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Berlin: Zu schön, um wahr zu werden

Am Breitscheidplatz steht ein neues Hochhaus. Doch der Turm ist nicht so licht und leicht wie auf hochglanzpolierten Entwürfen Kein Einzelfall: Auch beim Spree-Dreieck an der Friedrichstraße und beim Alexa am Alexanderplatz enttäuscht die gebaute Realität.

Ein leuchtender Turm ragt in den Berliner Nachthimmel empor. Kristallen sollte jede Wabe des Hochhauses sein, das Mies van der Rohe in den 1930er Jahren für die Friedrichstraße entwarf. Auf dem Bauplatz am Spree-Dreieck steht heute ein Haus aus Stahl und Glas, dessen Architekt sich an Mies’ Plänen orientiert haben will. Es ist ein dunkelbrauner Klotz, den mancher die „schwarze Qualle“ nennt. Enttäuscht wurde auch, wer die hoch aufgelösten Visualisierungen für das „Alexa“ messen wollte an dem schlaffrosafarbenen real existierenden Kaufhaus am Alexanderplatz. Und nun steht auch im Herzen der altehrwürdigen westlichen City ein Turm, der Diskussionsbedarf schafft.

Es ist das 118 Meter hohe Zoo-Fenster von Christoph Mäckler. Vor langer Zeit sind sie entstanden, die Pläne für diesen Turm, in den 90er Jahren. Das mit Sandstein verkleidete Konstruktionswerk aus Stahl und Beton kommt spät. Lange fand sich kein Investor, weil es keinen Nutzer für die 17 000 Quadratmeter Fläche gab. Aber auch als der Vertrag mit Waldorf-Astoria über den Betrieb eines Luxushotels abgeschlossen war, wurde die Eröffnung wiederholt verschoben: von Dezember auf Januar zunächst und nun auf April oder auch Mai. Die Innenausstattung des Fünf- Sterne-Hauses sei aufwendiger als angenommen, heißt es beim Entwickler.

Dagegen ist die äußere Hülle fertig. Auch hier wirft der Vergleich von Entwurf und gebauter Realität Fragen auf: Ob der Bauherr die gläserne Turmspitze verkürzt hat, zugunsten der sandsteinernen Flächen darunter, diskutieren Experten im Deutschen Architektur-Forum. Das ist wohl nicht der Fall, ein Stockwerk hat der Bauherr gestrichen zugunsten höherer Decken, damit die Räume großzügiger wirken. Doch das Unbehagen, von dem die Debatte zeugt, spiegelt auch den Unterschied zwischen baulicher Simulation und Realität am Breitscheidplatz: Heller ist der Sandstein im hochaufgelösten Pixelwerk, transparent, himmelfarben das Glas. Doch nicht dieser leuchtende, filigrane Entwurf steht nun an der Gedächtniskirche, sondern ein Bauwerk, das ein dunklerer Sandstein prägt mit matten, blauen Fensteröffnungen.

„Glas leuchtet nur nachts, tagsüber ist es tiefblau bis schwarz, ein dunkles Loch“, sagt Benedikt Goebel, Stadt- und Architekturhistoriker. Deshalb warnt er auch davor, die leuchtenden Entwürfe für das Thyssen-Krupp-Haus am Schlossplatz, die in dieser Woche vorgestellt wurden, für bare Münze zu nehmen. Die Verwüstung, die leichtfertige Freigaben von Visualisierungen anrichten können, fiel sogar dem Regierenden Bürgermeister auf. Im August jährt sich zum vierten Mal Klaus Wowereits Aufschrei beim Blick von einer Dachterrasse am Alexanderplatz auf das bonbonfarbene Alexa und den lieblosen Kaufhauswürfel „Neue Mitte“: „Ist das hässlich!“ entfuhr es ihm.

Das Zoo-Fenster nennt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ein „hochwertiges, präzise entworfenes Gebäude“, das „im internationalen Vergleich in der oberen Liga mitspielt“. Architekt Christoph Mäckler setze sich von der Architektursprache der Fünfziger ab, die am Breitscheidplatz das Bikini-Haus bestimmt und weiter westlich, an der Joachimstaler Straße, das filigrane Allianzhochhaus von Paul Schwebes. Bauten, denen Lüscher „Understatement“ bescheinigt und ein „feinsinniges Gespür für Details“.

