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Heidi Hetzer mit ihrem Oldtimer "Hudson Super 8", Baujahr 1930, mit dem sie von 2014 an die Welt umrundete.

© Thilo Rückeis

Heidi Hetzer ist tot: Die Rallye ihres Lebens

Sie war ein Mädchen aus dem Volk, mit Herz und großer Klappe. Größer waren nur ihre Ziele. Wie sonst wird man als Berliner Autohändlerin populär? Ein Nachruf.

Es gibt diese Leben, die auch für drei reichen würden, und es gibt diese Menschen, die sie leben. Wie machen die das? Wir blicken auf sie, ein wenig bewundernd, ein wenig neidisch, ein wenig skeptisch. Wir suchen nach irgendwas Negativem, finden nichts. Heidi Hetzer war so ein Mensch: Wie um Gottes Willen kann man ausgerechnet als Autohändlerin populär werden? In Berlin?

Sie hat es geschafft, hat die absurdesten Träume gegen alle Widerstände durchgesetzt, sie konnte mit Menschen wie kaum jemand sonst, speziell den Berliner Menschen, fand aber auch im tropischen Regenwald oder am Baikalsee immer jemanden, der ihr eine notdürftige Zylinderkopfdichtung bastelte – eine große Abenteurerin in alten, sehr alten Autos. Wohl niemand hätte gedacht, dass sie schon jetzt, leise, ausgerechnet im heimischen Berliner Bett sterben würde, wie es nun über Ostern geschehen ist. 81 Jahre alt? Wenn man es nach Plänen misst, so schien es, hatte sie ihr halbes Leben doch erst noch vor sich.

Immer war sie unterwegs mit jenem herben Zungenschlag, der den eingeborenen Berliner kenntlich macht, und der nachträglich nicht mehr erworben werden kann. „Immer volle Pulle, und dann ’n Millimeter zurück“, das war einer ihrer Markenzeichen-Sätze, die sie in die Welt twitterte, als es noch nicht einmal Handys gab, denn sie verbreiteten sich auch so von Ohr zu Ohr in der engen West-Berliner Welt, in der sie zur 1-A-Prominenz gehörte.

Wer es schaffte, sie auf seine Party zu holen und dazu Udo Walz und Rolf Eden und womöglich Harald Juhnke, der hatte gewonnen, der war ein Großer unter diesen seltsamen Vögeln, die anscheinend nur deshalb so große Wellen machten, weil die Mauer sie zurückwarf wie eine schroffe Steilküste. Gala oder Rennbahn, Sektempfang oder Firmenjubiläum – wenn der Richtige einlud, und das in netter Form, dann war sie dabei. Meist in der ersten Reihe, aber weniger aus Geltungsdrang als aus dem höflichen Gefühl heraus, dass der Gastgeber eine gewisse Performance von ihr einfach erwarte.

Denn Heidi Hetzer war eben doch anders als fast alle, die sie anhimmelten, und denen sie, ja, auch manchmal ziemlich auf die Nerven ging mit ihrem ewigen Aktionismus und den Sätzen ohne Punkt und Komma. Heidi, halt doch mal die Luft an! Aber Heidi war eben immer sie selbst, keinem prominenten Gemahl als Unterarmschmuck zugeordnet, stets mit selbstverdientem Geld unterwegs, eine versessene Schrauberin, die sich passend machte, was nicht passend war, weltberühmt nicht nur in Berlin.

Als Glamour-Darstellerin war sie zu wurstig, als Idol zu selbstironisch und bodenständig, und vermutlich war es wirklich so, dass sie lieber ein Bier mit einem ölverschmierten Werkstattmeister trank als ein Glas Champagner mit Prominentenwirt Adnan – oder wer eben grad den Zeremonienmeister gab für West-Berliner Emporkömmlinge, denen die Immobilienkohle aus den Sakkotaschen raus hing.

Ein großes Vorbild hatte sie bei allem Selbstbewusstsein dennoch, es war Clärenore Stinnes, die Tochter des Wirtschaftsmagnaten Hugo Stinnes, die 1927 bis 1929 mit einem Adler Standard 6 und drei Männern um die Welt fuhr; den einzigen, der bis zum Schluss durchhielt, heiratete sie anschließend. Auch Heidi Hetzer schaffte ihre Reise auf den Spuren von Clärenore 2014 bis 2017 bis zum Schluss, aber mit ihr konnte kein Mann Schritt halten. Den einen warf sie raus, weil er ihr die Chefrolle streitig machen wollte, der andere ging selbst, weil ihr rustikaler Fahrstil ihn nachhaltig erschüttert hatte, der dritte, ach.

