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Berlin: „Zwei Juden, drei Meinungen“

Die April-Sitzung der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde endet im Eklat. Ein Repräsentant beschuldigt ein Vorstandsmitglied, bei der Ausschreibung der Hausverwaltung von Gemeindeimmobilien eigene Interessen zu verfolgen.

Die April-Sitzung der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde endet im Eklat. Ein Repräsentant beschuldigt ein Vorstandsmitglied, bei der Ausschreibung der Hausverwaltung von Gemeindeimmobilien eigene Interessen zu verfolgen. Vom Beschuldigten wird er daraufhin als „Penner“ beschimpft. Nach tumultartigen Minuten wird die Versammlung abgebrochen. Bietet diese Szene ein realistisches Bild vom Zustand der Jüdischen Gemeinde? Der Vorsitzende Alexander Brenner, der vor einem Jahr antrat, um „die Gräben zuzuschütten“, spielt den Vorfall herunter: „Zwei Juden, drei Meinungen.“

Niemand hatte Anfang Mai 2001 von dem heute 72-jährigen Chemiker und ehemaligen Diplomaten in deutschen Diensten Wunder erwartet. Brenner war ein Kompromisskandidat, nachdem sich die gewählten Repräsentanten vom bisherigen Vorsitzenden, dem liberalen Rabbiner Andreas Nachama, abgewandt hatten. Ausschlaggebend für die Wahl des als orthodox geltenden und fließend Russisch sprechenden Brenner waren die Stimmen der russischstämmigen Repräsentanten.

Den Auftrag seiner Klientel – zwei Drittel der 12000 Mitglieder stammen aus der ehemaligen Sowjetunion – nimmt Brenner ernst. Er setzte durch, dass der Integrationsbeauftrage der Gemeinde einen eigenen Etat bekam. Jetzt starten ein ABM-Projekt und zusätzliche Deutschkurse. Trotzdem blieben die Bemühungen um die soziale Integration der „Russen“ nur „Kosmetik“, sagt ein Gemeindemitarbeiter. Alteingesessenen Mitgliedern, die die Geduld mit den dürftigen Deutschkenntnissen älterer Zuwanderer verlieren, hält Alexander Brenner entgegen: „Die meisten von euch sind auch irgendwann eingewandert.“

Auch die Integration in das Judentum – ein weiteres Anliegen des Vorsitzenden – zeitigt bislang offenbar keine messbaren Erfolge. Brenner wollte vor allem die religiöse Bildung der Jugend fördern. Auf Nachfrage reagiert der Vorsitzende ausweichend, verweist auf Studien-Zirkel bei den Jugendorganisationen und um die Rabbiner. Eine sichtbare religiöse Bewegung aber gibt es ausgerechnet in liberalen Kreisen. Der „egalitäre“ Gottesdienst in der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße, an dem Männer und Frauen gleichberechtigt teilnehmen und wo auch Gast-Rabbinerinnen amtieren, hat immer größeren Zulauf. „Aber das“, sagt eine Initiatorin, „ist ein rotes Tuch für Brenner.“

In der Repräsentantenversammlung verliert Brenner an Rückhalt. Er sei zwar „ein grundehrlicher und prinzipientreuer Mensch“, aber von seinem schwierigen Amt gesundheitlich überfordert, sagt einer, der Brenner mitgewählt hat. Außerdem wird dem Vorsitzenden eine verfehlte Öffentlichkeitsarbeit vorgeworfen. Er äußere sich oft stark überzogen: Als Daniel Barenboim die Staatskapelle Berlin in Israel Wagner spielen ließ, befand Brenner das als „ekelhaft“. Zur Kritik an seiner Amtsführung sagt er: „Ich bin nicht der Jüngste und mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Aber es bleibt eine spannende Tätigkeit.“ Amory Burchard

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