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Gesellschaft: Biegen Auf und Bechern

Im Barrique, dem kleinen Eichenfass, reifen besondere Weine – und gutes Holz dafür kommt aus der Pfalz. Ein Besuch bei den letzten Spezialisten.

Ein Kerl wie eine Pfälzer Eiche: kräftig, urwüchsig, durch nichts umzuwerfen. Und dann auch noch ein Unikat: Christian Müller-Schick ist der letzte Daubenhauer Deutschlands. Mit blauen Ohrenschützern, roter Basecap und grüner Latzhose geht der gelernte Schreiner in Mölschbach bei Kaiserslautern einem Beruf nach, den es eigentlich nicht mehr gibt. Der 38-Jährige verwandelt dicke Eichenstämme in handliche Dauben: Das sind Hölzer mit sechs Zentimetern Stärke, die er an die Küfer – die Fassmacher – liefert.

Es ist ein archaisches, ohrenbetäubendes Handwerk, das Müller-Schick vom Vater gelernt und so vor dem Aussterben bewahrt hat. Sein wichtigstes Instrument: der Spalter, eine Art Stemmeisen im Elefantenformat. Der Daubenhauer greift nach ihm wie der Zahnarzt nach dem Bohrer. Er richtet ihn präzise aus, drückt auf den Knopf, dann geht das Eisen mit infernaler Wucht auf den senkrecht stehenden Eichenstamm los. Es knirscht und ächzt, bevor das Holz der Länge nach entzweibricht. Müller-Schick lächelt. Er wird mit jedem Baum fertig.

Ohne Spaltung geht nichts. Eichenstämme, die für Weinfässer verwendet werden, kann man nicht einfach zusägen, man muss sie spalten und dabei den Faserverlauf berücksichtigen. Wein sei nun mal dünnflüssiger als Wasser, sagt Biertrinker Müller-Schick. Deshalb könne ein Fass schnell undicht werden und der Wein auslaufen, wenn die Dauben nicht exakt der Maserung folgen. Erst im zweiten Arbeitsschritt spricht die Säge. Dann werden die grob gespaltenen Stammviertel glatt zurechtgesägt. Der dabei entstehende Holzabfall ist gewaltig. Von einem Festmeter Eiche bleiben am Ende nur 0,3 Kubikmeter Fassdauben übrig. Auch der Kern des Stamms, der bittere Gerbstoffe enthält, und der Außenring, das noch nicht voll ausgereifte „Splintholz“, werden herausgeschnitten. Harte Arbeit.

Um den einzigen Daubenhauer der Republik muss sich dennoch niemand Sorgen machen. Gute Fassdauben sind gesuchter denn je. Der Ausbau der Weine im neuen Eichenholz wird seit Anfang der 1990er Jahren von mehr und mehr Winzern praktiziert. Sie nutzen das Barrique, das mit 225 Litern kleinste gebräuchliche Fass, Markenzeichen der großen Weine des Burgunds und Bordelais’, immer öfter, um den Fruchtgeschmack des Weins mit den Aromen und Gerbstoffen des Eichenholzes zu vermählen. Der Barriquekeller gehört heute so selbstverständlich zu unseren Weinmachern wie Cindy aus Marzahn zum Deutschen Fernsehen. Es braucht allerdings hochreife, konzentrierte, ja muskulöse Moste, die die Wucht des Eichenholzes auch aushalten und hinterher nicht nach Sägemehl schmecken.

Die Lektion haben die deutschen Winzer gelernt. Und die Klimaveränderung, die gerade in den Weinbergen spürbar ist, sorgt für wärmere Jahresläufe und damit für alkoholreichere, kräftigere Tropfen, die den Holzeinfluss besser wegstecken.

Das war nicht immer so: Michael Graf Adelmann, angesehener Weinmacher im Schwäbischen, erinnert sich mit Grausen an die turbulenten Anfänge. 1981 hat er seinen ersten Wein im Barrique ausgebaut, 1986 gründete er mit vier befreundeten Gütern die Gruppe „Hades“, die sich dem kleinen Eichenholzfass verschrieben hatte und neue Erfahrungen auf dem gemeinsamen Holzweg sammeln wollte. Doch die fünf Vorreiter wurden schnell als Vaterlandsverräter und „Totengräber des deutschen Weins“ gebrandmarkt, ihre Gewächse von der Weinkontrolle zu Tafelweinen abgewertet – die Höchststrafe. „Wir gingen knapp am Lynchtod vorbei“, sagt Adelmann. Die Weine selbst schmeckten „wie Karokaffee aus Ludwigsburg“, befand seinerzeit die Prüfstelle und monierte „vorlaute Schreinereitöne“.

Tatsächlich war der Holzeinfluss damals viel zu dominant, den Winzern fehlte Know-how, auch das richtige Toasten der Fässer.

Dass Männer gerne Feuer machen – und sei es, um Weinfässer zu toasten – kann man beim Pfälzer Fassmacher Michael Gies in Bad Dürkheim beobachten. Kräftige Dampf- und Rauchwolken liegen wie Novembernebel über dem Handwerksbetrieb, die Anwohner machen schon mal kopfschüttelnd die Fenster zu. Im Innenhof legt ein bulliger Mitarbeiter behutsam Hölzchen auf Hölzchen und baut hübsche Pyramiden auf, um sie sogleich anzuzünden. Dann rollt er ein Fass ohne Boden über die Feuerstelle und schaut konzentriert auf die Uhr.

Das Toasten – vulgo: das Ankokeln der Fasswände – verlangt ein präzises Timing. Je länger getoastet wird, desto „dunkler“ schmeckt später der Wein, desto mehr kaffeeartige Röstaromen entwickeln sich. Man unterscheidet die Kategorien „light“, „medium“ und „heavy“ Toasting. Zur Feinabstimmung gibt es noch „medium minus“ und „medium plus“ sowie „heavy heavy“ für robusten Rußgeschmack. Generell geht der Trend zu zarterem Toasten.