Heidi Hetzer wirkte immer ein wenig wie Clärenores Comedynachfolgerin, keine höhere Tochter mit Flausen im Kopf, sondern ein Mädchen aus dem Volk mit Herz und großer Klappe und noch größeren Zielen. Aber ein bisschen Unsicherheit blieb doch immer, ob sie einen nicht auf den Arm nahm wie bei der Begründung, weshalb sie fünf Männer brauche: „Einer zum Ausgehen, einer zum Wandern, einer zum Rallyefahren, einer für Modenschauen, einer fürs Bett“ – so hat es eine Boulevardzeitung mal kolportiert. Sagen wir: Sie nahm sich, was sie brauchte, und machte nicht allzu viel Aufhebens davon.

Wenn die Voraussetzungen stimmten, ging Emanzipation damals ja auch ohne viel Getue, selbst im patriarchalisch durchorganisierten West-Berlin. Der Vater großer Opel-Händler, gut, es hätte auch Benz oder so was sein können, aber das Leben wirft einen nun mal irgendwo hin, und da muss man dann machen. 1919 war das Unternehmen gegründet worden, wurde ab 1933 als Opel-Autohaus geführt. Heidi fing 1954 eine Mechanikerlehre an, vermutlich damals als einzige Frau in ganz Berlin, Automechanikerin, wer macht denn so was? Mit 21 pumpte sie sich Geld von Kollegen, gründete eine Autovermietung, und der Vater hängte draußen ein Schild an: „Ich komme nicht für die Schulden meiner Tochter auf!“ Die Sache ging schief, sie arbeitete diese Schulden in einer Zigarettenfabrik ab, wurde schließlich Sekretärin ihres Vaters.

1969, 31 Jahre alt, übernahm sie nach dem Tod des Vaters und der älteren Schwester die Firma, und dazu vier Millionen Mark Schulden aus dem Kauf des Firmengrundstücks. Da war sie plötzlich Unternehmerin. Ihr persönlicher handgestrickter Stil verfing bei den Leuten, sie ließ oben über der Stadtautobahn am Kaiserdamm immer das neueste Opel-Modell anschrauben und mit den Scheinwerfern blinken, abgerundet von sich selbst als Logo, Heidi mit stilisierter Cabrio-Kappe im Zwanziger-Jahre-Stil von Clärenore.

Doch da war von Anfang an auch die tägliche Angst vor der Pleite. Das Geschäft stagnierte, balancierte oft am Abgrund. Nach der Wende schoss ein kurzlebiger Boom die Zahlen nach oben, das Unternehmen vergrößerte sich in Steglitz und Mitte. Doch dann brach alles wieder ein, die Gebrauchtwagenhalden wuchsen.

Tiefpunkt um 2005: Ein Grundstück, das Hetzer seit 25 Jahren gepachtet hatte, sollte verkauft werden, die einzige Einfahrt zum Autohaus führte drüber weg, fast alle ihre Wagen parkten dort. Sie wollte kaufen, doch ein anderer Käufer setzte sich durch. Anruf, Panik. Sie rannte weg, ernsthaft, „ich wollte mich vom Balkon stürzen“, die Verantwortung für 130 Mitarbeiter drückte zu schwer.

Ein Mitarbeiter sah es, alarmierte ihre Tochter, die rechtzeitig eingriff. Am Ende setzte sie sich durch, konnte das Grundstück kaufen, viel zu teuer. Denn die Zeiten wurden noch härter, speziell für Opel, und weil weder Sohn noch Tochter weitermachen wollten, verkaufte Hetzer 2012 den ganzen Laden und begann den letzten, abenteuerlichsten Teil ihres Lebens. Ganz klar: „Ich habe mit meinen Kindern vereinbart, dass ich ihr Erbe verballern darf.“

Rallyes waren ihr eigentlicher Lebensinhalt. Auf gesicherten Bahnen im Kreis herumfahren, das hat ihr nie imponiert. Statt dessen wollte sie unbekannte Strecken fahren, mal gepflegt nach Regeln cruisen, mal Auto, Beifahrer und sich selbst an die Grenzen treiben auf Schotterpisten, die ihre Tücken erst beim Drüberwegfliegen offenbaren, die keinen Fahrfehler verzeihen. Anfangs machte sie das auch auf zwei Rädern im eng regionalen Rahmen: 1953, so berichtete sie selbst einmal, habe sie auf einer Lambretta an einer Rallye durch die Müggelberge teilgenommen, sei aber disqualifiziert worden, weil irgendjemand geholfen hatte.

