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In Berlin fehlen schätzungsweise 3000 Kitaplätze.

© Monika Skolimowska/dpa

Zu wenig Plätze: Keine Bußgelder bei Missachtung der Kitapflicht in Berlin

Bei fehlenden Sprachkenntnissen besteht in Berlin Kitapflicht – doch Eltern lassen ihre Kinder oft zu Hause. Sanktionen der Bezirke gibt es nicht, es fehlen schlicht die Plätze.

300 Stunden Kita. 300 Stunden Deutsch hören – beim Basteln, Singen, Malen. Klingt viel. Ist es auch.

300 – so viele Stunden wären zusammengekommen, wenn die Fünfjährigen, die seit dem 1. Februar zum Kitabesuch gesetzlich verpflichtet sind, dort auch gelandet wären. Sind sie aber nicht. Und niemand muss dafür aufkommen. Das ist das Ergebnis einer Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck.

Er hatte vom Senat wissen wollen, wie viele Bußgeldverfahren gegen Eltern eingeleitet wurden, die ihre Kinder im Vorschulalter trotz fehlender Sprachkenntnisse nicht in eine Kita schickten. Noch im März hatte der Neuköllner Abgeordnete darauf keine Antwort erhalten. Begründung: „Der Senat erfasst die von den Bezirken eingeleiteten Bußgeldverfahren nicht“. Woraufhin Langenbrinck im April erneut fragte und mit dem Bundesverfassungsgericht drohte, das den Abgeordneten weitreichende Auskunftsrechte einräumt. Jetzt kam die Antwort, die dem Tagesspiegel vorliegt, und sie lautet: Null.

Kein einziger Bezirk hat auch nur ein einziges Bußgeldverfahren angestrengt gegen die Familien der über 400 Kinder, die eigentlich seit Februar eine Kita hätten besuchen müssen, weil sie kein Deutsch sprechen. Das bedeutet: Wenn die Kinder im Sommer 2019 zur Schule kommen, werden ihnen insgesamt 1875 Sprachförderstunden verloren gegangen sein, denn sie hätten eineinhalb Jahre lang fünf Stunden pro Tag die Kita besuchen müssen. So hatte es das Abgeordnetenhaus beschlossen, um den Kindern den Schulanfang zu erleichtern.

Keine Kitaplätze - keine Bußgelder

„Ein Staat, der auf die Durchsetzung seiner Regeln verzichtet, verspielt den Respekt und die Glaubwürdigkeit“, geißelt Langenbrinck den Befund. Er warnt: „Eine Gesellschaft scheitert, die es nicht schafft, Sprachvermittlung durchzusetzen“.

So schlecht sprechen 5-Jährige ohne Kitabesuch Deutsch (Anklicken zum Vergrößern).
So schlecht sprechen 5-Jährige ohne Kitabesuch Deutsch (Anklicken zum Vergrößern).

© Tsp/Pieper-Meyer

Wenn man die Bezirke fragt, warum sie keine Bußgelder verhängen, hört man vor allem eine Antwort: Ohne freie Kitaplätze nutzt die Kitapflicht nichts. „Viele Eltern wollen ihr Kind gerne in einer Kita anmelden, wenn der Sprachtest einen Förderbedarf ergibt“, heißt es aus dem Bezirksamt Spandau.

Aufgrund des Platzmangels könne das jedoch nicht umgesetzt werden: Viele Eltern stünden auf mehreren Wartelisten oder sprächen im Jugendamt vor, wo der Bedarf aber nur registriert werden könne. Wenn die Eltern nachwiesen, dass sie keinen Platz finden könnten, gäbe es kein Bußgeld.

Auch Neuköllns Bildungsstadträtin Katrin Korte (SPD) sagt, dass die Eltern drei Nachweise von Kitas bringen müssten, dass sie trotz Bemühungen keinen Kitaplatz fanden. Dann werde auf ein Bußgeldverfahren verzichtet.

Verwaltung wundert sich

In der Senatsverwaltung für Jugend „wundert“ man sich über solche Ausführungen: „Das Bezirksamt ist dafür zuständig, dass die Kinder einen Platz bekommen“, sagte Sprecherin Iris Brennberger. Man müsse die Bezirke fragen, wie sie die Eltern bei der Suche unterstützt hätten. Im Übrigen könnten die Bezirke ja mit den Kita-Eigenbetrieben ein Kontingent an Plätzen für solche Fälle vereinbaren.

Diesen Einwand lassen die Bezirke aber nicht gelten. Die Lage sei schon dadurch kompliziert, dass jeder Eigenbetrieb mehrere Bezirke als Partner habe. Zudem seien nicht alle Kitas der Eigenbetriebe in der Lage, Sprachförderung umzusetzen. Auch sei unklar, wer Priorität habe, wenn etwa Kinderschutzfälle anlägen oder Fälle, in denen Eltern den Rechtsanspruch einklagen wollten, heißt es.

Und die Jugendstadträtin von Mitte, Sandra Obermeyer, bestätigt: „Fehlende Kitaplätze spielen aktuell für jede Zielgruppe eine Rolle.“ Da objektiv Plätze fehlten, gehe es dann „teilweise auch um Prioritätensetzung“.

In Berlin fehlen schätzungsweise 3000 Kitaplätze. Allein Spandau verweist auf eine Warteliste mit 500 Kindern, die einen Anspruch auf einen Kitaplatz hätten, aber nicht fündig werden. Entspannung gibt es erst wieder ab August, wenn die jetzigen Sechsjährigen in die Schule kommen.

Der Mangel an Kitaplätzen führt inzwischen schon dazu, dass sich einige Eltern und Bezirke fragen, wozu der Sprachtest überhaupt noch gemacht wird, wenn der daraus resultierende verpflichtende Kitabesuch kaum noch möglich ist.

Tatsächlich ist es so, dass zuletzt nur 650 Kinder an dem Test teilgenommen haben, obwohl die Adressatengruppe rund viermal größer war. In diesem Zusammenhang haben die Bezirke aber fast 170 Mal Bußgelder verhängt, „um den Familien zumindest klar zu machen, wie es um die Sprachkenntnisse ihrer Kinder bestellt ist“, heißt es aus einem Bezirk.

Etliche Bezirke erinnern daran, dass sie früh auf den großen Erziehermangel hingewiesen hätten. Sie wollen jetzt nicht den Schwarzen Peter kassieren dafür, dass die Kitapflicht verpufft. Langenbrinck sieht das anders: „Die Verantwortungslosigkeit zwischen Senat und Bezirken muss auch an dieser Stelle aufhören.“ Er sieht beide Seiten in der Pflicht.

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