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Berlin: Zum Piepen: Die Laube ist wieder in

Statt ins Umland zieht es immer mehr junge Familien mit Kindern in Berlins Kleingarten-Kolonien. Die Schreber freut der Generationswechsel

Ein Biotop erlebt seine Renaissance: der Berliner Kleingarten. Nicht mehr nur ins Brandenburger Umland geht der Trend, sondern mehr und mehr junge Familien entdecken für sich das innerstädtische, wohnungsnahe Grün zu bezahlbaren Preisen. Während die Eltern säen und ernten, grillen und ausspannen, können ihre Kinder frei herumtollen und in Banden durch die Kolonie ziehen – ein generationsübergreifendes Freizeitvergnügen.

Zwar hält sich das Klischee vom Spießer-Idyll noch hartnäckig: in Reih’ und Glied gepflanzte Bäume, Beete, wie auf Millimeterpapier gesetzt, der Rasen gestutzt, die Hecke getrimmt, paradierende Gartenzwerge und in der Mitte der Chef vom Ganzen, Papa Schreber im Unterhemd. Doch in manchen Berliner Kleingarten-Anlagen stellen junge Familien heute schon ein Drittel der Pächter. So wie in der Kolonie Württemberg nahe Olivaer Platz. „Wir haben die Laube hier seit drei Jahren“, erzählt Gartenfreundin Dorothee, „damals war unser Sohn geboren, wir wollten aber nicht ims Umland ziehen.“ Inzwischen ist das zweite Kind da, und Dorothee hat ihre Nachbarn kennen gelernt: „Auch die anderen jungen Familien sind fast alle neu in der Kolonie: haben sich einen Garten gepachtet, als Kinder da waren.“ So hat sich auch die Sozialstruktur der Pächter verschoben: In der Kolonie Württemberg erholen sich Ärzte, Architekten, Anwälte – und längst nicht nur die kleinen Angestellten des Klischees.

Der Landesverband der Gartenfreunde unterstützt den Generationenwechsel. „Wenn ein Garten frei wird, haben wir auch in ungünstigen Lagen noch 10 bis 15 Bewerber. Und Familien mit Kindern haben immer Vorrang – und je mehr Kinder, desto besser“, sagt Verbandspräsident Jürgen Hurt. Und liegt der Altersdurchschnitt der Berliner Kleingartenpächter bei 55 Jahren – so handelt es sich bei durchschnittlichen Neubewerbern um Familien, in denen der Mann Anfang 40, die Frau Ende 30, ein älteres Kind 10 bis 11 und ein jüngeres 3 bis 4 Jahre alt ist. Unter den Lesern einer Kleingärtner-Fachzeitschrift stellen junge Familien heute schon das zweitgrößte Segment. Wobei sich die Jungen nicht über alle Kolonien gleichmäßig verteilen: Hanna, Anfang 30, deren 3-jähriger Nackedei mit zwei Nachbarskindern über den Rasen ihres Gartens tobt, nennt die zwei entscheidenden Gründe für ihre Wahl der Kolonie Spreewald in Schöneberg: „Sie liegt nahe unserer Wohnung – und hier gab es schon andere Familien mit kleinen Kindern.“

Und wenn es nicht die eigenen Kinder sind, „dann sind es die Enkel – in irgendeiner Form sind Kleingärten immer mit Kindern verbunden“, sagt Verbandschef Hurt. Was in seiner eigenen Kolonie Oeynhausen in Wilmersdorf dazu führt, dass auf 437 Parzellen 200 Kinder kommen – eine Lobby, vor der auch altgediente Schreber-Funktionäre mitunter kapitulieren müssen. Hurst grinst: „Der Vorstand wollte eigentlich kein Geld für ein neues Klettergerüst ausgeben. Bis die Kinder zur Sitzung kamen und so lange dafür gebrüllt haben, bis der Vorstand entnervt nachgab.“

Doch gerade einige innerstädtische, für junge Familien besonders attraktive Kolonien sind nun bedroht: Für 16 von ihnen soll der Bestandsschutz 2004 auslaufen; weitere 23 sind nur bis 2010 gesichert. Der Senat möchte die landeseigenen Grundstücke an Bau- oder Gewerbe-Investoren verkaufen. Am Mittwoch protestierten die Grünen gegen die Pläne, die Bezirke wollen die Grünflächen ebenfalls bewahren. Auch die Kolonie Württemberg ist gefährdet. Dorothee: „Dann überlegen sich sicher einige von uns, doch ins Umland zu ziehen.“

Holger Wild

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