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Die Berlinerinnen sind oft genauso nackt wie die Männer unterwegs: Haben Sie keine Selbstachtung?

© dpa

Zu viel Haut im öffentlichen Raum: Nicht jede nach ihrer Fashion!

Mit der Hitze drängt auch die Inszenierung der Leiber in den öffentlichen Raum - und Männer ziehen dann gerne obenrum blank. Gar nicht so schlimm, findet Lutz Haverkamp: Denn die wahren Optik-Terroristen sind doch weiblich, oder?

Von Lutz Haverkamp

Vor einer Woche echauffierte sich meine hoch geschätzte Kollegin Katja Reimann an dieser Stelle über nackte Männeroberkörper, -bäuche und -rücken, die allzu oft in der Öffentlichkeit umhergetragen werden. Sie beendete ihre Ausführungen mit der Aufforderung. „Also bitte, Jungs, zieht euch was an!“ Zu Recht. Aber zu kurz gesprungen. Die Kollegin hat die halbe Menschheit ausgeblendet – die Frauen.

Denn es ist ja so: Der Sommer führt mit seinen idealerweise angenehmen Temperaturen zu der unangenehmen Handlung auch (!) von Frauen, das Falsche, zu wenig oder etwas nicht Passendes anzuziehen. Viel häufiger als im Winter, wenn lange Mäntel oder hippe Outdoorjacken alles Körperliche verdecken. Kurzum: Im sommerlichen Berlin gilt es eine Menge Elend zu ertragen. Optisches Elend.

Es ist eine visuelle Zumutung für Männer wie für Frauen vermutlich auch, was so alles ungestraft in dieser Stadt rumlaufen darf. Komme niemand mit den Totschlagargumenten von persönlicher Freiheit, individueller Mode, alles Geschmackssache, liberale Gesellschaft. Das führt zu nichts. Wir müssen bei dem Thema endlich weiterkommen.

So wie es seit geraumer Zeit einen breiten – wenn auch oft gebrochenen – Konsens der Menschheit darüber gibt, dass Männer mit kurzen Hosen in den eigenen Garten oder an den südländischen Strand gehören (und wirklich nur dahin!) und Sandalen und Socken zwei sich ausschließende Kleidungsstücke sind, so muss auch klar sein, dass es für Frauen ebenfalls Grenzen gibt.

Die Optik-Terroristinnen der Frauengruppe Femen sind das eine Geschmacksextrem. Frauen, die glauben, Cindy aus Marzahn sei Avantgarde und man müsse ihr nacheifern, gar gleichtun, das andere. Dazwischen gibt es allerlei Leggins, Schlabbershirts, Miniröcke und Brutalausschnitte, die schlicht eine Beleidigung des guten Geschmacks sind. Selbst wenn dieser nur rudimentär ausgebildet ist.

Autor Lutz Haverkamp meint: "Nein, Cindy aus Marzahn ist nicht Avantgarde!"
Autor Lutz Haverkamp meint: "Nein, Cindy aus Marzahn ist nicht Avantgarde!"

© Kai-Uwe Heinrich

So sehr der halbnackte Mann mit behaarten Beinen und verwachsenen Zehennägeln in Flipflops kein schön anzusehendes Menschenexemplar ist, so sehr trifft das Urteil auch auf Frauen in Jogginghosen, zu engen und/oder zu kurzen Leggins und tiefe Einblicke gewährenden T-Shirts zu (Liste unvollständig). Und um es klar zu sagen: Unabhängig von Alter, Faltenfreiheit, Körperbau und erotischer Ausstrahlung nerven die ach so politisierten Brüste der in dieser Stadt zuletzt reichlich hyperaktiven Femen-Aktivistinnen ebenso wie die nur viertelverborgenen der Studentinnen in der U-Bahn.

Warum, fragt mann sich da manchmal, sind viele Berlinerinnen so viel weniger stolz als Italienerinnen und Spanierinnen? Dort ist es für die meisten Frauen selbstverständlich, mit einem gewissen Maß an Selbstachtung – sprich einem Mindestmaß an Kleidung im engeren Sinne – auch nur kurze Aufenthalte in der Öffentlichkeit zu absolvieren. Mögen sich die Berlinerinnen nicht? Fehlt ihnen die Selbstachtung? Oder ist es das Nachwirken der 80er Jahre? Diese Dekade hat nun wirklich nichts hervorgebracht, was es wert wäre, bis weit ins dritte Jahrtausend konserviert zu werden. Selbst die Pop-Ikone Nena, über die wirklich viele schlechte Macho-Witze ob ihrer damaligen Erscheinung im Umlauf sind, hat die modischen Ausfälle dieser Zeit weit hinter sich gelassen. Warum hat sie keine Massenbewegung ausgelöst? Warum gelten Feinrippunterhemden für Damen immer noch als vollständige Oberkörperbekleidung?

Eigentlich sind all diese Fragen von allen beantwortet. Es gibt kein Erkenntnisproblem. Wahrscheinlich – und damit sind wir wieder beim Anfang – ist es diese persönliche Freiheit, die individuelle Mode, Geschmackssache, die liberale Gesellschaft, die diese modischen und unmodischen Auswüchse aller Art duldet, erlaubt, toleriert.

Aus dem Frühsommer 1740 stammt der weise, hier leicht abgewandelte Spruch Friedrichs II.: „Jeder soll nach seiner Fashion selig werden.“ Von Friedrich im Feinripp ist nichts überliefert. Was dagegen bekannt ist, ist sein eher reserviertes Verhältnis zu Frauen. Vielleicht lag’s ja auch an der damaligen Mode, den engen Corsagen und den hochgeschnürten Brüsten. Ist aber nur eine Vermutung.

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