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Berlin: Zwangsarbeiter-Entschädigung: "Jeder Tag des Wartens ist ein Tag zuviel"

"Die Auszahlung an die ehemaligen Zwangsarbeiter muss sofort beginnen." Die Berliner Publizistin Carola Stern verlangt von der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft, Gelder von Spendern freizugeben, "die keine Rechtssicherheit brauchen.

"Die Auszahlung an die ehemaligen Zwangsarbeiter muss sofort beginnen." Die Berliner Publizistin Carola Stern verlangt von der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft, Gelder von Spendern freizugeben, "die keine Rechtssicherheit brauchen." Rund 3,5 Millionen Mark der mittlerweile zur Verfügung stehenden 5 Milliarden Mark hat die Stiftungsinitiative Carola Stern, dem Pädagogen Hartmut von Hentig und dem Schriftsteller Günter Grass zu verdanken. Im Juli 2000 hatten sie Mitbürger dazu aufgerufen, je 20 Mark auf das Konto der Stiftungsinitiative zu überweisen. Jetzt sitze das Geld fest, sagt Carola Stern.

Nach dem Stiftungsgesetz können die Milliarden erst dann an die ehemaligen Zwangsarbeiter ausgezahlt werden, wenn Rechtssicherheit vor Klagen gegen einzelne Unternehmen besteht. Am vergangenen Mittwoch hat die amerikanische Bundesrichterin Shirley Kram erneut eine Klage gegen deutsche und österreichische Banken nicht abgelehnt, weitere Verfahren drohen. Es sei fraglich, ob überhaupt noch in diesem Jahr gezahlt werde, sagte der rechtspolitische Grünen-Sprecher Volker Beck.

Zuletzt hatten von Hentig, Stern und Grass die Stiftungsinitiative aufgefordert, wenigstens die von Privatleuten gespendeten Millionen an besonders Alte und Bedürftige auszuzahlen, die die Geste aus Deutschland ansonsten nicht mehr erleben würden. Die laut Carola Stern "unglaubliche" Antwort der Stiftung: Es sei lediglich möglich, die Spender dazu aufzurufen, ihr Geld zurückzufordern. Die Beträge könnten auf ein anderes Konto übertragen werden. Die Verteilung müsste dann privat organisiert werden. "Aber wir drei können doch nicht über drei Millionen Mark verteilen", sagt die 76-jährige Carola Stern. Sie fordert vom Bundestag, das Stiftungsgesetz hinsichtlich der Rechtssicherheit zu ändern.

Andere Initiativen, die zu Spenden für die Zwangsarbeiter aufgerufen und auf eigenen Konten Geld gesammelt haben, zahlen schon seit dem Sommer 2000 aus. Marina Schubarth ist seit August vorigen Jahres drei Mal für den Osteuropa-Verein Kontakte e.V. in der Ukraine gewesen. Rund 35 000 Mark hat sie dort an über 200 ehemalige Zwangsarbeiter verteilt - darunter auch 13 000, die Tagesspiegel-Leser gespendet haben. "Die Leute können nicht mehr, jeder Tag des Wartens ist ein Tag zu viel", sagt Schubarth.

Was "drei alte Frauen" mit ein bisschen praktischer Arbeit und einer Reise nach Warschau bewirken können, haben Agnes von Walther, Ellen Waldmüller und Liselotte Sokoll in den letzten Monaten erlebt. Die 71-jährige ehemalige Gemeindeangestellte von Walther und die 75-jährige pensionierte Diakonieschwester Ellen Waldmüller trafen in der Johannesgemeinde in Lichterfelde einen alten Herren aus Warschau, der 1943 ins Lager in der Wismarer Straße verschleppt worden war, um Straßen vom Schutt freizuräumen und in der Industrie zu arbeiten. "Er wirkte so schwach und so krank", erinnert sich Ellen Waldmüller.

Wenige Tage später taten sich die Freundinnen mit einer Bielefelder Kollegin zusammen, um Geld zu sammeln. Innerhalb von drei Wochen waren es 13 000 Mark. Übergeben haben die drei Damen das Geld persönlich: An den Warschauer Klub ehemaliger Sachsenhausen-Häftlinge, dem auch ihr Schützling angehört. Ein Ausschuss verteilte das Geld an 19 kranke und besonders notleidende Menschen. "Euer Besuch hat dazu beigetragen, dass die große Empörung über die sogenannte Entschädigung bedeutend gelöscht wurde", schrieb der Vorsitzende Klubs jetzt nach Berlin. Inzwischen haben die alten Damen noch einmal 10 000 Mark gesammelt.

Eine weitere kleine Initiative hält ihre Spendengelder noch zurück: Ein Lehrer der Waldorfschule im Märkischen Viertel, Michael Benner und seine jugendlichen Mitstreiter, wollen die Stiftungsinitiative unter Druck setzen. "Wir bringen Ihnen Geld von Privatleuten, die keine Rechtssicherheit brauchen", bot die Schüler-Aktion "missing link" Stiftungs-Sprecher Gibowski bei einem Gespräch vor sechs Wochen an: 6000 Mark, die Schüler von ihrem Taschengeld gespendet hatten. Ein "zinsloses Darlehn" wollte die Gruppe der Stiftungsinitiative geben, damit die 5 Milliarden Mark schneller zusammenkommen sollten. Jetzt ist das Geld beisammen, aber ausgezahlt wird trotzdem nicht. In der kommenden Woche wollen Benner und seine Schüler Gibowski das Darlehn und eine Spende der Schülerfirma Steinbrücke - ein Tausendstel des Jahresumsatzes des kleinen Steinhandels für Sammler und Esoteriker - übergeben. Wieder verbunden mit der Forderung, ab sofort auszuzahlen, sagt Benner. Das Darlehn werde "missing link" nach Entschädigung aller berechtigten Zwangsarbeiter zurückfordern und es über eine private Stiftung nichtentschädigten Naziopfern zukommen lassen.

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