Mäcklers Zoo-Fenster komme mit „robuster Eleganz“ daher. Deshalb, so räumt Lüscher ein, sei das Zoo-Fenster oder auch das Hotel Concorde von Jan Kleihues eigentlich „nicht für die City-West entworfen“. Die Neubauten nähmen die „Maßstäblichkeit des Potsdamer Platzes“ auf. Das passe nicht wirklich in das gründerzeitliche Westberlin mit seinen klar definierten, kleineren Blöcken.

Als „typisches steinernes Berliner Haus“ beschreibt Lüschers Vorgänger Hans Stimmann den neuen Turm am Zoo – und er sei „besser als die meisten Häuser, die zuletzt entstanden sind“. Sicher, auch dieses Haus „tut nur so, als wäre es steinern“. Aber das sei das „architektonische Grundproblem“ unserer Zeit: Dass alle Neubauten aus Stahlbeton gefertigt sind, mit einer Wärmedämmung versehen werden, die dann verkleidet wird: mit Stein, Kunststoff oder Glas. Die Qualität dieser Verkleidung sei daran erkennbar, ob der Stein mit der Zeit stumpf wird, oder an der Ebenmäßigkeit der Fugen und der Präzision der Aufhängung.

Gelungen sei das Zoo-Fenster aber deshalb, so Stimmann weiter, weil es „mit der europäischen Stadt verheiratet wurde“: Der (moderne) Turm wachse aus dem (historischen) Block heraus – und stehe nicht als Solitär da, wie die Hochhäuser der Nachkriegsmoderne, am Ernst-Reuter-Platz zum Beispiel. Für Stimmann ist die Genehmigung dieses Turms auf die „Kompensation“ zurückzuführen, die dem Eigentümer des Vorgängerbaus dafür angeboten wurde, dass er jener „wunderbaren städtebaulichen Reparatur am Breitscheidplatz“ zustimmte: Dem Abriss des Schimmelpfenghauses, das früher die Kantstraße überspannte. Mit dem Turm bekam der Hauseigentümer den Gegenwert der Mietfläche „in der Höhe“ zugestanden, die er zuvor im Block hatte. Die wohltuende Wirkung dieser Operation sei heute gut erkennbar.

Rosarote Einkaufswelt. Auffallen um jeden Preis – das mag eine Überlegung der Bauherren gewesen sein, die der Bonbonfarbe den Vorzug gaben.
Rosarote Einkaufswelt. Auffallen um jeden Preis – das mag eine Überlegung der Bauherren gewesen sein, die der Bonbonfarbe den Vorzug gaben.

© Thilo Rückeis

Tatsächlich: Der Blick auf den Breitscheidplatz ist von der Kantstraße aus nicht mehr versperrt durch den nun abgerissenen Altbau. Und das düstere bahnhofstypische Milieu mit Sexshops und trostlosen Eckkneipen, das das Gebäude auf seiner zugigen Rückseite geschaffen hatte, verschwand gleich mit. Das Beispiel zeigt: Nichts ist in Stein gemeißelt, sogar Baudenkmäler wie das Schimmelpfenghaus fallen unter der Abrissbirne – die Fassaden zeitgenössischer Bauten allemal noch schneller. „Es sind Tapeten, die man auch mal wechseln kann“, sagt Willo Göpel, ein Berliner Projektentwickler. Am äußersten Rand des Breitscheidplatzes, an der Budapester Straße, passiert genau das mit dem Volksbankgebäude. Das Haus wurde in den Achtzigern gebaut. Seine Fassade aus dunkelroten Steinen wird nun ersetzt. Es strahlte einen ähnlichen Charme aus wie das Alexa. So gesehen hat die zeitgenössische Konstruktionstechnik auch ihr Gutes: Ihre Fassaden sind wie Kleider, sie wechseln mit den Moden.

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