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Berlin: Zug nicht gestoppt - S-Bahner wegen "fahrlässiger Tötung durch Unterlassen" vor Gericht

Die junge Frau in der anfahrenden S-Bahn hatte Robert K. nur einen kurzen Augenblick beobachten können - wie er über den Bahnsteig torkelte, strauchelte und auf der gegenüberliegenden Seite rückwärts ins Gleisbett fiel.

Die junge Frau in der anfahrenden S-Bahn hatte Robert K. nur einen kurzen Augenblick beobachten können - wie er über den Bahnsteig torkelte, strauchelte und auf der gegenüberliegenden Seite rückwärts ins Gleisbett fiel. An der nächsten Station, dem Lehrter Stadtbahnhof, stieg sie sofort aus und alarmierte den Zugabfertiger. Da hatte der Mann auf den Schienen noch vier Minuten zu leben. Der Zugabfertiger bedankte sich, erklärte, das Personal der Nachbarstation sei zuständig - und fertigte den nächsten Zug ab. Dieser überrollte Robert K. um 22.36 Uhr im S-Bahnhof Bellevue. Der 23-Jährige war sofort tot.

Für den Staatsanwalt ist der Fall eindeutig: Der 45-jährige Abfertiger schickte an jenem Abend den todbringenden Zug wider besseres Wissen auf den Weg. Nicht nur nach gesundem Menschenverstand, sondern auch nach der Dienstvorschrift hätte Dieter H. unverzüglich die Gleise sperren lassen müssen. Zeit zum Überlegen war genug. Weil er aber trotzdem untätig geblieben ist, muss sich Dieter H. gemeinsam mit einer 33-jährigen Kollegin am kommenden Donnerstag vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. "Fahrlässige Tötung durch Unterlassen", lautet der Vorwurf der Anklage.

Der 23-jährige Robert K. hatte sich an jenem Sonntagabend ohne Begleitung auf dem Heimweg von einer Party befunden. Gegen 22.29 Uhr wankte er rückwärts mit ausgebreiteten Armen über den Bahnsteig und fiel mit dem Rücken aufs Gleis, wie die junge Zeugin schilderte. Der Berliner hatte auf der Feier zwar Alkohol getrunken, jedoch nicht sehr viel. Allerdings berichteten Verwandte des Opfers, dass Robert K. einmal nach dem Genuss von drei Bier einen Kreislaufzusammenbruch hatte.

Kurz nachdem Dieter H. am 2. Mai 1999 den verhängnisvollen Zug abgefertigt hatte, rief er seine Kollegin Petra M. auf dem Bahnhof Bellevue an, um sie von dem Unbekannten auf den Schienen zu informieren. Großes Engagement entwickelte aber auch die 33-Jährige laut Anklage nicht. Sie reckte sich nach dem Telefonat ein wenig, um aus ihrem Abfertigungshäuschen heraus einen Blick auf die Schienen zu werfen. "Obwohl sie aufgrund ihrer Größe nicht in der Lage war, das Gleisbett sicher einzusehen", sagt Justizsprecherin Michaela Blume.

Zwischen der Stelle, an der der junge Mann auf die Gleise gestürzt war, und der Glaskanzel von Petra M. lagen nur etwa 18 Meter. Bei der bestehenden Gefahrenlage, war die Zugabfertigerin aber laut Staatsanwaltschaft verpflichtet, "genaue Nachforschungen" anzustellen. Der Führer des S-Bahnzuges fuhr derweil nichtsahnend in Richtung Bellevue. Als der Mann im Bahnhof ankam, sah er den auf den Gleisen Liegenden. Die Vollbremsung kam zu spät, Robert K. wurde überrollt.

Dieter H. hätte etwa vier Minuten Zeit gehabt, den Lauf des Unglücks zu stoppen. Am "Lehrter" werden die Züge über Funk abgefertigt, die Aufsicht hätte also die Möglichkeit gehabt, den Triebwagenführer zu warnen. Selbst als der Zug schon auf der Strecke war, hätte ihm die Aufsicht einen "Nothalt" befehlen können.

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