beim Protestmarsch auf dem Rollstuhl, den sein Vater schob.

© dpa

Zu Fuß von Hamburg nach Berlin: Rollstuhl-Protestmarsch gegen Jens Spahn

"Extrem empathielos" findet Arnold Schnittger Gesundheitsminister Jens Spahn. Aus Protest lief er zwei Wochen lang nach Berlin, den Rollstuhl seines Sohnes schiebend.

Am 24. März lief Arnold Schnittger in Hamburg los, um gegen Jens Spahn zu protestieren. 280 Kilometer, zu Fuß, immer dabei: der Rollstuhl seines Sohnes Nico. Am Freitag, nach genau zwei Wochen, ist er in Berlin am Brandenburger Tor angekommen. Zehn Menschen warten auf ihn, jubeln als er und sein Sohn Nico sich aus einer Menschentraube herauslösen und auf das Tor zukommen. Die meisten von ihnen sind pflegende Angehörige, so wie Schnittger selbst.

Nico ist schwerbehindert, zu wenig Sauerstoff bei der Geburt. „Er wurde ein bisschen schief ins Leben gebaut“, sagt sein Vater. Der Sohn ist jetzt 22 Jahre alt, Schnittger hat seinen Job als Fotograf aufgegeben, um sich auf seinen Sohn konzentrieren zu können. „Dieses Leben ist auch schön, es ist nur anders“, sagt er.

Er lebt für seinen Sohn, hat ein Buch geschrieben, sammelt Spenden für ein Bauernhof-Projekt, wo behinderte Kinder mit ihren Familien leben können. Schon im vergangenen Jahr schob er Nico von Flensburg bis zum Bodensee. Auch dieses Mal war Nico die meiste Strecke dabei, nur wenn es zu kalt war, schob der Vater einen leeren Rollstuhl.

Spahn fällt durch provokante Äußerungen auf

Schnittger kennt die Herausforderungen der Pflege. Und deswegen ist ihm auch nicht egal, wen Angela Merkel zum Gesundheitsminister macht. Als er erfuhr, dass es der CDU-Politiker Jens Spahn wird, sei er bestürzt gewesen. „Sie sind mir als ein extrem empathieloser Politiker aufgefallen“, schreibt er in einem offenen Brief an den Minister. Vor allem sorge ihn, was aus Nico wird, wenn Schnittger irgendwann nicht mehr da ist, um sich um ihn zu kümmern. „Ich möchte Ihnen meinen Sohn dann nicht anvertrauen.“

Deshalb läuft Arnold Schnittger jetzt, um gegen die Ernennung von Jens Spahn zu protestieren. Und weil er den Gesundheitsminister auf einen Kaffee treffen will, um mit ihm zu reden. Und um festzustellen, ob Spahn mehr Empathie hat, als er vermutet. In den vergangenen Wochen ist Jens Spahn vor allem durch provokante Äußerungen aufgefallen: „Hartz IV bedeutet nicht Armut“, sagte er in einem Interview, „damit hat jeder, was er zum Leben braucht.“ Schnittger ist jetzt Rentner, lebte aber lange von Hartz IV; unfreiwillig, weil er seinen Sohn in Vollzeit pflegt: „400 Euro sind wahrscheinlich das, was Jens Spahn an einem Abend bei seinem Lieblingsitaliener auf den Tisch legt“, sagt Schnittger.

Unter dem Motto "Herr Spahn wir müssen reden" ist Arnold Schnittger am 24. März in Hamburg mit dem Rollstuhl seines Sohnes losgewandert.
Unter dem Motto "Herr Spahn wir müssen reden" ist Arnold Schnittger am 24. März in Hamburg mit dem Rollstuhl seines Sohnes losgewandert.

© Christophe Gateau/dpa

Er läuft zwar allein, aber er kämpft nicht allein. Am Brandenburger Tor wartet Zaklin Nastic auf ihn. Sie ist Bundestagsabgeordnete und menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. „Ich bin froh, dass Arnold Schnittger als direkter Betroffener ein öffentlichkeitswirksames Zeichen gesetzt hat. Politiker wie Jens Spahn haben den Kontakt zu den Betroffenen der eigenen Politik völlig verloren“, sagt sie. Sie ist selbst pflegende Angehörige und weiß um die Herausforderungen dieser Aufgabe: „Die Pflegenden sind immer am Limit, das ist kein Job der irgendwann aufhört.“

Spahn soll die Pflege reformieren

Dem Aktivisten ist klar, dass Jens Spahn trotz seiner Protestaktion Gesundheitsminister bleiben wird. Was also wünscht er sich vom Minister? „Er soll weniger auf die Außengrenzen und die Innenpolitik schielen, sondern seinen Job als Gesundheitsminister wahrnehmen und endlich die Pflege reformieren.“

Das heißt für Schnittger: menschenwürdige Pflege für Pfleger und Gepflegte. Nötig sei eine verlässliche Lösung, was aus den Menschen wird, wenn sich die Angehörigen nicht mehr kümmern können: „Ich will wissen, dass es ihm gut gehen wird – auch ohne mich.“ Rund eine Million Kinder mit Behinderung gebe es in Deutschland, die meisten würden von ihren Eltern gepflegt.

Das Gesundheitsministerium habe ihm bisher nicht geantwortet: „Ist ja auch nicht besonders höflich, sich einfach selbst einzuladen“, sagt Schnittger lachend. Trotzdem zieht er mit seiner Entourage zum Ministerium, wo eine Kundgebung von Pflegekräften stattfinden wird: „Vielleicht sagen sie ja wenigstens, dass der Kaffee alle ist.“

Julia Kopatzki

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