Bei den besten französischen Küfern wird inzwischen nicht mehr mit offenem Feuer hantiert, sondern, besonders langsam, mit Glut getoastet, die manchmal auf Fasswände trifft, die eigens gewässert wurden. Toasten ist echte Geheimwissenschaft, für Barrique-Spezialisten aber eine entscheidende Stellschraube, um den späteren Charakter des Weins zu beeinflussen. Auch das Trocknen des Eichenholzes ist wichtig für den Geschmack. Topwinzer, die nichts dem Zufall überlassen, schauen sich, bevor sie ein Fass bestellen, bei Google Earth schon mal den Lagerplatz der Küferei an. Ist der wirklich groß genug, um das Holz über Jahre zu trocknen? 600 bis 1200 Euro werden für die kleinen Fässer bezahlt, je nach Qualität und Renommee des Fassmachers.

Ein echter Barrique-Maniac ist Stephan Attmann, Geschäftsführer beim Pfälzer Weingut von Winning, das vergangenes Jahr den Deutschen Riesling-Preis gewonnen hat. Wer Attmann zuhört, fragt sich, wann der Ausbau in Beton-, Plastik- oder Edelstahl-Tanks endlich als nicht artgerecht von der Weinaufsicht verboten wird. Attmann wagt es, selbst subtil-eleganten Riesling in großem Stil in kleine Eichenfässer zu legen.

Bis dato galt das einst von Gastro-Kritiker Wolfram Siebeck formulierte Dogma: „Riesling im Barrique ist wie Fred Astaire in Gummistiefeln“. Vorbei! Attmann spielt mit verschiedenen Fassgrößen, um seinen Riesling-Gewächsen eine ordentliche Holzdosis zu spendieren. Wie ein Wasserfall redet er von den Vorzügen des Fassausbaus, vom „Grip auf der Zunge“, von „Salzigkeit und Mineralität, die sich in den Gaumen krallt“. Würde man den Wein fragen, so Attmann, wäre sowieso alles klar. Dessen Hefezellen „wollen nicht im Stahlbett schlafen“, räsoniert er, sie wollen „ins Federbett“ des Holzfasses.

Man darf manches getrost als Marketing-Geschwätz abtun, aber der Mann hat Erfolg. Und er hat einen neuen Riesling-Stil begründet: kremiger, weicher, irgendwie kuschliger, aber womöglich auch langlebiger. Auf jeden Fall holzlastiger.

Doch wenn alle Winzer auf Attmann- Kurs umschwenken und noch mehr Weine ins neue Eichenholz legen, wäre ein Mann tief betrübt: Forstamtsleiter Burkhard Steckel. Er kümmert sich um die Nachhaltigkeit der Eichenwälder. Eiserne Regel: Es darf nicht mehr geschlagen werden als nachwächst. Steckel führt uns im „größten zusammenhängenden Waldgebiet Westeuropas“, dem Pfälzer Wald, zu uralten herrlichen Eichen, zu seinen „Diamanten“, dem Wertvollsten, was sein Wald zu bieten hat.

Pfälzer Eichen wachsen besonders langsam, ihr Holz ist extrem kleinporig und fest. Gerade Franzosen lieben Pfälzer Eiche und schlagen bei den Versteigerungen immer öfter zu. Das Kuriosum: Deutsche Winzer, die bei französischen Starküfern Barriques bestellen, erhalten gar nicht so selten Pfälzer Eiche! 200 bis 220 Jahre muss eine Eiche auf dem knorrigen Buckel haben, bevor sie die „Hiebreife“ erreicht, da vergehen zehn Förstergenerationen.

Steckel spricht es mit großem Nachdruck aus, und man rechnet sofort nach, wann die heute gefällten Eichen ihr Leben begannen: so etwa 1812, als Napoleon gen Russland zog.

Aber warum muss es ausgerechnet Eiche sein? Eichenholz, das wusste schon der mittelalterliche Mensch, ist einfach härter, dauerhafter. Die Gerbstoffe des Baums geben dem Wein mehr Festigkeit. Vor allem aber verströmt das Holz die sogenannten Whiskey-Laktone: Das sind jene Holznoten, die Cognac, Whiskey, Rum und vielen Weinen mit dem Duft nach Kokos, Vanille, Backstube, nach Karamell und Röststoffen aromatisch auf die Sprünge helfen. Über die Poren des Holzes bekommt der Wein zudem eine stetige, sanft dosierte Sauerstoffration, er wird haltbarer, langlebiger, er oxidiert ein wenig. Bei neuen Fässern ist der Aromakick häufig so stark, dass die Weine davon dominiert werden und nach Holz schmecken. Nutzt man die Fässer häufiger – manche Winzer belegen sie bis zu zehnmal – wird der Holzeinfluss immer geringer. Ein intelligenter Mix ist oft das Optimum: Ein Teil des Weins wird in neuen, ein Teil in gebrauchten Barriques ausgebaut.

Im Pfälzer Barriqueforum probierten wir mehr als ein Dutzend durchweg roter Weine – sie verkraften die Holzdosis aus dem kleinen Fass besser als die Weißen. Trend: Durchweg gut gemacht, aber ein wenig übermächtig; der unheilvolle Trend zu immer wuchtigeren, alkoholreicheren Weinen setzt sich fort. Nur drei Weine hatten weniger als 14 % Alkohol.

Den Eichen ist das egal. Sie wachsen weiter. In Zeitlupe. Wenn sie in 10, 20 oder 100 Jahren geerntet werden, hat sich die Weinmode hoffentlich wieder geändert.

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