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Im Wechsel bewachen Soldaten der vier Siegermächte das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis mit dem seit 1966 einzigen Häftling Rudolf Heß.

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Zum 30. Todestag: Als Rudolf Heß aus Spandau floh

Vor 30 Jahren starb Rudolf Heß. Drei Jahre zuvor war in Berlin ein Spielfilm mit Laurence Olivier entstanden. Sein Stoff: die Befreiung des Hitler-Stellvertreters.

Für das Filmteam um Regisseur Leo Penn begann der 17. August 1987 auf dem Flugplatz der Royal Air Force in Gatow als ganz normaler Arbeitstag. Der Vater von Sean Penn drehte mit Martin Sheen in der Titelrolle „Ein Richter in Berlin“, basierend auf der Entführung einer LOT-Maschine nach West-Berlin 1978. Die Szene mit Heinz Hoenig und Jutta Speidel als Entführerpaar spielte in einem US-Offiziersclub in Tempelhof, gedreht wurde im Untergeschoss des Airbridge Clubs in Gatow.

An die jähe Unterbrechung des Drehs erinnert sich Stefan Diepenbrock, damals Penns Regieassistent, noch gut: „Plötzlich kamen fünf Soldaten in voller Kampfmontur und mit Sturmgewehren die Treppe heruntergepoltert, darunter die beiden Offiziere, die uns betreut hatten und immer sehr freundlich gewesen waren.“ Das hatte sich mit einem Schlag geändert – nun hieß es: „Raus hier!“ Das Filmteam musste alles stehen und liegen lassen, wurde achtkantig rausgeworfen, hatte die Kaserne umgehend zu verlassen, sogar die Fahrzeuge blieben zurück, erzählt Diepenbrock. Alles Fragen nach dem Grund blieb vergebens, den erfuhren sie erst im Produktionsbüro: Rudolf Heß war tot.

Die Räumung des Flugplatzes von allen zivilen Besuchern war Teil des Alarmplanes, den die Briten für den nun eingetretenen Fall ausgearbeitet hatten. Auch ihr Militärhospital in Westend, in das der Leichnam am Nachmittag gebracht worden war, wurde von Soldaten scharf bewacht, die nur befugtes Personal durchließen. Polizisten hatten die Zufahrtsstraßen für nichtalliierte Fahrzeuge gesperrt, so wollte man rechtsradikale Farbschmierereien und Kundgebungen verhindern.

Ein berechtigte Sorge: Wiederholt hatte es Demonstrationen von Neonazis vor dem Kriegsverbrechergefängnis in der Spandauer Wilhelmstraße 21-24 gegeben. Dort saß der frühere Hitler-Stellvertreter Heß seit 1947 seine lebenslange Haftstraße ab, seit 1966 als einziger Gefangener, im Monatswechsel bewacht von Briten, Amerikanern, Franzosen und Sowjets.

Zu Heß’ Geburtstag am 26. April 1986 hatte es Schlägereien von Rechtsradikalen mit Gegendemonstranten gegeben, am 24. Oktober jenes Jahres war ein von den Wachsoldaten als Aufenthaltsgebäude genutztes Haus auf dem Gefängnisareal durch eine Explosion schwer beschädigt worden, ein „Befreiungskommando Rudolf Heß“ hatte sich dazu bekannt.

Doch auch die West-Alliierten, die Bundesregierung und der Senat hatten sich aus humanitären Gründen wiederholt für die Freilassung des letzten Spandauer Gefangenen eingesetzt, was am Widerstand der Sowjets regelmäßig gescheitert war. Nun war er tot, hatte sich mit einem Stromkabel erhängt, wie die Alliierten wenige Tage später mitteilten.

Das Gefängnis sollte keine Kultstätte für Neonazis werden

Was mit dem Gefängnis geschehen sollte, hatten sie unmittelbar nach Heß’ Tod bekanntgegeben, es war ohnehin seit langem klar: Es wird abgerissen und durch ein britisches Einkaufszentrum ersetzt, so sollte das Entstehen einer Kultstätte der Neonazi-Szene verhindert werden – angesichts der aktuellen rechtsradikalen Aufmarsch-Pläne anlässlich von Heß’ 30. Todestag eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme.