Dann aber folgten die ganz großen Namen aus der goldenen Ära des Automobils: Mille Miglia, Rallye Monte Carlo, Rallye Paris-Berlin. Die Panama-Alaska-Rallye absolvierte sie mit einem Opel Kadett B von 1969; wer je einen gefahren hat, wird das Ausmaß ihrer Leistung würdigen können. Manchmal fuhr sie auch Oldtimer, 2000 Kilometer durch Deutschland mit einem Hispano-Suiza, Düsseldorf-Shanghai 2007 mit einem 1964er Opel Rekord Coupé. Und dabei ging es nie ums Posieren, sondern meist richtig zur Sache wie bei der Carrera Panamericana oder der Tour d’Europe, wo sie zweimal den dritten Platz belegte. Nur für die härteste aller Rallyes, Paris-Dakar, hat es nie gereicht. 2008, als Heidi Hetzer sich angemeldet und vorbereitet hatte, wurde alles abgesagt.

2012, nach dem Verkauf der Firma, konzentrierte sich Heidi Hetzer ganz auf das Clärenore-Projekt, vom Funkturm die Avus runter, und dann einmal um die weite Welt. Sie beschaffte sich einen Hudson von 1930, älter als sie selbst, und ließ PR-Profis laut aufs Blech hauen. Davon sollte die Welt wissen! 2014 fuhr sie los, büßte alsbald den ersten Beifahrer ein, und das Auto machte alle Zicken, die ein Oldtimer eben so macht, brauchte einen neuen Motor, alle möglichen anderen Teile. Dennoch, also bitte: Über Osteuropa nach Teheran, dann über China Richtung Australien. Im April 2015 kam sie in Neuseeland an, setzte auf den amerikanischen Kontinent über, fuhr durch Kanada und die USA nach Südamerika und erreichte nach einer erneuten Schiffspassage 2016 Südafrika. Von dort durchquerte sie Afrika in Richtung Europa und beendete ihr größtes Abenteuer am 12. März 2017, wieder in Berlin.

Das liest sich im Rückblick hübsch glatt, lief aber im Detail ganz anders, voller Pannen und Katastrophen, die vermutlich die meisten 30-jährigen zum Abbruch gezwungen hätten. In Kanada geriet ihre rechte Hand beim Schrauben in den Motor, mehrere Finger wurden verletzt, der kleine musste amputiert werden. Ende 2015 ließ sie den Wagen in Lima zurück und kehrte per Flieger nach Deutschland zurück, um sich ein Krebsgeschwür entfernen zu lassen. Eine zweite Operation folgte, aber neun Tage später saß sie in Lima wieder am Steuer und fuhr weiter in Richtung Süden. Die Behandlung hatte in Essen stattgefunden, nicht in Berlin. Denn, so schrieb sie in ihrem Weblog: „Den Rummel hätte ich nicht ertragen und wäre dann vielleicht auch nicht wieder aufgebrochen.“

Das war im Februar, sie freute sich über die Wärme in Lima und den klapprigen Hudson, den sie ihre „beste Medizin“ nannte. Zurück in Berlin verließ sie einmal ihr Gespür für die Ideallinie, sie erzählte im Morgenmagazin von „klauenden Schwarzen“, die in Kapstadt das Auto geknackt und ausgeräumt hatten – das erste und wohl letzte Mal, dass Heidi Hetzer öffentlich kritisiert wurde. Sie entschuldigte sich, die Sache war erledigt. Ihr Ruf als sozial engagierte Wohltäterin wurde durch diesen Ausrutscher nicht ernsthaft beschädigt.

Ruhestand? Lieber ein anderes neues Auto. Sie kaufte sich fern jeder Markenloyalität einen ziemlich angestoßenen Toyota, Baujahr 1988 mit einem Motor garantiert ohne anfällige Elektronik, und mit pinkfarbener Folie beklebt. Warum pink? „Pink ist die hässlichste Farbe für Männer, damit sie ihn mir nicht klauen.“ Und sie legte wieder los, Richtung Afrika. Am 1. April dieses Jahres wurde sie überfallen und ausgeraubt, wieder in Kapstadt. Am 16. kehrte sie nach Berlin zurück, voll mit Plänen für die Fortsetzung der Afrikareise von November bis Mai 2020. Dann war plötzlich alles vorbei.

Die Todesursache ist nicht bekannt, ihre Kinder Marla und Dylan sagen dazu nur: „Die Umstände ihres Todes sind auch lange nicht so wichtig wie die ihres Lebens.“ Möglicherweise ist es bei so besonderen Menschen eben doch so, dass die Kraft sie schlagartig verlässt wie bei einem Auto, das auch ziemlich ruckartig stehenbleibt, wenn der Sprit alle ist. Auf Heidi Hetzers Webseite steht nun ganz oben, angelehnt, an einen Aphorismus von Goethe: : „Ich lebe nicht mehr, aber ich habe gelebt.“

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