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Wer für Kinderehen zuständig ist, ist von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich.

© Friso Gentsch/dpa

Zuständigkeiten in den Bezirken unklar: Minderjährige kaum vor Kinderehen geschützt

In den Bezirken sind beim Thema Kinderehe jeweils unterschiedliche Behörden zuständig – die Lage ist unübersichtlich. Minderjährige sind so kaum geschützt.

Von Ronja Ringelstein

In einigen Berliner Bezirken herrscht völlige Unklarheit darüber, wer dort zuständig für die Behandlung von Ehen mit Minderjährigen ist. Dies ergab eine Anfrage des Tagesspiegels.

Am Mittwoch war durch eine vom Menschenrechtsverein Terre des Femmes durchgeführte Umfrage klar geworden, dass Berlin das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen, das im Juli 2017 in Kraft getreten ist, unzureichend umsetzt. Es gibt, wie berichtet, keine gesamtstädtischen Zahlen, wie viele Kinderehen bestehen oder bestanden.  Das Bundesgesetz setzt das Mindestalter für eine Eheschließung in Deutschland ohne Ausnahme auf 18 Jahre fest. Bereits geschlossene Ehen mit Minderjährigen sind aufhebbar oder nichtig im Falle einer Heirat unter 16 Jahren.

Zuständig für die Anträge auf Aufhebung einer Ehe sind die Bezirke – hier je entweder das Rechtsamt oder das Standesamt. Auf Anfrage beim Bezirk Steglitz-Zehlendorf teilte die Pressestelle mit, es sei „nicht zu klären“ gewesen, wer zuständig sei, ob Rechts- oder Standesamt. Auch im Bezirk Pankow herrschte bezüglich der Anfrage Ratlosigkeit, weder das Rechts- noch das Standesamt seien für die Aufhebung von Ehen zuständig, das könne nur ein Familiengericht. Dass der Antrag auf Aufhebung der Kinderehe von einer zuständigen Behörde gestellt werden müsse, war dort nicht bekannt.

Das Bezirksamt Reinickendorf teilt mit, das „Standesamt ist zuständig in Zusammenarbeit mit dem Rechtsamt“, in Mitte werde eine Stellungnahme vom Standesamt gefertigt, dann sei das Rechtsamt zuständig. In Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg sind die Standesämter zuständig. Fälle von Kinderehen sind diesen Bezirken nicht bekannt.

Keine Statistik über Kinderehen

Falko Liecke (CDU), Jugendstadtrat in Neukölln, kann nicht glauben, dass es in den genannten Bezirken tatsächlich keine Fälle von Kinderehen gebe. In Neukölln ist für die Antragstellung zur Eheaufhebung das Rechtsamt zuständig, für die Feststellung der Nichtigkeit der Ehe wiederum das Standesamt. Dazu, wie viele Kinderehen bestehen, werde keine Statistik geführt, geschätzt liege die Zahl im unteren zweistelligen Bereich, teilte Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) mit. Bisher wurde seit 2017 ein Antrag auf Aufhebung der Ehe gestellt, in fast allen Fällen seien die Ehen kraft Gesetzes nichtig gewesen.

Allerdings besteht für die – überwiegend weiblichen – Minderjährigen auch wenn die Ehe nichtig sein sollte, ein erhebliches Schutzbedürfnis. Terre des Femmes hatte beklagt, dass die Jugendämter in diesen Fällen nicht immer eingeschaltet würden. Falko Liecke, in Neukölln fürs Jugendamt zuständig, will den Informationsfluss zwischen den Standesämtern und den Jugendämtern jetzt überprüfen. „In diesen Fällen müssen unsere Kinderschutzteams eingeschaltet werden“, sagt Liecke. Er sieht auch ein erhebliches Problem im „Graubereich“ der Ehen, die nach islamischen Recht geschlossen würden. Diese sind nicht rechtskräftig, für die Minderjährigen dennoch Realität.

Hier, ebenso wie bei Zwangsehen, die häufig in den Sommerferien im Ausland geschlossen werden, sei die Prävention das Wichtigste, sagt Maren Jasper-Winter, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Sie hatte den Senat gefragt, wie viele Strafverfahren es im Zusammenhang mit Zwangsverheiratungen gab. Ergebnis: 115 Verfahren seit 2012, in 2019 waren es 13. Auch hier ist die Dunkelziffer wohl viel höher. „Vieles haben wir nur auf dem Papier, in der Praxis wird noch zu wenig getan “, sagt Jasper-Winter.

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