Dabei war die ehemalige Spandauer Festungshaftanstalt für Militärangehörige, zwischen 1878 und 1898 errichtet, ein durchaus imponierender, den Denkmalpflegern als schützenswert erscheinender Backsteinbau – geplant für mehrere hundert Gefangene, als alliiertes Kriegsverbrechergefängnis nur noch belegt mit maximal sieben Häftlingen, darunter auch Hitlers Rüstungsminister und Stadtplaner Albert Speer.

Auf dem Gelände des Gefängnisses sollen noch immer einige von den Häftlingen gepflanzte Bäume stehen, der Bau selbst verschwand innerhalb zweier Monate. Erst entfernten und vernichteten britische Soldaten Möbel und Papiere, trugen Heß’ Zelle ab, um Souvenirjägern, die schon bei Abrissfirmen vorstellig geworden waren, einen Strich durch die Rechnung zu machen, dann folgten deutsche Spezialisten. Man ging auf Nummer Sicher, wie schon beim Abspulen des Alarmplans an Heß’ Todestag, der eine harmloses Filmteam jäh aus seiner Arbeit riss.

Für Stefan Diepenbrock, den Regieassistenten, hatte der Vorfall, der für Leo Penns Filmprojekt letztlich ohne Folgen blieb, zumindest eine gewisse Konsequenz: Kriegsverbrechergefängnis, Rudolf Heß, mit dem Alt-Nazi verknüpfte Befreiungsfantasien – den Stoff kannte er nur zu gut. Drei Jahre vor dem Tod des ehemaligen NS-Größe war er, ebenfalls als Regieassistent, an dem in Berlin gedrehten Thriller „Wildgänse 2“ beteiligt. Sein Stoff: die gewaltsame Befreiung von Heß.

Freilich nicht durch ewiggestrige Nazis, vielmehr durch eine Söldnertruppe im Auftrag eines US-Fernsehmoguls, der scharf ist auf „eine Sensationsschlagzeile, gegen die sich der Watergate-Skandal wie ein harmloses Kavaliersdelikt ausnehmen sollte“ – so warb der Verleih, als die britische Produktion im April 1986 in die deutschen Kinos kam.

In dem 1984 gedrehten Spielfilm „Wildgänse 2“ spielte Laurence Olivier Hitlers ehemaligen Stellvertreter.
In dem 1984 gedrehten Spielfilm „Wildgänse 2“ spielte Laurence Olivier Hitlers ehemaligen Stellvertreter.

©  Tsp

Schon stofflich sollte der Film an den Erfolg von „Die Wildgänse kommen“ von 1978 anknüpfen, in dem Söldner im Auftrag eines britischen Bankiers den gestürzten Präsidenten eines fiktiven afrikanischen Staates befreien. Zu den Darstellern der Truppe hatte neben Roger Moore, Richard Harris und Hardy Krüger auch Richard Burton gehört, der den kommandierenden Ex-Colonel Allan Faulkner spielte und nun auch für „Wildgänse 2“ verpflichtet wurde.

Es sollte sein letztes Filmprojekt werden. Die Dreharbeiten unter dem James-Bond-Regisseur Peter R. Hunt („Im Geheimdienst Ihrer Majestät“) liefen längst, auch Szenen mit einem Double waren bereits im Kasten. Es vertrat Burton, wenn dessen Gesicht nicht zu sehen war. Doch kurz bevor er selbst in Berlin erwartet wurde, traf eine niederschmetternde Nachricht ein: Am 5. August 1984 war Richard Burton an einer Gehirnblutung gestorben.

Eine Katastrophe für das Projekt, erinnert sich Diepenbrock, denn wenngleich die Dreharbeiten weitergingen, nachdem die Versicherung das vorliegende Material gesichtet und ihr Placet erteilt hatte, war doch jeder Schwung dahin, mehr noch, es herrschte geradezu Krieg im Team, über Nacht waren die Dreharbeiten selbst „zu einem Horrorfilm geraten“. Auch eine Danksagung von Burtons Witwe an die „Wild Geese II Unit“ für deren Beileidsbekundungen konnte das nicht ändern.

Heß, gespielt von Laurence Olivier

An der Qualität von Regisseur und Schauspielern kann es nicht gelegen haben. Als Ersatz für Burton wurde Edward Fox gefunden, der 1973 für Fred Zinnemann „Der Schakal“ war und dessen Alex Faulkner nun zum Bruder von Burtons Figur aus „Die Wildgänse kommen“ erklärt wurde.

Die Hauptlast der Befreiungsaktion trug allerdings Scott Glenn als Söldner John Haddad, während Heß selbst von der britischen, auf Bühne wie Leinwand erfolgreichen Schauspieler- und Regielegende Laurence Olivier dargestellt wurde. Der sei nur zwei, drei Tage am Set gewesen, habe auf ihn immer ein wenig abwesend, ja verwirrt gewirkt, erzählt Diepenbrock.

Doch er habe erkannt, dass genau dies Oliviers Methode war, sich in die Rolle des greisen, ebenfalls schon etwas abwesenden Heß hineinzuversetzen. Doch so gebrechlich, fast mitleiderweckend dieser auch dargestellt wird, in einem bleibt er unbeirrbar: Interviews gibt er keine, mehr noch, er will wieder zurück in seine Spandauer Zelle, das einzige Heim, das er kenne. „I don’t deserve to be free“ – Olivier spricht es mit deutschem Akzent, ein Meister seines Fachs selbst in solch einem fragwürdigen Film.

Die Weg in die Freiheit führt also doch wieder nach Spandau, und Heß’ zeitweise Abwesenheit wird offiziell zum Aufenthalt im Krankenhaus erklärt. Vergebens die zwei bis drei Dutzend Leichen, die es auf Seiten der Söldner wie der rivalisierenden Geheimdienste gegeben hat. Letztlich ohne Ergebnis die Kurverei der Heß-Befreier durch West-Berlin, sogar vorbei am Spandauer Kriegsverbrechergefängnis, für das in anderen kurzen Szenen nach Erinnerungen des Maskenbildners Hasso von Hugo Reste des Zellengefängnisses in der Lehrter Straße und die Moabiter Justizbauten herhalten mussten.

Auch das zum bayrischen Hotel umgewidmete Jagdschloss Grunewald, der Grunewaldturm, das Olympiastadion, das Zoo-Aquarium und natürlich die Gedächtniskirche huschen durchs Bild, und das Ensemble des Revuetheaters „La vie en rose“ zeigt sein frivoles Können. Selbst der Tagesspiegel kommt zum Einsatz, hinter dem sich ein Ost-Agent zu verbergen sucht. Er muss später trotzdem dran glauben.

Das Blatt hatte über die Berliner Dreharbeiten berichtet, der Film selbst war ihm keine Zeile wert, als er am 17. April 1986 auch nach Berlin kam. In der Filmbühne Wien, in deren Gebäude heute Apple sitzt, lief er zwei Wochen, im Royal im Europa-Center eine. Als Kino-Stoff interessierte der alte NS-Bonze kaum jemanden. Vielleicht sah es das Publikum ähnlich wie Söldner Alex Faulkner, der als erste Reaktion auf das ausgefallene Jobangebot nur fragte: „Das ist doch ein Witz, oder?“

Neonazi-Aufmarsch geplant

Am Samstag wollen Neonazis in Spandau zum 30. Todestag von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß aufmarschieren. Sicherheitskreise erwarten bis zu tausend Teilnehmer. Die Route soll in den kommenden Tagen bekannt gegeben werden. Gespräche zu einem eventuellen Verbot laufen noch, Ergebnisse werden am Dienstag erwartet.

Mehrere Organisationen haben Proteste gegen den Aufmarsch angekündigt. Das „Spandauer Bündnis gegen Rechts“ hat eine Kundgebung mit 500 Teilnehmern angemeldet. Die „Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ ruft zur Demo auf. Sie soll um 11 Uhr vom Bahnhof Spandau in die Spandauer Wilhelmstadt ziehen. hel

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